Rezension über:

Dániel Bagi: Divisio Regni. The territorial divisions, power struggles, and dynastic historiography of the Árpáds of 11th- and early 12th-century Hungary, with comparative studies of the Piasts in Poland and the Přemyslids of Bohemia (= Arpadiana; 2), Budapest: Research Centre for the Humanities 2020, 407 S., ISBN 978-963-416-206-3
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Rezension von:
László Veszprémy
Pázmány Péter Catholic University, Budapest
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
László Veszprémy: Rezension von: Dániel Bagi: Divisio Regni. The territorial divisions, power struggles, and dynastic historiography of the Árpáds of 11th- and early 12th-century Hungary, with comparative studies of the Piasts in Poland and the Přemyslids of Bohemia, Budapest: Research Centre for the Humanities 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 10 [15.10.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/10/36288.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Dániel Bagi: Divisio Regni

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Diese Monografie ist die erweiterte englische Übersetzung der 2015 verteidigten, 2017 auf Ungarisch herausgebrachten Dissertation von Dániel Bag. Der Verfasser untersucht die Geschichte der Reichsteilungen (divisio regni) am Beispiel von drei mittelalterlichen Ländern Mitteleuropas im Laufe des 11.-12. Jahrhundert (in Ungarn ab ca. 1048, in Böhmen ab 1055, in Polen ab 1097) einschließlich ihres historischen und ideengeschichtlichen Hintergrunds. Fast alle Angehörigen der vier bis sechs Generationen der drei beteiligten Dynastien - Árpáden, Piasten und Přemysliden - waren an den Thronfolgekonflikten und Machtkämpfen beteiligt. Die spektakulärste Folge solcher Auseinandersetzungen war von Zeit zu Zeit eine Reichsteilung. Ungarische, polnische, tschechische und slowakische Forscher haben sich seit Jahrzehnten mit diesem Ereignis beschäftigt und versucht, Erklärungen dafür zu finden, die sich allerdings unterscheiden und oft einander widersprechen. Die Ursache dafür liegt zum Teil in der begrenzten Zahl schriftlicher Quellen, und da diese durch nachträgliche Einfügungen und Verzerrungen modifiziert worden waren, lassen sich authentische Informationen nur unter Vorbehalt eindeutig identifizieren. Problematisch war ferner auch die Identifizierung der Mitglieder der einzelnen Dynastien, zudem mussten angesichts der allmählich zahlreicher werdenden Ergebnisse kirchengeschichtlicher, archäologischer und numismatischer Forschungen frühere Schlussfolgerungen revidiert werden. Obwohl der Verfasser sich im Quellenmaterial der gesamten Region gut auskennt, basiert der vorliegende Band im Wesentlichen auf Dokumenten aus Ungarn, da dort die größte Menge an schriftlicher Überlieferung, insbesondere Urkunden, Legenden und Gesetzen, erhalten geblieben ist.

Die Relevanz des Bandes wird auch dadurch gesteigert, dass bis in unsere Tage noch kein so umfassendes, detailliertes komparatives Werk über die Reichsteilungen in den erwähnten Ländern entstanden ist - vor allem keines, dessen Verfasser bestrebt gewesen wäre, auch die in verschiedenen Sprachen erschienene Fachliteratur so gründlich zu verwerten.

Nach dem einleitenden Kapitel (thematischer Rahmen, Forschungsstand) wird die Reichsteilung in allen drei Ländern unter die Lupe genommen. Die Untersuchungsaspekte umfassen die Herkunft dieses Phänomens, den Zeitpunkt von dessen Entstehung sowie eine detaillierte Analyse der Funktion der Territorialherrschaft selbst (Herrschersitze, Bischofsitze, Patrozinien, Hofhaltung, militärische Funktionen, Münzprägung, Schenkung von Grundbesitz usw.). Im zweiten Teil des Bandes, der die Abläufe rund um mehrere dynastische Konflikte behandelt, werden auf Grundlage der internationalen, vor allem deutschen Konfliktforschung und anhand einer Deutung der symbolischen Kommunikation die einzelnen Konfliktsituationen, ihre Teilnehmer sowie die Umstände untersucht, welche die Thronfolge beeinflussen. Der Verfasser hebt die Rolle der Freundschaft (amicitia), der Selbstunterwerfung (deditio), der Vormundschaft und des Eides bei dem Ausbruch der Konflikte sowie deren Lösungsversuchen hervor. Eine seiner wichtigsten Feststellungen besagt, dass in keinem der betroffenen Länder eine normative Erbfolgepraxis entstanden sei.

Bagi untersucht eingehend die wichtigsten politischen Begriffe jener Zeit (consensus, designatio) und behandelt sodann die einzelnen Argumentationsstrategien, in deren Interesse die nur wenig später entstandenen historiografischen Werke die jüngste Vergangenheit umformten (idoneitas, legitimitas). Dem Verfasser zufolge bedienten sich die Chronisten solcher dynastischer Konflikte, sofern sie die Ansprüche auf die Macht (oder den Thron) des einen oder anderen Familienmitgliedes untermauern wollten, eines der drei folgenden Argumente: erstens, dass der Betreffende entsprechende Vorfahren habe; zweitens, dass er selbst oder seine Vorfahren gekrönt worden seien; drittens, dass er über die Fähigkeit der gesta militaria verfüge.

Der komparative Ansatz der Untersuchung beruht darauf, dass die betreffenden Territorien Bestandteil des karolingisch-ottonischen Erbes gewesen sind; dies erklärt auch, warum die Kiewer Rus nicht behandelt wird. Mit der Eingliederung in die westliche Kirche gerieten diese Länder zugleich auch unter den Einfluss des westlichen politischen Kräftefelds, während die Rus einen anderen Weg einschlug. Als einen Unterschied arbeitet der Verfasser heraus, dass sich hinter den Kulissen der ungarischen Thronkämpfe des 11. Jahrhunderts die traditionellen Verhältnisse der Führungsschicht umstrukturierten. Anders als in Böhmen und Polen teilten die Betroffenen nicht das Territorium, sondern die Macht über das gesamte Gebiet unter sich auf. Die Frage nach dem territorialen Charakter der ungarischen Herzogtümer ist in der Fachliteratur immer noch umstritten. Im Ostmitteleuropa des 11. Jahrhundert spielten bei Reichsteilungen eher strukturelle Unterschiede als Ähnlichkeiten die entscheidende Rolle, so suchen die modernen Historiker in der Praxis der Reichsteilung vergeblich nach den Spuren eines hypothetisch rekonstruierten einheimischen slawischen, germanischen oder gar ungarischen Erbes aus früheren Epochen. Umstritten ist ferner unter slowakischen und ungarischen Historikern die Theorie eines "Herzogtums (ducatus) von Nyitra/Nitra/Neutra", besonders was dessen großmährischen Ursprung betrifft. Diese Frage untersucht Bagi im Kontext der ungarischen Reichsteilungen, und auf diese Weise formt er seine äußerst zurückhaltende Meinung - eine Vorgehensweise, mit der er alle umstrittenen und oft nur hypothetisch zu beantwortenden Fragen behandelt, die in diesem Band vorkommen.

Interessant ist auch, dass es im 12. Jahrhundert - im Gegensatz zum böhmisch-polnischen Modell derselben Zeit - nicht zu einer territorialen Verselbständigung und Stabilisierung des ungarischen Herzogtums gekommen ist. Das begründet der Verfasser damit, dass die Gesamtheit der Institutionen des karolingisch-ottonischen Königtums sich nur im Königreich der Árpáden entfaltet habe, wodurch in Ungarn eine dauerhafte Reichsteilung dank einer sakralen und einer hegemonischen königlichen Macht verhindert worden sei. Eine wichtige Errungenschaft des Bandes besteht darin, dass es dem Verfasser gelingt zu beweisen, dass eine Reichsteilung stets als Ergebnis einer Vereinbarung zustande gekommen ist. Im ungarischen Fall wurde eine solche Vereinbarung zwischen zwei Mitgliedern der Dynastie geschlossen, im Gegensatz zu Böhmen und Polen, wo alle Familienmitglieder beteiligt waren. Bagi deutet die Reichsteilung als eine Art von Machtausübung, die zur Entstehung des Herzogtums (ducatus) geführt habe, eines Prozesses, in dem die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Dynastie zu Unter- und Überordnungen umgestaltet worden seien.

Die den Band ergänzenden Landkarten und die Bibliografie stellen wichtige Hilfsmittel für diejenigen dar, die sich für das Thema interessieren. Leider hat aber der Verfasser eigentlich vorhandene Übersetzungen ungarischer Fachliteratur nicht in jedem Fall angegeben, so bei Márta Font [1] oder sogar bei eigenen Aufsätzen [2]. Für englischsprachige Leser wäre ein Hinweis darauf, dass die wichtigsten Quellen in der Reihe Central European Medieval Texts von CEU Press auf Lateinisch und Englisch zugänglich sind, von Nutzen gewesen.[3]

Es ist zu hoffen, dass Bagis zahlreichen neuen Schlussfolgerungen zu den Reichsteilungen, welche die mittelalterliche Geschichte mehrerer Länder für eine lange Zeit bestimmt haben, die einschlägige Forschung zu einem fruchtbaren Dialog anregen wird.


Anmerkungen:

[1] Im Spannungsfeld der christlichen Großmächte. Mittel- und Osteuropa im 10.?12. Jahrhundert, Herne 2008.

[2] Z. B. fehlt Dániel Bagi: The Dynastic Conflicts of the Eleventh Century in the Illuminated Chronicle, in: Studies to the Illuminated Chronicle, ed. by János M. Bak / László Veszprémy [u. a.], Budapest / New York 2018, S. 139-158.

[3] János M. Bak / Lászlo Veszprémy (eds.): The Illuminated Chronicle. Chronicle of the Deeds of the Hungarians from the Fourteenth-Century Illuminated Codex, Budapest / New York 2018. Erst kürzlich erschienen und eventuell daher nicht mehr berücksichtigt ist János M. Bak / Pavlína Rychterová (eds.): Cosmae Pragensis Chronica Bohemorum / Cosmas of Prague, the Chronicle of the Czechs, Budapest 2019. Deutlich früher lag aber bereits vor: Lisa Wolverton (Übers.): The Chronicle of the Czechs. Cosmas of Prague, Washington, D.C. 2009.

László Veszprémy