Rezension über:

Markus Pieper: Parteiauftrag: Städtepartnerschaft. Kommunalpartnerschaften zwischen Polen und der DDR und ihre Transformation nach 1989. Partyjne zlecenie: partnerstwo miast. Partnerstwa komunalne między Polską a NRD i ich transformacja po 1989 roku (= Interdisciplinary Polish Studies; 8), Berlin: epubli 2020, 496 S., zahlr. Tbl., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-753118-50-5, EUR 42,50
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Rezension von:
Jacob Nuhn
Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bremen
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Jacob Nuhn: Rezension von: Markus Pieper: Parteiauftrag: Städtepartnerschaft. Kommunalpartnerschaften zwischen Polen und der DDR und ihre Transformation nach 1989. Partyjne zlecenie: partnerstwo miast. Partnerstwa komunalne między Polską a NRD i ich transformacja po 1989 roku, Berlin: epubli 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 3 [15.03.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/03/36017.html


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Markus Pieper: Parteiauftrag: Städtepartnerschaft. Kommunalpartnerschaften zwischen Polen und der DDR und ihre Transformation nach 1989

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Seit den 1970er Jahren hatten alle SED-Bezirksverbände Partnerverbände in der Volksrepublik Polen, es gab Städtepartnerschaften zwischen polnischen und DDR-Städten sowie zahlreiche partnerschaftliche Verbindungen zwischen Betrieben und Kultureinrichtungen wie Theatern und Museen. Mit seiner Dissertation hat Markus Pieper nun die erste umfassende Studie zum Thema vorgelegt.

Pieper geht es dabei zunächst um eine Bestandsaufnahme: Wie viele und welche unterschiedlichen Arten von Partnerschaften gab es zwischen beiden Ländern? Schwerpunktmäßig untersucht Pieper dies am Beispiel Dresden und Wrocław; seine Darstellung geht aber darüber hinaus. In Abgrenzung zur bisher stark auf das westdeutsch-französische Beispiel bezogenen Geschichtsschreibung zu Städtepartnerschaften will Pieper ergründen, wie kommunale Partnerschaften im Sozialismus funktionierten. Im Vordergrund steht das institutionelle Setting, also die "strukturelle Ebene des Beziehungsgeflechts". Die Mikroebene von persönlichen Begegnungen und "konkreten Handlungsoptionen einzelner Akteure und dem sich dort manifestierenden Eigen-Sinn" (26) bleibt außen vor, auch wenn Pieper diese an einigen Stellen anekdotenhaft streift.

Ausgangspunkt wie auch zentrale Erkenntnis des Buches ist, dass ein Fokus auf Städtepartnerschaften das Beziehungsgeflecht zwischen den beiden sozialistischen Staaten nur unzulänglich zu beschreiben vermag. Pieper spricht daher durchgehend von "Kommunalpartnerschaften", worunter Verbindungen zwischen Kommunen genauso wie Partnerschaften zwischen Parteigliederungen, Betrieben und Institutionen des Kulturbetriebs fallen. Städtepartnerschaften als Verbindungen zwischen zwei Kommunen spielten dabei bis 1989 eine nachrangige Rolle. Das Primat lag, wie überall in den Parteidiktaturen des Ostblocks, auf den Partnerschaften von SED und Polnischer Vereinigter Arbeiterpartei (PVAP) auf der Woiwodschafts- beziehungsweise Bezirksebene, die bis Mitte der 1970er Jahre stetig ausgebaut wurden.

Erst nach 1989/90 wurde auch zwischen Ostdeutschland und Polen die Städtepartnerschaft das zentrale Format. Ohne dies explizit zu machen, leistet Piepers Buch so auch einen Beitrag zur Erforschung der Rolle von Kommunen in der Zeit des Realsozialismus: Eingeklemmt zwischen einem zentral organisierten Staats- und Parteiapparat und den weite Teile des Arbeits- und Freizeitlebens bestimmenden Betrieben, spielten sie nur eine kleine Rolle, zumal sie weder in Polen noch in der DDR über das ihnen zugeteilte Budget frei verfügen konnten.

Piepers Studie ist chronologisch aufgebaut, was den Vorteil hat, dass so die Evolution und Transformation des (ost-)deutsch-polnischen Partnerschaftsgeflechts nachvollziehbar wird. Die Untersuchung beginnt in den 1950er Jahren, als SED- und PVAP-Funktionärinnen und -Funktionäre auf Delegationsreisen über eine hermetisch geschlossene Grenze hinweg erste Kontakte knüpften, um die ideologisch verordnete Freundschaft der sozialistischen "Bruderstaaten" praktisch zu unterfüttern. Diese frühen Kontakte waren zahlreicher als angenommen, aber, wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nicht verwunderlich, von deutlichen Vorbehalten geprägt. Die SED-Funktionäre legten dabei häufig eine, wie Pieper herausarbeitet, teils frappierende "Oberlehrerhaftigkeit" und Arroganz gegenüber den polnischen Genossen an den Tag, die sie für ideologisch wenig zuverlässig hielten (94).

In den 1970er Jahren verschwanden solch belehrende Töne zunehmend. Das Jahrzehnt brachte eine, so Pieper, "Hochphase" mit einem deutlichen quantitativen wie qualitativen Ausbau der Partnerschaften. Unterstützt wurde diese Entwicklung von der Einführung des visafreien Reiseverkehrs zwischen der DDR und Polen 1972, durch die bürokratische Reisehürden fielen. Hatten sich die Partnerschaften bisher vor allem auf die Grenzregionen beschränkt, besaß Mitte der 1970er Jahre nun jede SED-Bezirksleitung eine Partnerschaft mit einem Woiwodschaftskomitee der polnischen PVAP.

Dies zog auch auf den nachgeordneten Ebenen neue partnerschaftliche Verbindungen nach sich und mündete in neue, öffentlichkeitswirksamere Formate: Seit den frühen 1970er Jahren fanden in größeren polnischen und DDR-Städten "Tage der Kultur" der jeweiligen Partnerregion mit einem breiten Programm von Gastauftritten von Theatern und Amateurkulturgruppen, Ausstellungen, Filmvorführungen und vielem mehr statt. In Dresden und Wrocław eröffneten Spezialitätenrestaurants ("Stadt Wrocław" und "Restauracja Saska"). Die Partnerschaften traten so aus dem engen Bereich von (häufig medial begleiteten) Delegationsreisen und direkten Begegnungen heraus.

Durch die Kommunalreform in Polen 1975, mit der Woiwodschaften und teils auch Kommunen neu zugeschnitten wurden, kam manchem Bezirk der polnische Partner abhanden. Als tiefste Zäsur vor 1989 macht Pieper aber die Jahre 1980 bis 1983 aus. Mit Aufkommen der Solidarność schloss die DDR einseitig die Grenze. Die wenigen noch stattfindenden Reisen wurden von der Staatssicherheit nicht nur überwacht, sondern auch, am polnischen Sicherheitsdienst vorbei, strategisch zur Informationsgewinnung genutzt, indem über Partnerschaften inoffizielle Mitarbeiter nach Polen eingeschleust wurden. Erst ab 1983 nahmen die Partnerschaftsaktivitäten langsam wieder an Fahrt auf. Vor allem der Jugendaustausch wurde massiv ausgebaut. Angesichts immer noch geschlossener Grenzen übernahmen die Kommunalpartnerschaften nun mehr denn je die Funktion eines Kontaktraums zwischen beiden Staaten. Polnische Jugendliche nutzten die Zeit in der DDR zudem als willkommene Möglichkeit zum Zuverdienst.

Das Jahr 1989/90 markiert einen tiefen Bruch im Beziehungsgeflecht zwischen Ostdeutschland und Polen. Während die Parteipartnerschaften schlicht erloschen, blieben manche Städtepartnerschaften sowie Verbindungen zwischen Institutionen wie Theatern oder Museen bestehen. Die wichtigste Errungenschaft der sozialistischen Partnerschaften, so Pieper, sei darin zu sehen, dass es sie überhaupt gegeben habe: Damit waren Kontakte etabliert, die unter demokratischen Verhältnissen neu mit Leben gefüllt werden konnten, wobei nun auch schwierige Aspekte der gemeinsamen Geschichte besprochen wurden.

Piepers Buch ist gut lesbar und bringt eine Fülle von Detailwissen zum Thema - wer sich zukünftig mit deutsch-polnischen Städtepartnerschaften beschäftigt, wird an dem Buch nicht vorbeikommen. Die Geschichte der polnisch-ostdeutschen Kommunalpartnerschaften ist mit Piepers Studie dennoch nicht "ausgeforscht", was am Fokus von Piepers Studie und deren Quellenset liegt. Dass SED und Staatssicherheit der polnischen Seite gegenüber misstrauisch waren oder dass kommunale Ebenen im zentralistischen Realsozialismus über wenig Handlungsspielraum bei der Ausgestaltung von internationalen Partnerschaften verfügten, dürfte der Materie Kundige wenig überraschen. Umso gewinnbringender wäre es gewesen, die Partnerschaften ergänzend aus der Mikroperspektive zu beleuchten. Wie gingen die Akteurinnen und Akteure mit dem Handlungsspielraum um, was geschah konkret auf Delegationsreisen und Jugendbegegnungen? Wie wurden praktische Probleme gelöst, etwa die Frage nach einer gemeinsamen Sprache? Anhaltspunkte für eine derartige Mikrogeschichte ostdeutsch-polnischer Kommunalpartnerschaften liefert Pieper einige - es wäre schön, wenn weitere Studien diesen Faden aufgreifen würden.

Jacob Nuhn