Rezension über:

Michael Van Dussen / Pavel Soukup (eds.): A Companion to the Hussites (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 90), Leiden / Boston: Brill 2020, XII + 454 S., ISBN 978-90-04-39786-6, EUR 199,00
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Rezension von:
Přemysl Bar
Masaryk-Universität, Brno
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Přemysl Bar: Rezension von: Michael Van Dussen / Pavel Soukup (eds.): A Companion to the Hussites, Leiden / Boston: Brill 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 10 [15.10.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/10/36290.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Michael Van Dussen / Pavel Soukup (eds.): A Companion to the Hussites

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Zwar mangelt es in der heutigen englischsprachigen Forschung nicht an Interesse für Jan Hus sowie die hussitische Bewegung (Vergleich zum Beispiel einige Monografien von Thomas A. Fudge [1]), jedoch verdienen es die Herausgeber des vorliegenden Handbuchs dennoch, gewürdigt zu werden. Ihr Ziel besteht unter anderem darin, die hussitische Bewegung im Kontext der philosophischen, theologischen und religiösen Entwicklung jener Zeit im Abendland zu verdeutlichen und dabei zwei radikale Standpunkte zu vermeiden, denen zufolge der Hussitismus entweder als typisches oder umgekehrt als ganz und gar einzigartiges Phänomen im Spätmittelalter beziehungsweise im vorreformatorischen Zeitalter anzusehen sei (14).

Die internationale Dimension spiegelt sich auch im Kreis der Beiträger*innen wider, der nicht nur aus tschechischen, sondern auch amerikanischen, kanadischen und französischen Forscher*innen gebildet wird. Die durchdachte und ausgewogene Zusammensetzung des Autorenkollektivs ist auch in einer weiteren Hinsicht sinnvoll: Die thematischen Kapitel entsprechen meistens einem langfristigen Forschungsvorhaben der Autorin beziehungsweise des Autors.

Dem behandelten Sachverhalt entspricht der sachliche und chronologische Aufbau des Sammelbandes. In fünf Abschnitten wird das Phänomen "Hussitismus" ab den vorhussitischen Reformbestrebungen im 14. Jahrhundert (Olivier Marin) bis zum Beginn der Reformationsepoche im 16. Jahrhundert (Phillip Haberkern) behandelt. Allerdings geben die Herausgeber Michael Van Dussen und Pavel Soukup selbst zu, dass sie vor allem religiöse Aspekte in den Vordergrund stellen wollen, während die gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge nur beiläufig Erwähnungen finden. Dementsprechend erhält man ausführliche Kenntnis von den hussitischen (daneben auch von manchen katholischen) Theologen aller Richtungen (Petra Mutlová, Jindřich Marek), den grundlegenden theologischen Thesen (Dušan Coufal) einschließlich des apokalyptischen Denkens (Pavlína Cermanová), der Rezeption der Philosophie und Theologie John Wyclifs in Böhmen (Stephan E. Lahey), der Verwaltung der utraquistischen Kirche (Blanka Zilynská), der Bedeutung der tschechischen Volkssprache in der homiletischen und theologischen Literatur (Pavlína Rychterová), den Innovationen in der Liturgie und den Religionspraktiken (David R. Holeton, Pavel Kolář, Eliška Bat'ová) sowie den Anfängen der Böhmischen Brüder (Ota Halama). Nur auf die Gestalt des Jan Hus wird nicht näher eingegangen, weil ihm schon ein früherer Band dieser Reihe gewidmet worden ist. [2]

Die starke Fokussierung mehrerer Beiträge auf die Ideengeschichte (vor allem in theologischer und philosophischer Hinsicht) führt dazu, dass manche Personen oder Tatsachen wiederholt, hingegen andere, die für das Verständnis des Hussitismus ebenfalls von großer Bedeutung wären, gar nicht oder nur am Rande erwähnt werden. Der bedeutendste hussitische Hauptmann Jan Žižka kommt nur in dem Kapitel über die besonders radikalen Gruppen vor, wo seine Rolle bei der gewaltsamen Unterdrückung der sogenannte "Adamiten" hervorgehoben wird (208-210). An anderer Stelle wird man sehr ausführlich und unter vielerlei Gesichtspunkten über den ideologischen Hintergrund des Hussitimus, zum Beispiel über die Auslegung der Offenbarung durch Jakobellus von Mies und Nikolaus Biskupec, informiert, aber kaum über die Verwirklichung der jeweiligen Ideen durch die "Gotteskämpfer".

Dieses auf religiöse Aspekte fokussierte Handbuch bietet zwar einen tieferen Einblick insbesondere in solche Zusammenhänge, die gerade für englischsprachige Forscher*innen sonst nicht zugänglich wären, einige umstrittene Fragen werden jedoch nicht immer in der erforderlichen Klarheit beantwortet. Als Beispiel kann dafür eine kontroverse Theorie zur Kontinuität der Reformideen dienen. Während Marin es für eine Vereinfachung hält, dass der von Jakobellus von Mies in die Liturgie eingeführte Laienkelch unmittelbar an die Idee der häufigen Kommunion, die Mathias von Janov unter anderen am Ende des 14. Jahrhundert propagiert habe, angeknüpft habe (20), betrachten Holeton, Kolář und Bat'ová diese Behauptung als glaubwürdig (332). Ohne einen Verweis auf die jeweils andere Aussage kann ein Leser irregeführt werden.

Die kulturgeschichtlichen Aspekte treten im Kapitel über die tschechische Volkssprache in der religiösen Literatur stärker in den Vordergrund, wo ihre unersetzliche Bedeutung für die Laienfrömmigkeit betont wird. Dasselbe gilt für den Abschnitt über die Religionspraxis des gemäßigten Utraquismus sowie der radikalen Tabor-Kommune in zeitgenössischen Zusammenhängen. Kunsthistorische Aspekte wurden hier absichtlich weggelassen, weil sie in einem anderen Sammelband behandelt werden. [3] Eine breitere historische Perspektive nehmen hingegen zwei Kapitel über die Anfänge der Böhmischen Brüder (1458-1496) bzw. die Wechselbeziehungen zwischen der böhmischen Reformation und den Protestanten im frühneuzeitlichen Europa ein. In beiden Beiträgen werden die politische, gesellschaftliche und ethnische Dimension der jeweiligen religiösen Bewegung mitberücksichtigt.

Das Handbuch ist als sehr wertvoll und nutzbringend einzuschätzen, insbesondere (aber nicht ausschließlich) für die englischsprachige Forschung. Es vermittelt den aktuellen Forschungsstand über das Phänomen "Hussitismus" hinsichtlich einer Vielfalt von Aspekten, wenn auch mit Schwerpunkten auf der Ideengeschichte und Religion. Jedes Kapitel ist überdies mit einem aktuellen Quellen- und Literaturverzeichnis versehen, wobei nicht nur Quelleneditionen, sondern auch die handschriftliche Überlieferung angeführt werden. Kurz gesagt: Das Buch stellt ein Must-have für jede Forscherin und jeden Forscher des Hussitismus dar.


Anmerkungen:

[1] Thomas A. Fudge: Jan Hus. Religious Reform and Social Revolution in Bohemia, London 2017; ders.: Jerome of Prague and the Foundations of the Hussite Movement, New York 2016; ders.: The Memory and Motivation of Jan Hus, Medieval Priest and Martyr, Turnhout 2013; ders.: The Trial of Jan Hus. Medieval Heresy and Criminal Procedure, Oxford 2013.

[2] František Šmahel / Ota Pavlíček (eds.): A Companion to Jan Hus, Leiden / Boston 2015.

[3] Kateřina Horníčková / Michal Šroněk (eds.): From Hus to Luther. Visual Culture in the Bohemian Reformation (1380-1620), Turnhout 2016.

Přemysl Bar