Rebekka von Mallinckrodt / Josef Köstlbauer / Sarah Lentz (eds.): Beyond Exceptionalism. Traces of Slavery and the Slave Trade in Early Modern Germany, 1650-1850, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2021, XIII + 311 S., ISBN 978-3-11-074869-7, EUR 89,95
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Peter Feldbauer / Gottfried Liedl: Die islamische Welt 1000 bis 1517. Wirtschaft. Gesellschaft. Staat, Wien: Mandelbaum 2008
Bahargül Hamut: Silsilat aẕ-Ẕahab. Kommentierung einer čaġatai-uigurischen Handschrift zu den Aqtaġliq Ḫoǧilar, einer mystischen Gruppierung in Xinjiang im 16.-18. Jahrhundert, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2011
Stefan Reichmuth: The World of Murtaḍā az-Zabīdī (1732-91). Life, Network and Writings, London: Gibb Memorial Trust 2009
Rebekka von Mallinckrodt: Struktur und kollektiver Eigensinn. Kölner Laienbruderschaften im Zeitalter der Konfessionalisierung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005
Sarah Lentz: "Wer helfen kann, der helfe". Deutsche SklavereigegnerInnen und die atlantische Abolitionsbewegung, 1780-1860, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020
Rebekka von Mallinckrodt (Hg.): Bewegtes Leben. Körpertechniken in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden: Harrassowitz 2008
Seit 2015 leitet Rebekka von Mallinckrodt das von ihr eingeworbene und geleitete ERC Consolidator Grant Projekt "The Holy Roman Empire of the German Nation and its Slaves." Es geht zum einen um die Frage, ob es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HLR) tatsächlich Personen gegeben hat, die man als "Sklav*innen" bezeichnen kann oder die zumindest einen sklavenähnlichen Status besaßen. Zum anderen soll in vier monographischen Teilprojekten [1] die mannigfaltige diskursive, normative und praxeologische Verknüpfung der Regionen des HLR mit dem transatlantischen Sklavereisystem untersucht werden. Damit fügt man sich sehr gut in eine jüngere Forschungsrichtung ein, die vor allem das frühneuzeitliche Mitteleuropa in globalgeschichtliche Überlegungen einbinden möchte und in diesem Zusammenhang für dieses Gebiet die Begriffe "Slavery Hinterland" [2] oder "Globalized Peripheries" [3] entwickelt hat. Insbesondere soll die immer noch präsente Vorstellung eines deutschen Sonderwegs hinterfragt werden.
Üblicherweise verpflichtet man sich in solchen Vorhaben, während der Laufzeit auch einige Konferenzen zu organisieren, deren Ergebnisse möglichst in eine Publikation münden. In diesem Fall haben wir es mit einem Sammelband zu tun, der aus einer Ende 2018 veranstalteten Tagung zum Thema "Traces of the Slave Trade in the Holy Roman Empire and its Successor States. Discourses, Practices, and Objects, 1500-1850" hervorgegangen ist. [4]
In ihrer Einleitung stecken die drei Herausgerber*innen das Feld des Sammelbandes ab: Im Mittelpunkt steht die Zeit von der Neuordnung Mitteleuropas nach dem Westfälischen Frieden bis zum Ende des Deutschen Bundes. Es geht ferner nicht um Kolonien oder Kolonialbesitz, sondern um die mannigfaltigen Verstrickungen der Regionen des Heiligen Römischen Reiches und seiner Nachfolgestaaten in den Transatlantischen Dreieckshandel. Bis heute hält sich die irrige Vorstellung, dass Deutsche an der europäischen Expansion, dem Welthandel und der Sklaverei nicht beteiligt waren. Dabei stammten, so die Autor*innen, ein Drittel der europäischen Einwohner Surinams aus den deutschen Ländern. Auch auf den dänischen Inseln in der Karibik oder in den britischen Kolonien in Amerika waren Deutsche als Sklavenhalter*innen anzutreffen. Die Hälfte der Besatzungsmitglieder der VOC waren Ausländer. Die meisten von ihnen stammten aus deutschen Territorien. Hinzu kamen deutsche Soldaten in Nordamerika. All diese Personen brachten mit ihrer Rückkehr nicht nur Erfahrungen mit der Sklaverei, sondern auch Menschen afrikanischer Herkunft in ihre Heimat.
Im Mittelpunkt des Bandes stehen einzelne Akteure und Gruppen und nicht übergeordnete politische Strukturen. Zumal auch die Produktion von Tauschgütern, die Bereitstellung von Schiffen, Kapital, Plantagenausstattung und Kleidung sowie die Weiterverarbeitung und der Konsum von Kolonialwaren in den deutschen Gebieten in der Regel nicht auf staatlicher Ebene erfolgten, sondern durch inhabergeführten Unternehmen gewährleistet wurden.
An eine sehr gute Darstellung der Forschungsgeschichte durch Klaus Weber schließen sich die ersten Fallstudien an. Anne Spohr schildert das Schicksal von Christian Real (ca. 1643 - nach 1674), der als schwarzer Trompeter an einem deutschen Hof tätig war. Als Real im Jahr 1669 in Stuttgart einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel, war einer der Gründe für den Angriff die tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankerte Vorstellung von der Minderwertigkeit schwarzer Personen. Craig Koslofsky stellt uns das Schicksal der beiden amerikanischen Ureinwohner Ocktscha Rinscha und Tuski Stannaki vor, die, nachdem sie von ihrem Besitzer mehrere Jahre in Europa zur Schau gestellt worden waren, schließlich von August dem Starken (gest. 1733) erworben wurden. Sie bedienten eine weit verbreitete öffentliche und höfische Nachfrage nach "Exotischem". Die beiden Männer mit ihren großflächigen Tätowierungen zogen die Neugierde der Zeitgenoss*innen auf sich, wobei man in die Tattoos nur als faszinierendes Ornament betrachtete und ihren eigentlichen Kontext völlig ignorierte. Auch die radikalpietistischen Herrnhuter Brüder brachten konvertierte Afrikaner*innen oder andere Menschen aus dem westindischen Raum in ihre Gemeinorte. Es handelte sich durchweg um Sklav*innen oder zumindest um ehemalige Sklav*innen, wobei ihr Status in den deutschen Gebieten aus den Quellen nicht klar hervorgeht. Anhand einiger ausgewählter Fälle kann Josef Köstlbauer zeigen, dass die Brüdergemeinde diese Personengruppe vor allem zur Repräsentation ihres Missionserfolges nutze. Am Beispiel des zu seiner Zeit sehr einflussreichen Rechtsgelehrten Ludwig Julius Friedrich Höpfners (1743-1797) verdeutlicht Rebekka von Mallinckrodt, dass das Römische Recht bis zum Ende des 18. Jahrhunderts für deutsche Juristen eine maßgebliche Rechtsquelle blieb. Wenn, wie im Fall der Sklaverei, das deutsche Recht uneindeutig blieb, zog man neben dem Naturrecht das Römische Recht zu Rate. Am Ende wurde eine bis das 16. Jahrhundert reichende Rechtstradition konstruiert, die auf Personen afrikanischer oder osmanischer Herkunft, die entführt, gefangen genommen oder im Krieg gekauft worden waren, angewandt werden konnte. Diese Rechtstradition bestätigte ihren Status als Sklav*innen ausdrücklich. Walter Sauer, der ein größeres Projekt zur Beteiligung der Habsburgerreich am Sklav*innenhandel vorbereitet, beschreibt die Anwerbung "exotischer" Dienstboten in der Donaumonarchie während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts. Grundsätzlich hörte der Menschenhandel nicht auf, aber seine Praktiken änderten sich. Die Personen mussten nun unter Umgehung der neuen Gesetze, die die Sklaverei verboten, erworben werden. Dabei war man durchaus findig. Offiziell handelte es sich nicht mehr um Sklav*innen, allerdings lebten sie weiter unter ähnlichen Bedingungen. Sehr spannend sind m.E. die Erkenntnisse, die Annika Bärwald aus einer genauen Analyse von Stellenanzeigen in Hamburger Zeitungen in der Zeit des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhundert zieht: "Likely composed of formerly enslaved persons as well as freeborn labor migrants, non-white servants appear to have navigated an uncertain status as domestic workers and made strategic employment decisions. Describing these practices as cosmopolitan does not deny the existence of structural inequalities and unfavorable conditions, but rather provides a too facilitating our understanding of the choices and variegated experiences of people of African and Asian descent. (210)
Warum sind die Warenketten vieler der von versklavten Menschen angebauten Pflanzen - wie zum Beispiel Ingwer, Indigo, Annatto oder die Röhrenkassie - bisher kaum erforscht worden, wohingegen andere Produkte wie Zucker, Tabak oder Kaffee zu Schlüsselsymbolen der Sklaverei wurden? Jutta Wimmler macht dafür zwei miteinander verwobene Prozesse verantwortlich. Zum einen waren bereits unter den Zeitgenoss*innen die üblichen, bis heute mit der transatlantischen Sklaverei verbundenen Waren im täglichen Leben sehr viel präsenter, zumal die oben genannten anderen Rohstoffe zu Heil- und Arzneistoffen oder zu Färbemittel weiterverarbeitet wurden. Darüber hinaus, so Wimmler, wurden Zucker, Schokolade, Baumwolle, Tabak und Kaffee auch als Symbole einer "modernen" Gesellschaft interpretiert und seit dem 18. Jahrhundert in der Öffentlichkeit auch in diesem Zusammenhang rezipiert.
Anhand der von dem evangelische Pfarrer Gottlieb Tobias Wilhelm (1758-1811) zwischen 1804 und 1806 veröffentlichten dreibändigen "Unterhaltungen über den Menschen" skizziert Mark Häberlein die durchaus intensive Rezeption und Diskussion sowohl des transatlantischen Sklavenhandels als auch der Bestrebungen zu dessen Abschaffung aus. Eine Analyse der von Wilhelm benutzten Quellen verweist zudem auf die medialen Kanäle, über die Informationen über Kolonien, Sklaverei und Sklavenhandel in der damaligen Zeit zirkulierten. Eine spannende Sammlung von Briefen, die von Kindern in den Gemeinden der Herrnhuter an versklavte Kinder in Surinam geschickt wurden, steht dann im Mittelpunkt des Beitrags von Jessica Cronshagen. Die unreflektierte Akzeptanz der Sklaverei, die in diesen Texten direkt ausgedrückt oder zumindest impliziert wird, erklärt, warum sich diese Institution so lange weitgehend unbehelligt in den Köpfen der Zeitgenoss*innen halten konnte. In dem letzten Artikel des Sammelbandes analysiert Sarah Lentz die öffentliche Reaktion auf eine gerichtliche Untersuchung aus den 1840er Jahren gegen drei hanseatische Schiffe, die wegen des Verdachts auf Sklavenhandel beschlagnahmt wurden. Die deutsche Presse wies jeden Hinweis auf eine Beteiligung zurück und vermutetet britische Propaganda hinter den Anschuldigungen. Die Argumente einer vermeintlichen deutschen moralischen Überlegenheit, die sich auf die angebliche Abwesenheit Deutschlands vom Sklavenhandel stützten, wurden sogar von deutschen Abolitionisten vertreten.
Zwar muss eine umfassende und systematische Untersuchung der vielfältigen deutschen Verstrickungen mit der (transatlantischen) Sklaverei noch geschrieben werden, doch liefern die aufschlussreichen Aufsätze des Bandes (und dann die aus dem ERC-Projekt erwachsenen Monographien) für ein solches Unterfangen erste substantielle Anknüpfungspunkte.
Anmerkungen:
[1] Josef Köstlbauer: "SklavInnen, Geschwister oder ZeugInnen - Positionen und Wahrnehmung außereuropäischer Menschen in den Herrnhutergemeinden des 18. Jahrhunderts"; Annika Bärwald: "Arbeit transkontinental: Nicht-Europäische ArbeiterInnen in der Region Hamburg, 1750-1840"; Julia Holzmann: "Verschleppte und versklavte Menschen in den Niederlanden im langen 18. Jahrhundert"; Jasper Hagedorn (seit September 2019): "Bremen als Teil der atlantischen Sklavenökonomie. Überseeexporte und der städtische Sklavereidiskurs 1780-1860."
[2] Felix Brahm / Eve Rosenhaft (eds.): Slavery Hinterland. Transatlantic Slavery and Continental Europe, 1680-1850, Woodbridge: Boydell Press 2016. Siehe meine Besprechung: sehepunkte 20,1 (2020).
[3] Jutta Wimmler / Klaus Weber (eds.), Globalized Peripheries. Central Europe and the Atlantic World, 1680-1860. Woodbridge: The Bodydell Press 2020. Siehe meine Besprechung in diesem Forum.
[4] Die Veröffentlichung des im Juni 2017 durchgeführten Workshops "Negotiating Status and Scope of Action - Interrelations between Slavery and Other Forms of Dependency in Early Modern Europe" steht noch aus.
Stephan Conermann