Rezension über:

Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600-1800. Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke (= Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien; Bd. 20), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018, 426 S., ISBN 978-3-412-50055-9, EUR 65,00
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Rezension von:
Angela Huang
Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums, Lübeck
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Angela Huang: Rezension von: Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600-1800. Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 2 [15.02.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/02/36731.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Yuta Kikuchi: Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600-1800

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In vier Kapiteln untersucht diese Dissertation Hamburgs Wirtschaftsbeziehungen in den Ostseeraum und nach Mitteleuropa im 17. und 18. Jahrhundert. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Wechselbeziehungen dieser Gebiete mit der Nordsee- und Atlantikwirtschaft über den hamburgischen Markt. Dazu werden Hamburgs Ostseehandel (III.) und der Warenumschlag der Stadt im kontinentaleuropäischen Handelsverkehr (IV.) anhand von verschiedenen, vor allem seriellen Handelsquellen untersucht. Neben der geografischen Gliederung unterteilen die Kapitel sich chronologisch und behandeln Entwicklungen jeweils vor und in der "Atlantikzeit" (18. Jahrhundert, vgl. z. B. S. 172). Der Anhang versammelt eine Quellenkritik zu den genutzten Hamburger Land- und Elbzollbüchern, zu den Esslinger Elbzoll-, Landzoll- und Fährgeldregistern und den Kontentbüchern des Admiralitätskollegiums. Weiterhin werden Tabellen zu Wohnorten von Schiffern im Ostseehandel im 17. Jahrhundert und Aufstellungen zum Warenverkehr auf der Elbe nach Dresden bzw. Pirna im 18. Jahrhundert gegeben. Auch Transkriptionen von Archivquellen und zuletzt eine Karte finden sich im Anhang. Ein Personen- und Ortsregister ergänzen den Band.

Yuta Kikuchi will im Wesentlichen zeigen, dass Hamburg nicht nur weiterhin in nennenswertem Umfang in den Handel mit der Ostsee und dem mitteleuropäischen Raum eingebunden war, sondern auch die Funktion eines bedeutenden Zwischenhandelsplatzes innehatte, an dem insbesondere auswärtige Kaufleute (einzeln und in Gruppen) aktiv waren und der sich im Laufe des 18. Jahrhundert als porto transito mit Zollfreiheit im Transithandel etablierte. Der Verfasser arbeitet heraus, dass über Hamburg - ausgehend von einem bestehenden Austauschsystem - englische Tuche in den Ostseeraum und nach Mitteleuropa abgesetzt wurden. Vor allem aber war die Stadt im 18. Jahrhundert Zwischenhandelsplatz im Vertrieb von Kolonialwaren dorthin. Für den westwärts gehenden und nicht zuletzt den Atlantikhandel stellten mitteleuropäische Märkte bzw. das weitere Hinterland der Stadt insbesondere Leinwand bereit, die in ihrer Bedeutung als Austauschware für Kolonial- und andere Waren kaum überschätzt werden kann. Aber auch ungarisches Kupfer, Holz, Getreide u. a. nennt K. als westwärts über Hamburg gehandelte Waren. So wurde der Atlantikhandel mit dem Ostseeraum und Zentraleuropa über Hamburg zu einem Austauschsystem verknüpft, in dem wenige Produkte hervorstechen, das sich darüber hinaus aber als vielfältiger Warenaustausch in einem weit verzweigten Märktenetzwerk erweist. Der kurze, etwas isoliert stehende, letzte Teil der Arbeit zu "Betrieb und Praxis" (V.) widmet sich schließlich der Frage, welche Faktoren die Entwicklung Hamburgs als Transithandelsplatz beeinflussten bzw. wie dieser Transithandel funktionierte.

Basierend auf der breiten Auswertung auch verschiedener unveröffentlichter serieller Quellen (mit ihren jeweils eigenen Problemen) kann der Verfasser zeigen, dass die alten Handelsbeziehungen in den Ostseeraum bzw. bis in den mitteleuropäischen Raum in das frühneuzeitliche Nordsee- und Atlantikhandelssystem der Stadt eingebunden wurden. Hervorzuheben ist die Charakterisierung Hamburgs als "internationaler Vermittlungshafen" (149). Dabei werden die Bedingungen der Sunddurchfahrt (vor allem der Sundzoll), die Entwicklung der Stadt selbst als porto transito mit abgabenbefreitem Transithandel, weiter die engen, dabei auch ambivalenten Handelsbeziehungen zu Lübeck und die Bedeutung von Lüneburg und Lauenburg als für Hamburgs Handelssystem wichtige Faktoren herausgestellt. Bei der detaillierten Vorstellung der Akteure, Waren und Märktebeziehungen wird weiterhin dem Thema des Strukturwandels bei kaum veränderten geografischen Rahmenbedingungen besonderes Augenmerk geschenkt. Gemeint ist damit aber vor allem der Effekt, den die expandierende Atlantikwirtschaft Hamburgs ab 1730 auf die Beziehungen zum Ostseeraum und nach Mitteleuropa hatte. Bei diesem Strukturwandel spielten, wie der Verfasser ausführt, auch der Dreißigjährige Krieg bzw. die dadurch verursachte Ausbreitung von Kolonialwarenkonsum, der Aufschwung im Handel mit schlesischer Leinwand ab 1670 sowie auch die preußische Wirtschaftspolitik eine Rolle.

Wie funktionierte Hamburgs Handel in den Ostsee- und mitteleuropäischen Raum? Diese Frage der Arbeit wird von Yuta in zahlreichen Details beantwortet. Wünschenswert wäre verschiedentlich eine besser nachvollziehbare Rückführung der Beobachtungen auf die großen Themen des Bandes - vor allem Hamburg als spezialisierter Transithandelsplatz in dem durch den Atlantikhandel verursachten Strukturwandel - gewesen. Ausführungen etwa zum so wichtigen Leinenhandel sind teilweise redundant, und die Leserin fragt sich, ob eine fokussierte Behandlung dieses und anderer zentraler Handelsbereiche nicht dem Anliegen des Bandes zuträglicher gewesen wäre. Auf die Frage, ob der Ostseeraum im europäischen Wirtschaftssystem wirklich an Bedeutung für die zentralen Märkte und namentlich für Hamburg verloren hat, wird im knapp zusammenfassenden Schlussteil keine klare Antwort gegeben.

Insgesamt aber sind Gegenstand und Erkenntnisse der Arbeit, das vielseitige, oft unveröffentlichte Quellenmaterial und die gemischt quantitativ-qualitative Auswertung aufschlussreich. Der Band trägt dazu bei, Hamburg in seiner Wirtschaft(spolitik) des 17. und 18. Jahrhundert umfassender wahrzunehmen sowie die fortbestehenden Wirtschaftsbeziehungen der Stadt mit dem Ostsee- und zentraleuropäischen Raum konkreter zu fassen und auch ihre Bedeutung für den Atlantikhandel zu würdigen.

Angela Huang