Rezension über:

Jonas Hübner: Gemein und ungleich. Ländliches Gemeingut und ständische Gesellschaft in einem frühneuzeitlichen Markenverband - Die Essener Mark bei Osnabrück (= Veröffentlichungen der historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; Bd. 307), Göttingen: Wallstein 2020, 402 S., ISBN 978-3-8353-3681-0, EUR 34,00
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Rezension von:
Daniel Brandstetter
St. Peter in der Au
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Brandstetter : Rezension von: Jonas Hübner: Gemein und ungleich. Ländliches Gemeingut und ständische Gesellschaft in einem frühneuzeitlichen Markenverband - Die Essener Mark bei Osnabrück, Göttingen: Wallstein 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 5 [15.05.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/05/34589.html


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Jonas Hübner: Gemein und ungleich

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Gemeinsames Wirtschaften erlebt seit einiger Zeit eine Renaissance. Urban Gardening, Car Sharing etc. liegt im Trend und zeigt einen neuen Umgang mit Ressourcen auf. Nachhaltigkeit steht dabei im Vordergrund. In diese Richtung bewegt sich auch das stärkere Interesse an gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsformen in früherer Zeit. Gemeingüter, Agrargemeinschaften, Markgenossenschaften, Allmenden bzw. Commons werden wieder intensiver in den Fokus der Geschichtsforschung gestellt. Wie wurden Gemeingüter verwaltet, genutzt und für die Nachkommen erhalten? Wer war daran beteiligt? Wer war davon ausgeschlossen? Welche Konflikte gab es? Wie könnten die Gemeingüter über Jahrhunderte hindurch erhalten werden? Wurden sie aufgelöst bzw. aufgeteilt?

Zu diesen Forschungsfragen liefert Jonas Hübner mit seinem Werk "Gemein und ungleich" ein umfassendes Bild zur Essener Mark bei Osnabrück. Der Autor stellt darin die Entwicklung einer Markgenossenschaft, die vom 11. bis ins 19. Jahrhundert (33) bestand, thematisch gebündelt dar. Zunächst werden der Forschungsgegenstand, die Methoden und die Quellen erläutert. Dabei gibt der Autor einen historischen Blick von der Theorie Garett Hardins über die Tragik der Allmende und deren Dekonstruktion durch Elinor Ostrom hin zu neuen Forschungsergebnissen aus den Niederlanden.

Die Essener Mark selbst stellt ein mikrohistorisch interessantes und forschungsmäßig ergiebiges Beispiel einer gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsform in einem kleinen Dorfverband dar. Sie lag einst im Fürsterzbistum Osnabrück und umfasste im 18. Jahrhundert 8.453,3 ha Flächen, die vielfältig als Wald, Weiden, Äcker, Wiesen etc. genutzt wurden.

Die Markgenossen standen oft im Spannungsfeld zwischen Grundherren und Landesherren und teilten sich in verschiedene Gruppen von Nutzungsberechtigten - vier Höfeklassen - auf: Vollerben, Halberben, Erbkötter und Markkötter (69). Daneben gab es aber auch ausgeschlossene Personengruppen (Hüsselten, Heuerleute), die als Gefahr für die Gemeingüter betrachtet wurden, da von den Markgenossen ein unkontrollierter Zugang zu agrar- und forstwirtschaftlichen Ressourcen befürchtet wurde (73).

Aus den unterschiedlichen Nutzungsberechtigten bzw. den Ausgeschlossenen, den Grund- bzw. Landesherren (Fürsterzbischof, landsässiger Adel, 70 ff) ergibt sich ein spannungsreiches Feld an wechselseitigen Abhängigkeiten, Eingriffen, Regeln und Verboten, Konflikten und Problemen, die Hübner im I. Kapitel als "Machtraum der Mark" bzw. als "Ressourcenregime" bezeichnet und schließlich im II. Kapitel ausführlich darstellt (77-191). Das feudale System bis zur Säkularisierung bildet dafür den historischen Rahmen, in den die Essener Mark eingebetet war (61), ehe es im 19. Jahrhundert zu Aufteilungsprozessen kam. Hübners Forschungen basieren dabei auf einem reichen Aktenbestand im Niedersächsischen Landesarchiv (33).

Im II. Kapitel findet man eine ausführlich dargelegte und analysierte Holzordnung aus dem Jahr 1620. Verschriftlichung alter Gewohnheiten sicherte Rechtssicherheit und war ein "Instrument juristischer Präskription" (79). Neben der Holz- und Waldnutzung werden aber die Viehzucht, das Holzgericht (156 ff) sowie Sanktionsmaßnahmen (132 ff, 321) am Fall der Essener Mark detailliert und aktengetreu dargestellt. Faksimiles aus den verwendeten Archivalien vermisst der Leser dabei leider.

Nicht nur in vertikaler Ebene (Erzbistum Osnabrück, domkapitularische Holzgrafen, 103, 107 ff) spielten sich Konflikte ab, sondern auch unter den Markgenossen herrschte nicht immer Eintracht hinsichtlich der Nutzung, Verwendung und Verwaltung der Gemeingüter bzw. im Rahmen von Pfändungen (137 ff) oder bei der Abführung von Strafgeldern in die Markenkasse (143).

Grafische bzw. schematische Darstellungen von Beziehungsgeflechten, Machträumen bzw. konfliktbeladenen Netzwerken sind in diesem Kapitel leider ein Desiderat. Sie würden einen rascheren Überblick und Zusammenhang ermöglichen.

Ein weiteres Konfliktfeld bildet die Individualisierung des Gemeinbesitzes, die im 18. und 19. Jahrhundert zu einer Verwandlung der Gemeingüter hin zum Privateigentum führte (146 ff). Wie in vielen Gemeinschaften bzw. Genossenschaften ist auch die Essener Mark davon nicht verschont geblieben - "Paradigma des Niedergangs" (182): Nach einer Phase der Zerstörung der Gemeingüter von oben folgte eine weitere Phase von unten und gipfelte in der Auflösung der Marken durch den Agrarindividualismus des 18. und 19. Jahrhunderts (183). Diesen Prozessen und Erscheinungen widmet sich der Autor im III. Kapitel. Die Auflösung des Hochstifts Osnabrück bildete die rechtliche Basis dafür, aber bereits 1773 war eine Fläche von 2.339,8 ha "zur offenen Teilung" (205) freigegeben worden, wobei das "Theilungsgeschefft, welches wegen Größe der Marck sehr viel Zeit und Mühe erfordert" (209) hat. Die Teilungen wurden vornehmlich von der Regierung vorangetrieben, um den Holzbestand in den Marken zu sichern (322). Bald darauf wurde sogar die totale Auflösung der Mark ins Treffen geführt (215 ff). Mehrere Markenteilungsordnungen entstanden vorerst, ab 1817 kam es - ein Zwischenschritt hin zum Privateigentum - zu "Einhegung der Gehölze" (326), von 1823 bis 1833 erfolgte schließlich die "totale Teilung der Mark" (328). Diese Teilung reiht sich zeitlich in eine weltweite Verwandlung aufgrund der Veränderung ländlicher Lebensformen infolge der Agrarreformen (293).

Im IV. und letzten Kapitel stellt Hübner Vergleiche mit zwei weiteren Marken Norddeutschlands (Lübbecker und Oldendorfer Mark) her, die zeitgleich - von anderer Stelle - wissenschaftlich untersucht worden sind. Das abschließende Fazit gibt einen Ausblick und endet mit dem Vorschlag des Autors, den Begriff Markgenossenschaft - im Rahmen der Diskussion ländlicher Gemeingüter - durch Markenverband zu ersetzen und so den "Ballast der Verzerrungen und Verkürzungen" (361) abzulegen.

Hübners Werk über die Essener Mark stellt die Markgenossen und ihr Verhältnis zur Obrigkeit sowie zur unterbäuerlichen und von der Nutzung der Gemeingüter ausgeschlossenen Schicht exemplarisch im Rahmen einer mikrohistorischen Studie dar. Die Quellen sind stets ausführlich angegeben, die angegebene Sekundärliteratur umfangreich.

Der Text liest sich insgesamt flüssig, die Vielzahl an Fremdwörtern bzw. Fachbegriffen erschwert allerdings immer wieder diesen Fluss. Weniger wäre hier mehr gewesen bzw. wäre ein Glossar der wichtigsten Begriffe, die immer wieder vorkommen, für das raschere Verständnis hilfreich gewesen - besonders dann, wenn man ausgewählte Kapitel herausgreift und nicht alles von vorne nach hinten liest.

Abschließend betrachtet reiht sich diese Arbeit in eine immer größer werdende Zahl mikrohistorischer Studien zu ländlichen Gemeingütern ein. Wurde dieses Forschungsfeld lange Zeit vernachlässigt, so ist nun eine Renaissance festzustellen. Gemeingüter, gemeinsames Leben und Wirtschaften ist somit keine reine Frage der Geschichtswissenschaften, die diese rückblickend aufarbeitet, sondern im 21. Jahrhundert aktueller denn je.

Daniel Brandstetter