Rezension über:

Joachim Werz: Bernhard von Clairvaux auf der Bühne der Jesuiten. Edition und Übersetzung der 'Divi Bernardus Tragicomoedia' aus dem Kölner Gymnasium Tricoronatum (= Klosterwelten. Religiöses Leben seit der Frühen Neuzeit; Bd. 2), Münster: Aschendorff 2021, 255 S., 14 Abb., ISBN 978-3-402-23024-4, EUR 39,00
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Rezension von:
Alexander Winkler
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Winkler: Rezension von: Joachim Werz: Bernhard von Clairvaux auf der Bühne der Jesuiten. Edition und Übersetzung der 'Divi Bernardus Tragicomoedia' aus dem Kölner Gymnasium Tricoronatum, Münster: Aschendorff 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 1 [15.01.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/01/35888.html


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Joachim Werz: Bernhard von Clairvaux auf der Bühne der Jesuiten

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Das Jesuitendrama wurde einmal als "Vorläufer der Massenmedien" bezeichnet [1]: in den (katholischen) Städten der Frühen Neuzeit allgegenwärtig, mitreißend, breitenwirksam, ja manipulativ, mit einem starken Fokus auf die Unmittelbarkeit des Erlebens. Die Dramen, die uns wenigstens dem Titel nach bekannt sind, zählen nach Hunderten, wenn nicht gar Tausenden. [2] Überliefert sind freilich nur einige, modern ediert die allerwenigsten. [3]

Der hier besprochene Band erschließt nun einen weiteren Text dieses Corpus. Der Herausgeber ist Theologe mit einem Forschungsschwerpunkt im Bereich des Zisterzienserordens. Dieses Interesse begründet auch die Textauswahl für die vorliegende Ausgabe. Die Divi Bernardi Tragicomoedia entstammt einem dramatischen Sammelkodex aus dem Kölner Jesuitengymnasium Tricoronatum, der heute im Historischen Archiv der Stadt Köln aufbewahrt und von diesem auch online bereitgestellt wird. [4] Die Tragicomoedia bringt in zwei Akten [5] die Abkehr Bernhards von seiner Familie und die Hinwendung zu Gott auf die Bühne.

Die knappe Einführung zum Jesuitentheater (11-21) ist nützlich und gelungen. Verdienstlich ist zudem das für den Zeitraum vom 1561-1771 211 Titel [6] umfassende 'Repertorium der Jesuitenschauspiele in Köln' (40-104), das sich im Aufbau an Valentins Répertoire orientiert, allerdings nur datierbare Stücke aufführt. Wünschenswert wäre, dass derlei Forschungsdaten (wie übrigens auch der lateinische Text der Ausgabe) zusätzlich in einer bequemer be- und nachnutzbaren Form auch digital präsentiert werden.

Die Handschrift, die die Tragicomoedia überliefert, hält Werz (107) für eine Mitschrift, die "während der Proben und Aufführungen entstanden" (105) sei, und begründet seine Vermutung mit der "uneinheitliche[n] Zeichensetzung", dem "teilweise unübersichtliche[n] Aufbau der Handschrift" und "einige[n] Fehler[n] in Grammatik und Syntax" (alle 107). Der Annahme widersprechen jedoch mindestens zwei typische Abschreibefehler in der Handschrift. Fol. 374v wiederholt der (Ab-)Schreiber "mente" (Dittographie) und korrigiert den Fehler, indem er "mente" durchstreicht und durch das (nicht zuletzt auch metrisch) richtige "pede" ersetzt. Deutlicher noch für eine Abschrift spricht der Zeilensprung in fol. 377v. Hier verführt das Wort "malum", das in kurzem Abstand an zwei Versenden steht, den Kopisten zum Überspringen mehrerer Verse. Es dürfte sich also nicht um eine Mitschrift handeln, sondern um eine Abschrift. Näheres zur Ausgangshandschrift lässt sich freilich kaum sagen.

Der lateinische Text der Edition stellt eine treue Transkription der Handschrift dar. Obwohl laut Editionsprinzipien die "variierende Interpunktion [...] zugunsten der syntaktischen Einheiten ergänzt" wurde (123), behindert die Zeichensetzung dennoch häufig ein adäquates Textverständnis. So etwa 141, Z. 1-2 ("Obstante patrum amore famulatus Dei, / Proli negatur"), wo das Komma dem syntaktischen und semantischen Zusammenhang entgegensteht, oder 196, Z. 17, wo ein fehlender Einschnitt auch zu einer falschen Übersetzung führt. [7]

Vereinzelt ist die Transkription fehlerhaft [8], einige Fehler in der Handschrift werden aber auch zurecht korrigiert. [9]

Der lateinische Text ist nicht immer leicht verständlich und stellt für den Übersetzer gewiss eine Herausforderung dar; für die Leserin ist die Übersetzung somit eine wichtige Hilfe bei der Erschließung des Texts. Umso bedauerlicher ist es, dass die Übersetzung sehr fehlerbehaftet ist. So etwa 128, Z. 11-12 "nescius fluxas opes / Magno teneri", was mit "unwissend, dass die verfallenden Reichtümer zu dem Großen gehören". Richtiger wird man wohl "magno teneri" analog zu "magno haberi" als "hoch schätzen" verstehen. Gleich zweimal wird der Indische Ozean (Indicum fretum bzw. mare, 144, Z. 14 und 174, Z. 21) mit dem Zeigefinger (index) verwechselt, was für die Übersetzung natürlich nahezu unüberwindliche Härten erzeugt. 152, Z. 10 wird in "regiam cogito" der Richtungsakkusativ nicht erkannt und somit statt "ich bin auf dem Weg zum Palast" die falsche Übersetzung "[i]ch habe ein Schloss im Sinn" gewählt. Derlei Fehler finden sich leider zuhauf.

Die maßvoll eingesetzten Fußnoten konzentrieren sich auf Sacherklärungen zu - zumeist antiken - Realien.

Alles in allem hinterlässt die Ausgabe einen gemischten Eindruck: Es ist fraglos ein Gewinn, dass die Forschung verschiedener Disziplinen auf dieses Bernhard-Stück hingewiesen und der Text in seinem Kontext präsentiert wurde. Die philologische Qualität ist jedoch die Schwäche des schönen Bandes.


Anmerkungen:

[1] Elida Maria Szarota: Das Jesuitendrama als Vorläufer der modernen Massenmedien, in: Daphnis 4 (1975), 129-143.

[2] Vgl. für das Jesuitendrama im deutschsprachigen Kulturraum Jean-Marie Valentin: Le théâtre des Jésuites dans les pays de langue allemande: répertoire chronologique des pièces représentées et des documents conservés (1555-1773), Stuttgart 1983 (= Hiersemanns bibliographische Handbücher; 3).

[3] Freilich gibt es eine Reihe von Editionen von Jesuitendramen, vgl. etwa die grundlegende Edition Lateinische Ordensdramen des XVI. Jahrhunderts mit deutschen Übersetzungen, Lateinische Ordensdramen des XVI. Jahrhunderts mit deutschen Übersetzungen, Berlin / New York 1979 oder die jüngst edierten Dramen Bernardino Stefonio: Flavia Tragoedia, hg. von Mirella Saulini, Montecompatri (RM) 2021 (= Quaderni sabini; 2); Matthäus Rader: Drama de Divo Cassiano. Drama über den Heiligen Cassian, hg. von Andreas Abele, Heidelberg 2021 (= Die neulateinische Bibliothek; 5); Jacob Balde: Jephtias Tragœdia / La Fille de Jephté, tragédie, hg. von Dominique Millet-Gérard, Paris 2020 (= Bibliothèque du xviie siècle; 35) und Jeremias Drexel: Iulianus Apostata Tragoedia, hg. von Andreas Abele, Berlin / New York 2018.

[4] HAStK, Best. 150 (Universität), A 1058, Permalink zur Erschließungseinheit (das aktuell etwas umständlich benutzbare Digitalisat verfügt über keinen zitierbaren Link): http://historischesarchivkoeln.de:8080/actaproweb/archive.xhtml?id=Vz++++++00018343hupp#Vz______00018343hupp.

[5] Laut Werz (106) ist das Drama mit zwei Akten unvollständig. Er führt allerdings leider nicht aus, was nach der von zwei Engeln als triumphal gefeierten vollzogenen Abkehr Bernhards vom Weltlichen dramaturgisch sinnvoll folgen könnte.

[6] Zum Vergleich: Für das Innsbrucker Jesuitengymnasium wurden 411 Stücke in einem Zeitraum von 210 Jahren gezählt, vgl. Stefan Tilg: Die Entwicklung des Jesuitendramas vom 16. bis zum 18. Jahrhundert: Eine Fallstudie am Beispiel Innsbruck, in: Das lateinische Drama der Frühen Neuzeit. Exemplarische Einsichten in Praxis und Theorie, hg. von Reinhold F. Glei / Robert Seidel, Tübingen 2008 (= Frühe Neuzeit; 129), 185, https://doi.org/10.1515/9783484970571.183.

[7] Auf die Frage des "Miles": "quo victu aletur scilicet?" (196, Z. 16) folgt in der Ausgabe die Replik: "parco hordeum / Famem lenabit [sic! statt des korrekten "levabit" der Handschrift]". Die Antwort auf die Frage ist natürlich schlicht "parco" (wenig), während die Übersetzung "Ich haushalte mit der Gerste" "parco" von "parcere" ableitet und mit dem folgenden "hordeum" verbindet. Zwischen "parco" und "hordeum" müsste ein Punkt stehen.

[8] So bspw. 128, Z. 10 "assecta" statt "assecla", 138, Z. 17: "Hoc" statt "Haec", 154, Z. 2: "diceris" statt "dixeris", 158, Z. 4: "qua" statt "quae", 162, Regieanweisung "incepit" statt "incipit", 168, Z. 6: "aecola" statt "accola", 168, Z. 11 "mens" statt "meus".

[9] Übersehen wurde z.B. 140, Z. 6: "Patrosque" statt "Patriosque". Falsch dürfte die Korrektur von 164, Z. 22 "afflictum" zu "afflictorum" sein, unnötig 168, Z. 16 "effrenem" zu "effrenum". Ebenso fraglich ist die Korrektur von "Arabas" zu "Asamas" 170, Z. 7; hier wäre wohl eher "Arabes" zu setzen. 144, Z. 15 ("Te mens anhelat, vicum sibi decus, / Unum leuamen ...") könnte gegen "vicum" in der Handschrift "unicum" erwogen werden, was auch die hochproblematische Übersetzung "Nach dir lechzt der Geist, nach einer Gasse für sich der Anstand" vermeiden würde. Falls diese Emendation zutrifft, wäre der Fehler erneut ein Indiz für die Annahme, dass es sich bei der Handschrift um eine Abschrift handelt.

Alexander Winkler