Rezension über:

Klaus Holz / Thomas Haury: Antisemitismus gegen Israel, Hamburg: Hamburger Edition 2021, 419 S., ISBN 978-3-86854-355-1, EUR 35,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Fabian Weber
München
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Fabian Weber: Rezension von: Klaus Holz / Thomas Haury: Antisemitismus gegen Israel, Hamburg: Hamburger Edition 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 1 [15.01.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/01/36287.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Klaus Holz / Thomas Haury: Antisemitismus gegen Israel

Textgröße: A A A

Klaus Holz und Thomas Haury wollen dem Thema Antisemitismus gegen Israel auf den Grund gehen. Richtig ist die leitende Prämisse der Autoren: "Die Delegitimation Israels ist als 'Kennzeichen' des Antisemitismus stark unterbewertet. Sie gehört in den Kern des Antisemitismus überhaupt." (28) Die Autoren folgen einem hermeneutischen Ansatz, der Antisemitismus als "allgemeinen kulturellen Sinnzusammenhang" (20) begreift. Sie analysieren so die in der Thematisierung Israels zutage tretenden Selbst- und Judenbilder, um antisemitische und nicht-antisemitische Kritiken und Semantiken voneinander zu unterscheiden. Der Rezensent teilt die Herangehensweise, typisierte Spielarten von Antisemitismus nicht strikt voneinander abzugrenzen, sondern Antisemitismus als übergreifenden modernen Sinnzusammenhang zu behandeln. Die Autoren sprechen von nationalem Antisemitismus. Es ist zweifellos wichtig, auf den "Nationalismus als die moderne Leitideologie" (29) hinzuweisen, dessen Semantik sich in unterschiedlichen Akteursgruppen wiederfindet: Linke, islamistische, identitätspolitische, christlich-fundamentalistische sowie neurechte Antisemiten weisen in ihren Weltdeutungen Züge einer antimodernen Kulturkritik auf, die in den Juden Verursacher und Agenten der Moderne erkennt. Es ist allerdings problematisch, den hier vertretenen Antisemitismusbegriff absolut zu setzen: Prominente Antisemiten vermochten den Juden immer zugleich auch archaische, "alttestamentarische" Vorstellungen und Gebräuche anzuhängen.

Die erste Untersuchung befasst sich mit "Antisemitismus von links", der seit den spätstalinistischen Schauprozessen vor allem als Antisemitismus in antizionistischem Gewand in Erscheinung trete. Das Kapitel greift die Rezeption dieser antisemitischen Inszenierungen in der SED auf und vertieft die Haltung der DDR zu Israel seit den 1960er Jahren ebenso auf wie die der westdeutschen Neuen Linken. Dabei fällt auf, dass Jeffrey Herfs Buch über die Verbindungen der DDR zum palästinensischen Terrorismus in einem wesentlichen Befund ignoriert wird [1]: Herf deutete die Unterstützung der PLO nämlich als Kriegszustand. Es erfolgten Waffenlieferungen enormen Ausmaßes, während sich die Entscheidungsträger der DDR über die antisemitischen Absichten der PLO, den jüdischen Staat zu zerstören, genau im Klaren waren. Dies verschwindet hier hinter der Annahme, die DDR habe nicht die Konsequenz ihres Antizionismus gezogen, da nicht die Zerstörung Israels, sondern in erster Linie die "Verminderung des westlichen Einflusses in der Region" (140) ihr Ziel gewesen sei.

Das nächste Kapitel zeichnet die Entstehung und Ausgestaltung des "islamistischen Antisemitismus" nach. Dass sich dieser stark an der Semantik und den Argumentationsmustern des modernen europäischen Antisemitismus orientierte, ist nicht neu. Die These der Autoren, der Antisemitismus in der arabischen/muslimischen Welt sei in seinen wesentlichen Aspekten "ein Import aus Europa" (164), ist jedoch unterkomplex. Die Forschung zu muslimisch-jüdischen Beziehungen zeichnet ein deutlich differenzierteres Bild [2].

Dem Kapitel über Identitätspolitik liegt die Frage zugrunde, ob es "einen gegen Israel formulierten, sich aus Antirassismus speisenden Antisemitismus" gibt (211). Es verwundert allerdings, wenn die Texte von Judith Butler, einer Unterstützerin von Boycott, Divestment and Sanctions (BDS), als "die klügste Opposition zu unserer These eines Antisemitismus gegen Israel" (211) bezeichnet werden, zumal die Autoren Butlers Position kritisieren, BDS sei nicht antisemitisch und die Kritik des Antisemitismus müsse hinter eine universalistische Kritik des Rassismus zurücktreten. Gerade in diesem Kapitel hätte es sich freilich angeboten, den Antisemitismusbegriff zu weiten: Anhand von Butler und anderen postmodernen Theoretikern ließe sich illustrieren, wie weit sich Israelfeindschaft heute nicht national, sondern anti- und postnational artikuliert.

In den beiden Kapiteln über christliche und neurechte Positionen wird eine Verschränkung von pro-zionistischen und antisemitischen Äußerungen attestiert. Der vor allem unter Evangelikalen in den USA verbreitete Pro-Zionismus dürfe nicht mit der grundsätzlichen Revision des christlichen Antijudaismus verwechselt werden. Es wäre wünschenswert gewesen, unter pro-israelisch eingestellten Christen der Gegenwart stärker zu differenzieren. In der Neuen Rechten spielt das Thema Israel (anders als im Rechtsextremismus) keine herausragende Rolle. Die Autoren nehmen an, dass "die neurechte Vermeidung anti-israelischer Positionen keine kritische Anerkennung, keine Aufarbeitung des Antisemitismus, sondern ein Aspekt der Revitalisierung des weltanschaulichen Antisemitismus" ist (304).

Wie ist das Buch nun zu bewerten? Wer "einen einfachen, ambivalenzfreien, auf alles passenden Katalog an Kriterien, Kennzeichen oder Stereotypen" erwartet, "an dem Antisemitismus gegen Israel zuverlässig erkannt und verurteilt werden könnte" (358), wird enttäuscht. Zurecht - denn Antisemitismus als Weltanschauung und Welterklärung lässt sich nicht mit bündigen Definitionen fassen. Leider enttäuschen aber auch die Resultate der Studie, die sich aus dem "tiefenscharfen Verständnis der Sinnzusammenhänge" (358) ergeben: Dass postnazistische Täter-Opfer-Umkehr im israelbezogenen Antisemitismus einen prominenten Platz einnimmt, gilt in der Forschung schon lange als gesicherte Kenntnis. Ferner, so die Autoren, könne sich auch die Antisemitismuskritik nicht sicher sein, "dass sie nicht selbst dem Bedürfnis nach Entlastung verpflichtet ist und Rassismus befördert" (359). Das mache Selbstreflexion erforderlich - wer würde dies bestreiten? Dass explizit auf die Gefahr eines "Antisemitismus für Israel" hingewiesen werden müsste, vermag nach der Lektüre des Buches nicht zu überzeugen, fehlt doch gerade den Ausführungen zur Neuen Rechten die empirische Dichte.

Es stellt sich die Frage, ob die postkoloniale Kritik an Israel mit dem Appell zur Selbstreflexion angemessen erfasst ist, zumal die Autoren deren Verfechtern das Zugeständnis machen, man dürfe angesichts von Israels Politik "Vergleiche mit kolonialen und rassistischen Praxen [sic!]" nicht "kategorisch ausschließen" (365), da der Zionismus aufgrund der Geschichte der Judenverfolgung als "Befreiungsnationalismus" trotzdem ausreichend legitimiert sei. Erstens sind Vergleiche selbstredend nicht verboten, zweitens sind die meisten dieser sogenannten Vergleiche gar keine, sondern moralische Skandalisierungen und drittens lädt der Nationalismusbegriff der Autoren zur grundsätzlichen Ablehnung auch des "Befreiungsnationalismus" Zionismus geradezu ein, heißt es doch an einer Stelle programmatisch: "Universalismus aber verträgt sich nur mit Antinationalismus, da jeder Nationalismus partikulare Ein- und Ausschlüsse, d.h. die Konstruktion von Fremden und Feinden bedeutet" (159). Eine begriffliche Differenzierung zwischen Nationalstaat und Nationalismus beziehungsweise eine stärkere Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Nationalbewegungen wäre angeraten gewesen. Neben einiger sprachlicher und sachlicher Fehler - Theodor Fritsch konnte 1944 nur schwerlich zur Neuauflage seines antisemitischen Vademecum "Handbuch der Judenfrage" beitragen, da er bereits 1933 verstorben war - sowie auffälliger Lücken in der herangezogenen Forschungsliteratur [3] wiegen die angeführten Kritikpunkte zu schwer, als dass das Buch bereichernd zur Debatte beitragen könnte.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Jeffrey Herf: Undeclared Wars with Israel. East Germany and the West German Far Left, 1967?1989, Cambridge u. a. 2016.

[2] Vgl. Bernard Lewis: The Jews of Islam, Princeton 1984; Jane S. Gerber: Anti-Semitism and the Muslim World, in: David Berger (ed.): History and Hate. The Dimensions of Anti-Semitism, Philadelphia / New York / Jerusalem 1986, 73-94.

[3] Lars Rensmann hat jüngst einen reichen Aufsatz über das Israel- und Judenbild der Neuen Rechten veröffentlicht: Die Mobilisierung des Ressentiments. Zur Analyse des Antisemitismus in der AfD, in: Ayline Heller / Oliver Decker / Elmar Brähler (Hgg.): Prekärer Zusammenhalt. Die Bedrohung des demokratischen Miteinanders in Deutschland, Gießen 2020, 309-342. Das Kapitel über Christen ignoriert die Studien von Peter Osten-Sacken, Wolfgang Heinrichs oder Gerhard Gronauer; grundlegende Beiträge zur Ideologie des Antizionismus von Shulamit Volkov, Anita Shapira oder Kenneth Marcus erscheinen ebenfalls nicht einmal in der Bibliografie.

Fabian Weber