Rezension über:

W. Mark Ormrod: Winner and Waster and its Contexts. Chivalry, Law and Economics in Fourteenth-Century England, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2021, XII + 189 S., ISBN 978-1-84384-581-2, GBP 60,00
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Rezension von:
Andreas Kistner
Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Kistner: Rezension von: W. Mark Ormrod: Winner and Waster and its Contexts. Chivalry, Law and Economics in Fourteenth-Century England, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 3 [15.03.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/03/35683.html


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W. Mark Ormrod: Winner and Waster and its Contexts

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Verschwendung ist seit geraumer Zeit ein Thema der aktuellen Diskussion; nicht zuletzt die Weihnachtszeit ist immer wieder Ziel und Auslöser derartiger Kritiken. In anderer Dimension entzweit die Frage, wie auf die Euro-Schuldenkrise am besten zu reagieren sei, bis heute die Gemüter: die Austeritätspolitik hat mannigfaltige Kritik auf sich gezogen. Kurz: Ähnliche Fragen, die in dem im 14. Jahrhundert in England entstandenen Text diskutiert werden, beschäftigen uns noch heute.

Wynnere and Wastoure ('Winner and Waster') - zwar zieht Ormrod aus diesem Gedicht des 14. Jahrhunderts keine Lehren für die heutige Zeit, aber in einigen Kapiteln kommen die obengenannten Themen durchaus vor. Schon das Gedicht selbst wendet weite Teile der insgesamt 504 Verse für andere Themen auf und natürlich sind Hintergründe zu klären, so dass Verschwendung und Austerität bei weitem nicht die einzigen Themen sind, mit denen Ormrod sich hier befasst. Nach einer Einleitung behandelt Ormrod folgende Punkte: die Ritterlichkeit und den Internationalismus im Zusammenhang mit dem Hosenbandorden und der englischen Diplomatie während des Hundertjährigen Krieges (15-37), Verrat, öffentliche Sicherheit und Streitbeilegung (39-60), Land besitzende Bevölkerung, Luxusgesetzgebung und 'Volkswirtschaft' (61-82), private und öffentliche Sphären bei der Finanzpolitik Eduards III. (83-103), Satire, Klage und Autorschaft (105-129) und die Zeitgebundenheit und Zeitlosigkeit (131-136). Mit all diesen Punkten verfolgt Ormrod zwei Zwecke (11): den Platz von 'Winner and Waster' im Rahmen des wiederauflebenden alliterierenden Verses zu bestimmen und, zumindest für den Historiker wichtiger, durch einen neuen Datierungsvorschlag auch eine ganze Reihe neuer Verständnismöglichkeiten aufzeigen. Dabei arbeitet er sich an der Forschung lieb gewordenen loci classici zu Wynnere and Wastoure ab. Vor allem der erste wissenschaftliche Herausgeber des Textes im 20. Jahrhundert, Isreal Gollancz, hat Routen festgelegt, die vielfach weiter verfolgt wurden. Gleichwohl war die Forschung nie völlig einer Meinung und so greift Ormrod einige jüngere Spuren auf, um diese Richtungen genauer zu erkunden (10-11).

Klassischerweise geht die Forschung davon aus, dass 'Winner and Waster' in den 1350er-Jahren in den Midlands von einem nicht genauer bekannten Autor verfasst wurde. 'Winner and Waster' nehme eine wichtige, wenngleich nicht eindeutig bestimmbare Position in dem Wiederaufleben des alliterierenden Verses ein (knapp zusammengefasst auf 3-11). Ein weiterer berühmter englischer Text bietet sich aufgrund seines Gegenstands, der Datierung und dichterischen Gestalt als wichtiger Referenzpunkt an, der sogar die Autorenfrage streift: Piers Plowman. Die möglichen Verbindungslinien durch das Genre der Satire oder Klagelieddichtung, die dialektale Herkunft, die wechselseitige Bekanntschaft der beiden Autoren oder gar ihre Identität werden fast das ganze fünfte Kapitel hindurch verfolgt. Bei der Frage nach dem möglichen Autor, zumindest nach dem möglichen Lebensumfeld des Autors, erörtert Ormrod Möglichkeiten, verharrt aber vorsichtig dabei, die Argumente nicht überzugewichten, sei es doch ein eher wackeliger Indizienprozess, präzise eine Möglichkeit als finale Lösung auszuwählen (125). Gleichwohl spricht er sich gegen eine Tätigkeit des Autors unmittelbar am Hof Eduards III. aus (123).

Da man bei dem 'Arbeitsumfeld' eines Dichters rasch an Mäzene denkt, fällt sogleich auch ein weiterer wichtigerer Diskussionsbeitrag ins Gewicht, der davon ausgeht, dass 'Winner and Waster' zum Gedenken an John Wingfield († 1361) geschrieben wurde. Da sich Ormrod für eine spätere Datierung ausspricht, die die Entstehung von 'Winner and Waster' aus den 1350er-Jahren in die Mitte der 1360er-Jahre verlagert, hätte die Wingfield-These wegen des Todeszeitpunkts des möglichen Geehrten einen gewissen Reiz, wird aber schlussendlich verworfen. Neben dem Streben nach möglichst präziser Kenntnis über 'Winner and Waster', kommt der Autorenfrage durch die These des Wiederauflebens der Dichtung in alliterierenden Versen in den 1350er-Jahren besondere Bedeutung zu: In klassischer Manier brauchte es einen einzelnen Heros, der sich dafür einsetzt, dass ein bestimmtes Versmaß wieder benutzt wird. Ormord schließt sich hier der jüngeren Forschung an und erklärt letztlich das ganze sogenannte "Alliterative Revival" für bestenfalls irrelevant, schlimmstenfalls als nicht erkennbar (118-120). [1]

Verflochten mit der Datierungsfrage ist die Zuordnung von 'Winner and Waster' zu Initiativen, die der Erhöhung der öffentlichen Sicherheit dienten. Traditionell wurde 'Winner and Waster' mit dem Statute of Treason von 1352 und der Visitation des Cheshire durch den Schwarzen Prinzen 1353 in Verbindung gebracht (39). Gegen den ersten Punkt verweist Ormrod auf die Fülle einschlägiger Erlasse des Parlaments seit den 1340er bis in die 1360er-Jahre, so dass ohne explizite Zitate keine eindeutige Zuweisung sinnvoll ist (41-45). Hinsichtlich des zweiten wichtigen Referenzpunktes, der Cheshire-Visitation, kann Ormrod mit Verweis auf frühere Forschungen zeigen, dass in diesem Fall - wie so häufig - eine "fallacy of nineteenth-century antiquarianism" (45) vorliegt. Ormrod geht klar davon aus, dass hier eine insbesondere in den 1360ern geführte Diskussion über regionale Konfliktbeilegung durchscheint (50-58). Mit Blick auf adelige Formen der Konfliktbewältigung und eine mögliche Vermittlung bzw. Konfliktbeilegung durch den König, wäre es aus kontinentaler Sicht sicherlich interessant, die Ergebnisse der Habilitation von Georg Jostkleigrewe diskutiert zu sehen. [2] Um hier rasch die übliche teutonische Klage abzuarbeiten: Germanica non leguntur.

Um nun auf die Frage der Verschwendung einzugehen, treten erneut alte Überzeugungen in den Blick. So hat Gollancz die für zahlreiche nachfolgende Autoren die Leitlinie definiert, als er das Streitgespräch zwischen Wynnere und Wastoure als Auseinandersetzung von Vertretern des Land besitzenden Adels und der 'unlängst' aufgestiegenen Kaufmannschaft betrachtete. Die Annahmen, so Ormrod, "rest on a nineteenth-century liberal-progressive view of the late Middle Ages". (61) Folgt man Ormrod, so habe der Autor zeitgenössische Diskussionen aufgegriffen und dabei einen latent konservativen Standpunkt vertreten - oder zumindest einen Standpunkt, der eine Nähe zum Adel verrät. Es habe die Annahme bestanden, die alte soziale Ordnung nach den Verwerfungen in Folge des Schwarzen Todes wieder in Kraft setzen zu können (70). Im Weiteren macht Ormrod es wahrscheinlich, dass sich in dem Gedicht die Luxusgesetzgebung niederschlägt, die zur Wiederherstellung der sozialen Ordnung hätte führen sollen.

Noch stringenter in Richtung der Volkswirtschaft geht das folgende Kapitel, in dem die Finanzverwaltung Eduards III. in den Fokus rückt. Dabei stellt sich nicht zuletzt der König phasenweise sowohl als knauseriger Geizhals als auch als Verschwender dar (89-99). Dabei lasse, so Ormrod, der Autor erneut eher die Perspektive des Adels durchscheinen als die eines proto-sozialistischen Revoluzzers, als der William Langland, der Autor von Piers Plowman, teilweise wahrgenommen worden sei (101-103).

Die mitgelieferte neuenglische Übersetzung des Gedichtes rundet diesen durch und durch gelungenen Band ab. Das Buch, eher schon: das Büchlein, nimmt physisch sicherlich nur einen geringen Anteil der Regalmeter einer Bibliothek ein, intellektuell ist meines Erachtens hier jedoch ein ordentlicher 'Schinken' gelungen. Schon die ansprechende äußere Gestaltung des Bandes lässt eine weitere Leserschaft als nur die beruflich gebundene erhoffen. Der Preis und die minutiöse Auseinandersetzung mit der Forschungsdiskussion dürfte indes eine größere Leserschaft eher abschrecken. Leider.


Anmerkungen:

[1] Bemerkenswert scheint an dieser Stelle, dass offenbar noch keine Versuche gemacht wurden, mittels künstlicher Intelligenz einen möglichen Autoren zu überprüfen: Für Abaelard wurde das schon einmal versucht, in jüngerer Vergangenheit konnte auf diesem Wege die Identität von Robert Galbraith und Joanne K. Rowling erwiesen werden. Aber vermutlich ist der Aufwand, die KI entsprechend zu trainieren, bei üblicherweise geringfügig normierten frühen Stufen der Volkssprachen im Vergleich zu den möglichen Ergebnissen zu hoch. Zu Abaelard vgl. Francesco Stella: Analisi informatiche del lessico e individuazione degli autori nelle Epistolae duorum amantium (XII secolo), in: Latin vulgaire - Latin tardif VIII. Actes du VIIIe colloque international sur le latin vulgaire et tardif, hg. von Roger Wright, Hildesheim 2008, 560-569.

[2] Georg Jostkleigrewe: Monarchischer Staat und 'Société politique'. Politische Interaktion und staatliche Verdichtung im spätmittelalterlichen Frankreich (Mittelalter-Forschungen; 56), Ostfildern 2018.

Andreas Kistner