Rezension über:

Christoper Prescott / Arja Karivieri / Peter Campbell et al. (eds.): Trinacria, 'An Island Outside Time'. International Archaeology in Sicily, Oxford: Oxbow Books 2021, XXIV + 215 S., zahlr. Abb., ISBN 978-1-78925-591-1, GBP 55,00
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Rezension von:
Thomas Lappi
Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Lappi: Rezension von: Christoper Prescott / Arja Karivieri / Peter Campbell et al. (eds.): Trinacria, 'An Island Outside Time'. International Archaeology in Sicily, Oxford: Oxbow Books 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 12 [15.12.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/12/36004.html


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Christoper Prescott / Arja Karivieri / Peter Campbell et al. (eds.): Trinacria, 'An Island Outside Time'

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Eine Zusammenarbeit zwischen Denkmalverwaltungen und internationalen Forschungsteams ist nicht selbstverständlich und in vielen Regionen des Mittelmeerraums nur selten in einer entsprechenden Tiefe wie in Sizilien möglich. In Sizilien funktionieren die Kooperationen und gemeinsamen Projekte meist ohne größere Probleme und sind bereits an sich eine Erfolgsstory, die auch die Forschungen in und zu Sizilien prägen sowie dem Charakter der Insel als Vermittlerin zwischen Ost und West, Süd und Nord in ihrer zentralen Position im Mittelmeer gerecht werden. Der jüngst vorgelegte Sammelband ist ein weiteres Zeugnis dafür. Er beinhaltet die Beiträge der internationalen Tagung "Archaeology in Sicily. International Collaborative Missions", die vom 8.-9. April 2019 im Schwedischen, Norwegischen und Finnischen Institut in Rom sowie der British School at Rome stattfand. Die Tagung wurde ursprünglich unter Beteiligung von Sebastiano Tusa organisiert, der für seine Unterstützung und Förderung internationaler Forschungen auf Sizilien bekannt war, dessen tragischer Tod im März 2019 jedoch die Veranstaltung überschattete. Die Publikation der Tagungsbeiträge ist daher dessen Andenken gewidmet. Den Beiträgen wurde ein Vorwort (VII-IX) seiner Witwe Valeria Li Vigni Tusa vorangestellt, die Sebastiano Tusa als internationale Persönlichkeit der Archäologie und Kultur Siziliens würdigt und darauf folgt die wissenschaftliche und institutionelle Würdigung von Sebastiano Tusa durch Paola Pelagatti (IX-XXIII).

Das Vorwort der Herausgeber*innen (XIII-XVIII) nimmt ebenfalls Bezug auf Sebastiano Tusa und fasst die hier versammelten Beiträge zusammen. Ziel der Tagung war es, die fruchtbare internationale Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden und den internationalen Forschungsgruppen auf Sizilien aufzuzeigen. Dabei fehlt aber eine Rückschau auf die Geschichte der internationalen Forschungskooperationen auf Sizilien. Die forschungsgeschichtliche Einordnung und Bewertung internationaler Kooperationen wäre eine Bereicherung für den Tagungsband gewesen. So bleibt aber die Auswahl der Tagungsbeiträge teilweise schwammig und das eigentliche Thema der Zusammenarbeit zwischen internationalen Partnern und den Behörden auf Sizilien wird in einzelnen Beiträgen nur am Rande gestreift und allzu häufig nur indirekt durch die Ergebnisse der hier präsentierten Projekte gespiegelt.

Entsprechend der inhaltlich offenen Formulierung des Tagungsthemas spannen die einzelnen Beiträge einen breiten chronologischen Bogen vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis zum Mittelalter und umfassen neben Grabungsprojekten die Ergebnisse von Geländebegehungen, unterwasserarchäologischen Untersuchungen sowie epigraphischen Projekten. Die Grabungsprojekte umfassen die Arbeiten in Naxos (1-11), Francavilla di Sicilia (13-17), die Praedia Philippianorum in Enna (19-32), Morgantina (56-69; 71-84), Akrai (33-44), Himera (97-105), Halaesa (107-120), Monte Iato (121-131; 133-140) und Marsala/Lilybaeum (151-157). Die Ergebnisse von Geländebegehungen werden in Beiträgen zu Gela und den Monte Sicani (85-95), zu Salemi und Umgebung (141-149) sowie zu einem Survey zwischen Marsala und Mazara del Vallo (159-165) besprochen. Die Frage der Landnutzung in diachroner Perspektive steht hier im Vordergrund, aber auch die unterschiedliche Nutzung verschiedener Naturräume. Die drei Beiträge stehen stellvertretend für eine ganze Reihe weiterer Survey-Projekte, die in den vergangenen 20 Jahren auf Sizilien durchgeführt wurden. Unterwasserarchäologische Beiträge diskutieren das Church Wreck vor Marzamemi an der Südostspitze Siziliens (45-53) sowie das maritime Schlachtfeld bei den Ägadischen Inseln westlich von Sizilien, das die Überreste der entscheidenden Seeschlacht zwischen Karthago und Rom im Ersten Punischen Krieg beherbergt (167-179). Die Unterwasserarchäologie erhielt zwar in den letzten Jahrzehnten vermehrte Aufmerksamkeit, ihre Ergebnisse sind aber in der historischen und archäologischen Forschung noch immer unterrepräsentiert, obwohl sie mit den aufwendigen und prestigereichen Untersuchungen zum einzig bekannten maritimen Schlachtfeld (167-179) und den Untersuchungen zum Church Wreck (45-53) wichtige Beiträge zum Verständnis der maritimen Schifffahrt und weit darüber hinaus liefern. Der Band schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse zum digitalen Inschriftencorpus Siziliens i.Sicily ab (181-192), der gleichzeitig einen Ausblick auf die Fortführung und Verstetigung der Ergebnisse innerhalb der digital humanities im Rahmen des ERC-Projekts Crossreads bietet.

Durch die Vielfalt der Beiträge wird der aktuelle Forschungsschwerpunkt in Sizilien deutlich. Nach wie vor liegt das Hauptinteresse auf den antiken Siedlungen und konzentriert sich vor allem auf die griechische Antike und die Phase der römischen Herrschaft bis zur frühen Kaiserzeit. Spätere Befunde werden lediglich im Beitrag zu den Praedia Philippianorum in Gerace bei Enna (19-32) und den Befunden in Halaesa (107-120) thematisiert. Nur in einem Beitrag werden paläoethnobotanische und archäozoologische Aspekte diskutiert (33-44), die in Sizilien bislang kaum thematisiert wurden und daher eine umso willkommenere Bereicherung der archäologisch-historischen Forschung sind, da sie unser Verständnis der antiken Landnutzung und Wirtschaft vertiefen.

Die Grabungsprojekte nehmen den Großteil des Tagungsbandes ein und können nur summarisch besprochen werden. Sie zeigen aber exemplarisch die Bandbreite aktueller Forschungen in Sizilien auf. Sie reichen vom Aufbau georeferenzierter Kartierungen archäologischer Reste in Naxos und Lilybaeum über neue Grabungen in Francavilla di Sicilia bis hin zu Resümees und Zusammenfassungen laufender und bereits abgeschlossener Projekte. Alle Beiträge bieten einen guten Einstieg in die vorgestellten Forschungsprojekte, indem sie die ausgeführten Arbeiten und die erzielten Ergebnisse zusammenfassen. In Naxos (1-11) und Lilybaeum (151-157) werden grundsätzliche topographische Fragen und alte Befunde zusammengefasst und geklärt, indem in Zusammenarbeit mit den archäologischen Parks Vermessungen sowie architektonische und geophysikalische Surveys durchgeführt wurden. Damit werden die Grundlagen gelegt, um weiterführende urbanistische und topographische Fragestellungen zu prüfen. In Naxos konnte dadurch die archaische und klassische Stadtanlage genauer definiert und in Grabungen die früheste Phase der Siedlung nachgewiesen werden. Beides sind entscheidende Beiträge für das Verständnis der Genese und Entwicklung der griechischen Apoikien auf Sizilien.

Besonders anschaulich sind Beiträge, die zahlreiche Vorberichte aktuell zusammenfassen und damit die Interpretationen und Gewichtungen der Ergebnisse innerhalb der Projekte aufdecken. Christoph Reusser liefert eine kompakte Übersicht über die Forschungen der letzten 10 Jahre auf dem Monte Iato (121-131), die eine erfreuliche und notwendige Verschiebung des Forschungsinteresses hin zur Eingliederung und Aufarbeitung alter Grabungsbefunde aufzeigt. Solch ein Ansatz führt zusammen mit kleineren Sondagen zu neuen Ideen und Interpretationen. So schlägt Martin Mohr (133-140) in einem zweiten Beitrag zum Monte Iato die Identifikation einer Baustruktur als Gymnasium vor. Gymnasien sind auf Sizilien in den Schriftquellen zwar zahlreich bezeugt, aber archäologisch nur in Agrigent und Solunt eindeutig nachgewiesen, wie der Autor ganz richtig hervorhebt. Der eindeutige Nachweis gelingt auch nicht für den Bau auf dem Monte Iato und weitere Untersuchungen müssen abgewartet werden, so dass die hier vorgebrachte Identifizierung als Arbeitshypothese betrachtet werden muss.

Ältere Grabungsarbeiten sind auch die Grundlage für den Beitrag zu den Bädern in Morgantina (71-84). Sandra Lucore diskutiert hier die vorläufigen Ergebnisse der neuen Untersuchungen mit der vollständigen Freilegung zweier Badeanlagen und liefert gleichzeitig wichtige Einblicke in die Technik und den Standard solcher Anlagen. Sie berücksichtigt und diskutiert auch ihre urbanistische Lage und die Nutzung des Stadtgebiets. Die Definition des Areals gelingt jedoch überzeugender im Beitrag von Alex D. Walthall (56-69), der die in zahlreichen Vorberichten publizierten Überlegungen zu einem großen Haus südlich des Nordbades und östlich des Südbades von Morgantina zusammenfasst und teilweise korrigiert. Eng verbunden ist damit auch die Frage der Nutzung des Hinterlandes solcher Siedlungen. Kristian Göransson geht dieser Frage in Francavilla di Sicilia nach und untersucht eine bislang wenig bekannte Siedlung in etwa 20 km Entfernung zu Naxos. Er vermutet in der Stadt die literarisch genannte Stadt Kallipolis, wofür es aber keinen Beweis gibt. Zumindest sind ein Heiligtum des 6. Jh.s v. Chr. sowie Häuser des 5. bis 3. Jh.s v. Chr. nachgewiesen - der genaue Charakter und die Rolle der Siedlung sind jedoch weiterhin unbekannt. Elena Mango erweitert die Kenntnis der Sakraltopographie von Himera (97-105) auf dem bislang nicht untersuchten Plateau Piano del Tamburino, wo sie mit ihrem Team zwei Heiligtümer der archaischen und klassischen Zeit entdeckt hat. Der bisherige Kenntnisstand ist knapp dargelegt und beweist, dass auch der bislang nicht untersuchte Bereich westlich der bekannten klassischen Wohnstadt ein bedeutender Teil der Stadt war. Ganz neu sind die Forschungen zum Theater in Halaesa (107-120). Das bis dato zwar vermutete, aber noch nicht ausgegrabene Theater wurde mit neuesten Methoden dokumentiert und in Testgrabungen erforscht. Dabei konnte gezeigt werden, dass das Theater in den anstehenden Fels eingetieft wurde und einen halbkreisförmigen, 38 m tiefen Zuschauerbereich besaß. Weitere Sondagen weisen darauf hin, dass der Zuschauerraum von einem Bühnengebäude abgeschlossen wurde. Der Einsatz neuester Untersuchungsmethoden lässt darauf hoffen, dass in Zukunft die Geschichte der Theater in Sizilien in Hinblick auf ihre Chronologie und Gestaltung besser verstanden werden kann.

Bei den Surveyprojekten sticht das Arizona Sicily Project hervor (159-165). Es ist in der Methodik und den Zielen transparent und fasst die bisherigen Ergebnisse konzise zusammen. Die Autoren untersuchen eine Fläche zwischen Marsala im Westen und Mazara del Vallo im Osten, indem sie afrikanische (Keramik)Importe als Gradmesser für die Beziehungen zu Nordafrika heranziehen. Die diachrone Untersuchung reicht bis in die jüngste Vergangenheit, indem migrantische Zeugnisse dokumentiert und die Fragestellung miteinbezogen werden. Johannes Bergemann (85-95) verfolgt mit den Daten aus drei Surveys die Frage, inwiefern sich Chora und Eschatia im Surveybefund voneinander unterscheiden. Es bleibt unklar, was er unter beiden Begriffen versteht. Jedenfalls sieht er in den ausgedehnten Küstenebenen um Gela und Kamarina viele Gehöfte und griechische Importkeramik. Im Hinterland, das von indigenen Siedlungsplätzen dominiert wurde und im Vergleich zur Küstenregion bergig ist, sind Gehöfte und griechische Importe seltener. Wobei beide Befunde allein schon angesichts der Topographie und der möglichen Landnutzung nicht überraschen. Hinzu kommt die Schlussfolgerung, dass in der Eschatia, d. h. dem Hinterland, seltener Wein mit Wasser vermischt wurde und somit auch seltener Symposia nach griechischer Sitte gefeiert wurden. Diese Interpretation bestätigt generelle Trends, die im Hinterland Siziliens beobachtet werden können. Allerdings lässt sich die Aussage nicht anhand der vorgelegten Daten prüfen. Am Beispiel der Schwarzfirniskeramik (Abb. 8.8) bleibt beispielsweise unklar, welche Keramikformen unter welcher Kategorie zu fassen sind, welche Signifikanz sie für das Symposium besaßen und inwiefern ihr unterschiedliches Mengenverhältnis zwangsläufig auf die Trinksitten zurückgeführt werden muss. Weniger Symposionsgeschirr wäre auch damit zu erklären, dass es im bergigen Hinterland insgesamt weniger Fundstellen von Gehöften oder ähnlichen Strukturen gibt und damit auch weniger Orte, die für ein Symposion geeignet waren. Auch im dritten Survey-Beitrag zu Salemi (141-149) ist diese problematische Unschärfe zu erkennen. Die Autoren versuchen Aussagen zu Bevölkerungsgröße und -dichte zu treffen, liefern aber nicht die notwendige Datengrundlage. Auch beim Close Reading einzelner Fundstellen wird nicht klar unterschieden, wo die Deutung noch auf Fakten basiert und ab wann Hypothesen geäußert werden. Es kann daher bei einzelnen Überlegungen nicht bewertet werden, ob die zugrundeliegenden Argumente überhaupt als valide betrachtet werden können. Konkret wird Salemi als eigenständiges Zentrum interpretiert und mit dem literarisch überlieferten Halikyai identifiziert, obwohl nur wenige archäologische Sondagen im Stadtgebiet durchgeführt wurden und keinerlei Schriftzeugnisse die Identifikation beweisen. Weitreichende Schlussfolgerungen erscheinen auf dieser Basis zumindest fraglich. Außerdem fällt auf, dass lediglich Publikationen bis 2009 berücksichtigt wurden. Das ist umso bedauerlicher, als dass in den letzten Jahren zahlreiche neue Beiträge zu Sizilien erschienen sind. Die Chance, das alte Survey-Projekt zu aktualisieren und die Daten im Licht neuer Forschungen zu bewerten, wurde so vertan.

Die unterwasserarchäologischen Projekte werden in den beiden Artikeln gut zusammengefasst und bieten einen Überblick über die Arbeiten und Ergebnisse. Im Beitrag zum maritimen Schlachtfeld der ägadischen Inseln (167-179) wird es nautisch unerfahrenen Leserinnen und Lesern durch den exzessiven Gebrauch von Fachbegriffen schwergemacht, der Argumentation zu folgen. In einem Überblicksartikel wären Erklärungen zu nautischen Begriffen gerade im Hinblick auf die Morphologie der Rostrae in Form von Schaubildern erfreulich gewesen und hätten das Verständnis des Beitrags erleichtert.

Im gesamten Buch sind immer wieder kleinere Fehler in Anmerkungs- und Abbildungsverweisen zu finden, lassen sich aber schnell auflösen. Störender ist jedoch, dass die beigefügten Pläne einzelner Beiträge zu klein abgedruckt sind und die Orientierung damit beinahe unmöglich ist. Einzelne Befundfotos sind teilweise durch nicht mehr erkennbare Maßstäbe und Nordpfeile unlesbar und besitzen nur noch illustrativen Charakter. Sie können ein im Text vorgebrachtes Argument im Briefmarkenformat jedenfalls nicht stützen. Ebenso sind einzelne Fundfotografien ohne Maßstab oder Hinweis auf die Größenverhältnisse abgedruckt. Dies ist angesichts der ansonsten guten Qualität der sorgfältig ausgewählten Abbildungen bedauerlich, zumal Abbildungen gerade in diesem Sammelband Trägerinnen wissenschaftlicher Informationen sind und nicht rein illustrativen Zwecken dienen.

Der Tagungsband bietet insgesamt einen guten Überblick. Die Zusammenstellung der Beiträge ermöglicht es, einen aktuellen Arbeitsstand oder Zusammenfassungen von laufenden und abgeschlossenen Projekten internationaler Kooperationen auf Sizilien zu gewinnen. Der Band sei daher vor allem denjenigen empfohlen, die sich einen schnellen Überblick über aktuelle Forschungen auf Sizilien verschaffen möchten oder zu einem bestimmten Fundplatz Informationen suchen. Auf jeden Fall zeugt er von der tiefen und vertrauensvollen Zusammenarbeit der unterschiedlichen Denkmalverwaltungen auf Sizilien mit internationalen Partnern, die es in Zukunft aufrechtzuerhalten gilt.

Thomas Lappi