David Bradshaw / Richard Swinburne (eds.): Natural Theology in the Eastern Orthodox Tradition, St. Paul, MN: IOTA Publications 2021, XII + 204 S., ISBN 978-1-7352951-3-8, USD 26,95
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Man freut sich ungemein, einen Band zu dem überaus wichtigen und wenig erforschten Thema der natürlichen Theologie in den orthodoxen Traditionen in den Händen zu halten, nicht zuletzt wegen den Herausgebern, denn beide gehören zu den wichtigsten orthodoxen Theologen unserer Zeit: Als Philosophie-Historiker und Patristiker hat sich David Bradshaw (University of Kentucky) durch Studien zur unterschiedlichen Rezeption der klassischen Philosophen in den Traditionen des christlichen Ostens bzw. der Latinitas einen Namen gemacht. Bekannt sind überdies seine Vergleiche zwischen neueren russischen und westlichen Theologien. Richard Swinburne (University of Oxford), ist einer der wichtigsten Religionsphilosophen unserer Tage, der das Gebiet der natürlichen Theologie geprägt hat: Mithilfe des Konzeptes der "inductive theology" erforscht er die Formen und die Möglichkeiten des Denkens der Existenz Gottes im Spannungsfeld der naturwissenschaftlichen Evidenz, der menschlichen Vernunft und des Glaubens.
All dies lässt erwarten, dass die beiden Gelehrten ideale Herausgeber für einen Sammelband sind, der sich zum Ziel setzt "[to make] a case for the rich history and contemporary relevance of natural theology in Eastern Orthodoxy". (ix) Dafür bringen sie sieben Beiträge zusammen, die von contributors list (vii-viii), Preface (ix-xi), Bradshaws Introduction (1-21) und einem Index begleitet werden.
Im ersten Aufsatz bietet Alexey Fokin einen Überblick über die Natural Theology in Patristic Thought (23-49). Sowohl griechische als auch lateinische Väter der ersten fünf Jahrhunderte - die letzten in einem viel höheren Maße als man bei der Themensetzung erwarten würde - werden besprochen. Fokin zeigt in der gut dokumentierten Studie, welche Argumentationstypen zum Beweis der Existenz Gottes das patristische Denken hervorgebracht hat. Darunter zählen beispielsweise das apriorische Argument des sensus divinitatis, das teleologische Argument (argument from design) oder das moralische Argument. Neben der teilweise unschlüssigen Kategorienbildung - warum unterscheidet sich denn das teleologische Argument (31 ff.) von dem kosmologischen Argument (42 ff.)? -, kann man dem Beitrag auch vorhalten, dass Argumentationstypen wie causa formalis- (45 f.) oder summum bonum-Argumente (46 ff.) ausschließlich anhand lateinischer Väter besprochen werden.
In gewohnter Präzision und Ausführlichkeit identifiziert David Bradshaw (51-63) in der riesigen literarischen Produktion des byzantinischen Theologen und Bischofs Gregorios Palamas (ca. 1297 - 1359) drei disparate Stellen, die man teilweise durch stark spekulative Anstrengungen als natural theology auslegen kann. Die erste Stelle, welche in Palamas' Triaden die Erkenntnis Gottes und seiner Natur durch die von Askese und moralischer Reinheit eingeleitete illuminatio mentis bespricht, wird allerdings nicht plausibel als natural theology untermauert - nicht einmal der Autor ist davon überzeugt (54). Die anderen beiden Stellen enthalten einerseits das teleologische Argument, Gott aus der Harmonie der Schöpfung zu induzieren, andererseits das Argument der causa prima (Palamas kannte sowohl Aristoteles als auch Thomas von Aquin). Sie bilden tatsächlich gute Beispiele von natürlicher Theologie; leider sind sie aber, insbesondere das dritte Beispiel, "brief" - also wenig aussagekräftig. Das deutet Bradshaw selbst an (61).
Weil der dritte - an sich sehr gute und gelehrte - Beitrag von Richard Cross (65-87) ausschließlich der westlichen natürlichen Theologie im Mittelalter und der frühen Neuzeit gewidmet ist und somit eklatant von der im Titel des Sammelbandes angekündigten Thematik abweicht, wird er hier nicht diskutiert.
Es folgt eine vierte, in den Augen des Rezensenten besonders gelungene Studie von Paul L. Gavrilyuk, die sich der Natural Theology in Modern Russian Thought zuwendet (89-123). Diskutiert werden namhafte russische Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich durch (post-)aufklärerische philosophische und theologische Erkenntnisse des Westens im Bereich der theologia naturalis anregen ließen (beispielsweise von Kant, Schelling, Diderot, Voltaire). Sie haben in einem zweiten Schritt diese Einflüsse fruchtbar in der orthodoxen Theologie - die dann eher zur Religionsphilosophie wurde - angewandt. Gavrilyuks Beitrag stellt nicht nur einen vorzüglichen Überblick über die große russische Theologie und Religionsphilosophie dar, die nicht nur in der Orthodoxie, sondern auch in den konfessionellen Theologien des Westens stark rezipiert wurde. Er bietet auch wichtige Einsichten in intellektuelle Netzwerke, Strömungen und Transferprozesse auf europäischer Ebene.
In der buntgemischten Besprechung der Reactions of Modern Greek Theologians to Natural Theology (125-147) sieht sich Dionysios Skliris von der überwiegend ablehnenden Haltung der griechischen Theologen (Christos Yannaras, Ioannis Zizioulas) gegenüber der rationalen Theologie gezwungen, auf den Rumänen Dumitru Stăniloae (129 f.) und auf den Briten Richard Swinburne (144 ff.) auszuweichen. Zwei von den fünf besprochenen Theologen gehören also nicht genuin in die nationalkirchlich griechische Tradition. Die wichtigen Beiträge Stăniloaes auf dem Gebiet der natürlichen Theologie haben allerdings auch ein paar griechische Theologen aus der zweiten Reihe (wie Panayotis Nellas, 1936-1986) beeinflusst.
Der sechste Aufsatz von Travis Dumsday behandelt die Ablehnung der rationalen Theologie des "Westens" in der modernen orthodoxen Theologie (russisch, griechisch) und deren Kampf dagegen (149-174). Dabei überrascht am Ende die Feststellung von "our own [der orthodoxen, MDG] longstanding tradition of natural theology". (174)
Als Abschluss des Bandes bietet Richard Swinburne einen Beitrag mit dem einzig genuinen Ansatz einer dem Anspruch nach systematisch artikulierten orthodoxen natürlichen Theologie (175-195). Dieser fußt auf seiner bekannten Trilogie The Coherence of Theism, The Existence of God und Faith and Reason (Oxford 1977, 1979 bzw. 1981), die hier aus Platzgründen nicht eingehend diskutiert werden kann. Da diese Trilogie vor Richard Swinburnes Konversion vom Anglikanismus zur Orthodoxie 1995 entstand, steht der Rezensent vor der Schwierigkeit, ob diese "inductive theology" eigentlich schon oder noch orthodox ist.
Noch drei Bemerkungen: 1. Wichtige theologische Traditionen wie die rumänische (drittgrößte Orthodoxie der Welt) werden in dem Band weitgehend ignoriert. 2. Die diachrone Perspektive ist durch Riesenschritte vom 5. Jahrhundert in das byzantinische 14. Jahrhundert und dann direkt ins russische 19. Jahrhundert stark verstümmelt: Wichtige byzantinische Theologen und Philosophen wie u.a. Michael Psellos, Symeon der Neue Theologe, Nikolaos Kabasilas, Georgios Gemistos Plethon fehlen ganz oder werden nur beiläufig erwähnt. 3. Zu viel "lateinische" natürliche Theologie einerseits und zu viele ablehnende Ansätze seitens orthodoxer Theologen andererseits nähren beim Leser Zweifel, ob die Herausgeber den emphatisch betonten Titel "Natural Theology in the Eastern Orthodox Tradition" [sic] gut gewählt haben.
Dieser Band über natürliche Theologie in den östlichen orthodoxen Traditionen bleibt sehr selektiv und vermag leider nicht dem anfangs zitierten Anspruch gerecht zu werden. Dafür erfüllt er aber wunderbar sein anderes Ziel, nämlich zu zeigen, welche Rolle natural theology in den orthodoxen Traditionen spielte: Offenbar eine geringe!
Mihai-D. Grigore