Vanessa Conze: "Ich schwöre Treue ...". Der politische Eid in Deutschland zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 237), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 390 S., ISBN 978-3-525-31121-9, EUR 65,00
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Wenn Beamte, gewählte Politiker oder Soldaten vereidigt werden, auf wen oder was schwören sie dann? Wie lauten die Formeln, die sie nachsprechen müssen, und wie haben sich diese im Lauf der Zeit verändert? Welche kulturellen Bedeutungen und politischen Wirkungen hat das Ritual des Eides? Diesen Fragen geht Vanessa Conzes auf ihrer Gießener Habilitationsschrift beruhendes Buch für die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nach, wobei die Beamtenschaft im Zentrum der Betrachtung steht. Über das engere Thema hinaus behandelt die Studie grundsätzlicher das Verhältnis zwischen monarchischem Staat, Verfassungsstaat und auch Führerstaat. Denn diese Staatsformen teilten die Grundidee, die innere Loyalität ihrer Bediensteten über bloßen Gehorsam oder ein funktionales Rollenverständnis hinaus sichern zu wollen.
Die Autorin geht von der Beobachtung aus, dass der politische, promissorische Eid (im Unterschied zu dessen juristischer, assertorischer Version) in der Moderne zwar zum Gegenstand von Kontroversen wurde, aber dadurch keineswegs an ideeller Aufladung verlor. Entgegen der liberalen Hoffnung, die Beamtenschaft auf konstitutionelle Werte verpflichten zu können, überschattete seit der Reichsgründungszeit die persönliche Treue zum Monarchen die - in der Formel ebenfalls enthaltene - Loyalität zur Verfassung. Rechtspositivistische Reduktionen des Eides auf die reine Gehorsamspflicht änderten daran ebenso wenig wie die sozialdemokratische Kritik, das Ritual sei eine "leere Form" (August Bebel, zit. nach 92). Aufgrund ihres Ehrverständnisses und ihrer privilegierten Herkunft empfanden die Beamtenanwärter ihre eigene Disziplinierung gar nicht als solche. Sozialdemokraten und Juden wurde unterstellt, zu solcher Treue prinzipiell unfähig zu sein.
Die Weimarer Republik hielt am Eid fest, entpersonalisierte und säkularisierte ihn aber in der neuen Formel "Ich schwöre Treue der Reichsverfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten". Damit stieß sie jedoch auf den Widerstand zahlreicher Beamter, die sich nun auf ihre Gewissensfreiheit beriefen. Im Ergebnis überwog eine schwache Interpretation der Formel als bloßes Beobachten der Verfassung. Dagegen werteten die Nationalsozialisten das persönliche Treueversprechen mehr denn je auf, indem sie nicht bloß Beamte, sondern die meisten Deutschen in einer "durchvereidigten Volksgemeinschaft" (26, 188-197) auf den "Führer" schwören ließen. Vor diesem Hintergrund waren sich die Vertreter des konservativen Widerstands der Schwierigkeit ihres Vorhabens, die Deutschen von ihrer eidlichen Bindung an Hitler zu lösen, nur allzu bewusst.
Nach 1945 retteten die Verteidiger deutscher Beamtentradition die persönliche Selbstverpflichtung vor alliierten Reformversuchen. Der Kontext des Kalten Kriegs erleichterte dabei die Loyalität zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Doch der Eid mit seinem religiösen Charakter wurde bald grundsätzlich infrage gestellt, weswegen etwa die Wehrpflichtigen bloß ein Gelöbnis ablegen mussten. Seit den 1960er Jahren erodierte jeglicher Konsens, und der staatliche Zwang zur formelhaften Selbstverpflichtung wurde zunehmend als autonomiewidrig empfunden. Der Eid wurde zwar nicht abgeschafft, doch das war auch gar nicht nötig, da er - ebenso wie die mit ihm verbundenen Werte der Treue und Ehre - deutlich an Bedeutung einbüßte.
Conze stützt ihre Analyse zum einen auf explizite Debatten und implizite Diskurse über den Eid, zum anderen auf die Eidpraxis. Interessanterweise waren einige wichtige Autoren zugleich Akteure. Friedrich Everling repräsentiert die konservative Auffassung. In seiner Dissertation zum preußischen Beamteneid von 1914 betonte er die Freiwilligkeit des Treueschwurs, mit der sich der Anwärter zur "lebendigen Hingabe" seiner ganzen Existenz an den Monarchen verpflichtete - dass die Formel auch auf die Reichsverfassung Bezug nahm, sah er kritisch. Everlings Identifikation der Treue mit deutschnationalen Werten begründete 1919 seine Verweigerung des Eides auf den republikanischen Staat; deswegen wurde er aus dem Vorbereitungsdienst im Auswärtigen Amt entlassen. Konsequenterweise wurde er DNVP-Reichstagsabgeordneter und leistete schließlich seinen Eid auf Hitler, was ihm eine späte Richterlaufbahn ermöglichte.
Ernst Friesenhahn promovierte zum politischen Eid, wobei er sich von den rechten Positionen seines Doktorvaters Carl Schmitt entfernte und an die Republik annäherte. Der Katholik kam 1927 zum Schluss, dass der neue Staat die religiöse Selbstverpflichtung durch eine "weltliche Beteuerungsformel" hätte ersetzen müssen, gestand aber zu, dass es so etwas wie Treue zur Verfassung geben könne. Nachdem er sich nach anfänglicher Zustimmung 1934 vom Nationalsozialismus distanziert und als Anwalt gearbeitet hatte, erhielt er in der Nachkriegszeit eine volle Professur und verteidigte als einer der wenigen Rechtswissenschaftler das Beamtenurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1953. Dieses Urteil betonte unter Verweis auf den "Führereid" die Besonderheit des Staatsdiensts im NS-Regime. Seine Kontinuität über 1945 hinaus wurde auf dieser Grundlage freilich bestritten, und die Richter wiesen folglich Ansprüche auf Weiterbeschäftigung von Beamten ab, die im Zuge der Entnazifizierung entlassen worden waren.
Vanessa Conze behandelt ein wichtiges Thema der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit breiter Kenntnis, gedanklicher Klarheit und - entgegen dem Klischee der umständlich geschriebenen Habilitationsschrift - stilistischer Prägnanz. Es zeigt sich, wie interessant Verfassungsgeschichte und die Geschichte der Beamtenschaft sein können. Conze widerlegt überzeugend die Annahme, der Eid habe in der Moderne an Bedeutung verloren. Vielmehr blieb diese Verpflichtungspraxis nicht nur wichtig, sondern gewann gerade im Nationalsozialismus dramatisch an Bedeutung, bevor sie in den 1960er und 1970er Jahren verblasste.
Zwei weiterführende Fragen stellen sich: Zum einen wüsste man gerne mehr darüber, inwieweit der Eid über Loyalitätssicherung und Stabilität hinaus eine aktivierende und dynamisierende Wirkung entfaltete, insbesondere im Hinblick auf den - längst auch für die Beamtenschaft nachgewiesenen - selbsttätigen Einsatz für die Ziele des NS-Regimes. Selbst Forschungen, die stärker die Berufspraxis nach der Vereidigung einbeziehen, dürften dies jedoch nur schwer feststellen können, weil die verschiedenen Motive sich vermischten und zudem selten reflektiert wurden. Zum anderen regt Conzes eher angedeutete als entwickelte These eines spezifisch deutschen Leitbilds persönlicher Treue zum Nachdenken darüber an, wie sich eigentlich andere europäische Staaten der Loyalität ihrer Diener versichern. In Großbritannien wird auf die Königin geschworen (jedoch bei den Polizeibeamten nur in England und Wales, nicht aber in Schottland und Nordirland), in Belgien gleichermaßen auf König, Verfassung und Recht. Persönliche Eide auf Diktatoren gab es auch in Mussolinis Italien und Pétains Frankreich. Zur Schweizer Gegenwart gehören sowohl unpathetische Eide oder Gelübde auf die Bundes- beziehungsweise Kantonsverfassung als auch die mythenreiche Beschwörung der mittelalterlichen Eidgenossenschaft durch die politische Rechte. Eine komparative Analyse hätte jedoch diese Arbeit überfordert, weil die Thematik auch anderswo kontrovers diskutiert wurde und Veränderungen unterlag. Daher ist eine europäische Geschichte des Eides ein Forschungsdesiderat und kein Maßstab, der an Vanessa Conzes Buch angelegt werden sollte. Den politischen Eid in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur späten Bundesrepublik erforscht zu haben, stellt eine beeindruckende Leistung dar.
Moritz Föllmer