Rezension über:

Andreas Stefan Hofmann: Oberfranken zur Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1939. Eine Studie über Aufstieg, Machteroberung und Herrschaftsorganisation der Nationalsozialisten im Norden Bayerns (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bamberg; Nr. 34), Bamberg: Stadtarchiv Bamberg 2020, 587 S., ISBN 978-3-929341-62-1, EUR 49,95
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Rezension von:
Eva Karl
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
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Eva Karl: Rezension von: Andreas Stefan Hofmann: Oberfranken zur Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1939. Eine Studie über Aufstieg, Machteroberung und Herrschaftsorganisation der Nationalsozialisten im Norden Bayerns, Bamberg: Stadtarchiv Bamberg 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 6 [15.06.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/06/35470.html


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Andreas Stefan Hofmann: Oberfranken zur Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1939

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Die entscheidende Bedeutung Frankens für den Aufstieg des Nationalsozialismus ist spätestens seit der Studie Rainer Hambrechts zur NSDAP in Mittel- und Oberfranken plausibel belegt [1]. Im Gegensatz zu Mittelfranken mit seiner überwiegend protestantischen Bevölkerung war der Regierungsbezirk Oberfranken durch eine wirtschaftliche, konfessionelle und politische Heterogenität geprägt und eignet sich daher bestens für einen komparativen Ansatz. Genau diesem Unterfangen widmet sich Andreas Stefan Hofmann mit seiner Dissertation über Aufstieg, Machteroberung und Herrschaftsorganisation der Nationalsozialisten im Norden Bayerns. Anhand der Städte Bamberg, Hof, Coburg und Bayreuth sowie der dazugehörigen Bezirksämter nimmt der Autor die unterschiedlichen politischen Konstellationen innerhalb des Regierungsbezirks in den Blick, wo sich in der Weimarer Republik kirchentreue Katholiken, Anhänger der Arbeiterparteien und monarchisch-konservativ gesinnte Protestanten gegenüber gestanden hatten.

Auf Grundlage eines regionalgeschichtlichen Ansatzes verzahnt Hofmann eine Milieuanalyse mit einer Funktionsgeschichte und stellt das nationalsozialistische Herrschaftssystem zwischen staatlicher Verwaltung und Parteiherrschaft bis 1939 in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Der Autor positioniert sich damit in einem Forschungsfeld, das in den vergangenen Jahren zu einem tieferen Verständnis der Polykratie sowie der Leistungsfähigkeit und Stabilität der NS-Herrschaft beigetragen hat. Zur Beantwortung der Fragen nach Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus blickt er auf die Ebene der Region und die Instanzen mittlerer Reichweite.

Für den ersten Teil seiner Arbeit kann Hofmann auf eine Reihe von Untersuchungen zurückgreifen und diese um eigene Quellenrecherchen ergänzen. Anhand einer politisch-topografischen Skizze stellt er die sozio-ökonomischen, konfessionellen und mentalen Grundlagen der verschiedenen Teilräume Oberfrankens vor und leitet daraus die Gründe für den frühen Aufstieg des Nationalsozialismus ab. Indem Hofmann vergleichend Parteitraditionen, Organisationsformen und Deutungsstrukturen im Sinne Rainer Lepsius' [2] aufzeigt, bestätigt er die bekannten Unterschiede zwischen dem Wahlverhalten in protestantisch und katholisch geprägten Regionen sowie die innere Festigkeit des sozialdemokratischen und vor allem des katholischen Milieus gegenüber einer "Nazifizierung". Dass es den Nationalsozialisten mithilfe bekannter Persönlichkeiten aber durchaus auch gelingen konnte, in diese Milieus "einzubrechen", zeigt ihr Erfolg in der katholischen Bischofsstadt Bamberg, die schon während der Verbotszeit der NSDAP zu einem "radikalvölkischen-nationalistischen Brückenkopf" (498) wurde.

Im Mittelpunkt des zweiten Teils der Studie steht der Prozess der Machtdurchsetzung und "Gleichschaltung" 1933. Hierzu analysiert Hofmann die nationalsozialistische Machtmonopolisierung von der Kreis- über die Bezirksverwaltung bis hin zur Ebene der Kommunen. Für die Zeit des Umbruchs streicht er dabei den entscheidenden Einfluss der SA und deren Sonderkommissare heraus, die im Schulterschluss mit der Gauleitung auftraten und agierten. Während mithilfe des "Gleichschaltungsgesetzes" die Kommunalparlamente massiv umgestaltet wurden und gerade in Gemeinden mit katholischer Bevölkerungsmehrheit neue Bürgermeister oft gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden mussten, wurde das "Berufsbeamtengesetz" - abgesehen von Coburg - weit weniger vehement angewandt. So kann Hofmann belegen, dass die "Säuberung" der Verwaltung auch in oberfränkischen Mittel- und Kleinstädten aus Rücksichtnahme auf das Funktionieren des administrativen Apparats in erster Linie niedrige Verwaltungsstellen betraf.

Im dritten und umfangreichsten Teil seiner Studie beschäftigt sich Hofmann mit der Herrschaftsorganisation in Oberfranken und stellt den staatlichen Verwaltungs- und den Parteiapparat einander gegenüber. Beide wichen in Oberfranken aufgrund der Ausweitung des Gaus Bayerische Ostmark mit Sitz in Bayreuth und der Zusammenlegung der Regierungsbezirke Ober- und Mittelfranken mit Sitz in Ansbach räumlich stark voreinander ab, was ein geschlossenes Auftreten verhinderte. Hofmann charakterisiert das Verhältnis beider Sphären dementsprechend eher als "Gegen- und Nebeneinanderherregieren" (503). Er attestiert auch für die Mittelinstanzen und Kommunen ein grundlegendes Spannungsverhältnis zwischen Partei- und Staatsebene. Laut Hofmann ging dieser Antagonismus - auch wenn Fälle von gedeihlicher Zusammenarbeit existierten - meist mit einer Zurückstellung des Staats- und Behördenapparats einher. Eine herausragende Rolle im Prozess der Aushandlung von Machtfragen und Kompetenzen nahm dabei Bayreuth ein, wo Gauleitung, Kommunalverwaltung, aber auch das Haus Wahnfried miteinander konkurrierten. Durch ihren Status als Festspielstadt und durch die besondere Gunst Hitlers unterlag die Gauhauptstadt einem spürbaren Leistungsdruck, sich im Sinne des NS-Regimes zu präsentieren.

Diesen Teil der Untersuchung zeichnen detaillierte Personenportraits aus. Dabei betont der Autor die stark personalisierten, in sich divergierenden Herrschaftsbeziehungen unter den Gauleitern Hans Schemm und Fritz Wächtler, denen er die meist hörigen Regierungspräsidenten gegenüberstellt. Anhand einer Charakterisierung des Personals, welches nach 1933 Einzug in die Kreis-, Bezirks- und Kommunalregierungen hielt, zeigt Hofmann, wie der NS-Staat unerfahrenen Parteigenossen, aber auch neuen Typen von technokratischen Verwaltungsbeamten den Weg zu einer Karriere im NS-Staat ebnete, ohne dass aus ihnen ein einheitlicher Beamtentypus im Sinne einer Gegenelite zum "Weimarer System" hervorgegangen wäre. Lohnenswert wäre hierbei sicher eine stärkere Fokussierung auf Fragen nach Handlungs, Kommunikations- und Kooperationsmustern oder Phänomenen des "Dem-Führer-Entgegenarbeitens" - etwa in Bezug auf die Gauleiter - gewesen. Die vom Autor vorgenommene ausführliche Darlegung der Beweisführung der Spruchkammerverfahren erscheint, zumal sie ohne fundierte Einordnung in die Mechanismen der Entnazifizierung erfolgt, dagegen weniger zielführend.

Im Fazit resümiert Hofmann im Sinne einer "neuen Staatlichkeit" [3], dass auch in Oberfranken die verschiedenartigen Machtkämpfe die nationalsozialistische Herrschaftsdurchsetzung nicht behinderten: "[P]ersonelle Netzwerke, (in)formelle Kommunikation und neue Politikorte" (509) hätten traditionelle Amtsstrukturen überlagert und systemstabilisierend gewirkt. Indem er aber insgesamt die Handlungsebene oft vernachlässigt, das NS-Regime als "permanenten Ausnahmezustand" [4] interpretiert und Matzeraths These von der vollkommenen Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung anhängt [5], kommt es in seiner Darstellung immer wieder zu einer Überbetonung der Reibungsverluste eines Dualismus von Staat und Partei.

Der beachtliche Umfang der Studie Hofmanns ist unter anderem dem Bestreben geschuldet, eine Gesellschafts- mit einer Herrschaftsanalyse zu verbinden. Dahingestellt bleibt, ob die Konzentration auf eine fundiertere organisations- und funktionsgeschichtliche Analyse, die den Blick noch mehr auf Handlungsabläufe und -spielräume lenkt, nicht eine konzisere Argumentationslinie erzeugt hätte. Nichtsdestoweniger hat Hofmann eine solide Arbeit vorgelegt, die sich durch akribische Recherche und eine breite Quellenbasis auszeichnet. Zwar unterbricht das sich durch die gesamte Monografie ziehende Fehlen von Leerzeichen den Lesefluss immer wieder, doch insgesamt werden nicht nur regionalgeschichtlich Interessierte der Lektüre dieser detailreichen und informativen Studie Etliches abgewinnen können.


Anmerkungen:

[1] Rainer Hambrecht: Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1925-1933), Nürnberg 1976. Neu aufgelegt als Rainer Hambrecht: Die braune Bastion. Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1922-1933), Petersberg 2017.

[2] M. Rainer Lepsius: Parteiensystem und Sozialstruktur: zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Wilhelm Abel u. a. (Hgg.): Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge, Stuttgart 1966, 371-393.

[3] Rüdiger Hachtmann: "Neue Staatlichkeit" - Überlegungen zu einer systematischen Theorie des NS-Herrschaftssystems und ihrer Anwendung auf die mittlere Ebene der Gaue, in: Jürgen John / Horst Möller / Thomas Schaarschmidt (Hgg.): Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen "Führerstaat", München 2007, 56-79.

[4] Karl Dietrich Bracher: Stufen der Machtergreifung, in: ders. / Wolfgang Sauer / Gerhard Schulz (Hgg.): Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln/Opladen 1960, 31-368.

[5] Horst Matzerath: Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, Stuttgart u. a. 1970.

Eva Karl