Rezension über:

Philipp Nielsen: Between Heimat and Hatred. Jews and the Right in Germany, 1871-1935, Oxford: Oxford University Press 2019, XIV + 310 S., ISBN 978-0-19-093066-0, GBP 53,00
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Rezension von:
Kristina Milz
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Kristina Milz: Rezension von: Philipp Nielsen: Between Heimat and Hatred. Jews and the Right in Germany, 1871-1935, Oxford: Oxford University Press 2019, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 5 [15.05.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/05/35669.html


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Philipp Nielsen: Between Heimat and Hatred

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Lange wurde das Narrativ zur Verortung der deutsch-jüdischen Bevölkerung im politisch-ideologischen Spektrum von Kaiserreich und Weimarer Republik von der Figur des liberalen (Bildungs-)Bürgers dominiert. Eine Differenzierung ist jedoch dringend nötig, das hat Michael Brenner eindrücklich gezeigt. Erstmals untersuchte er systematisch die jüdischen Protagonisten der linken Münchner Revolution von 1918/19 und betonte, dass deren deutlich überproportionale Beteiligung lange nur "verschämt" eingeräumt wurde, da Historikerinnen und Historiker sich damit leicht auf Glatteis begeben - schließlich hatte die antisemitische Agitation das Thema immer wieder missbraucht [1].

Ähnlich irritierte Vermeidungsreflexe griffen im Wissen um die Shoah mit Blick auf tendenziell rechts gesinnte Jüdinnen und Juden. Dabei darf die auffällige Präsenz von politisch aktiven jüdischen Deutschen im linken Parteienspektrum, in dem allein sie wirklich akzeptiert waren, nicht zur Annahme verleiten, dass die jüdische Gemeinschaft in ihrer Breite besonders revolutionsaffin oder sozialistisch eingestellt war. Im Gegenteil hingen hier nicht wenige einem dezidiert konservativen und nationalistischen Weltbild an. Dieses Milieu hat Philipp Nielsen in seiner hier besprochenen Studie analysiert, für die er die Biografien von 300 jüdischen Akteurinnen und Akteuren ausgewertet hat, die sich politisch rechts der Mitte engagierten. Anhand dieses breiten Bildes analysiert der Autor allgemeine Tendenzen - nur eine ausgewählte Gruppe tritt aber immer wieder namentlich in Erscheinung.

Zu Beginn ("Belonging, 1871-1914") porträtiert der Verfasser den Verein zur Förderung der Bodenkultur unter den Juden Deutschlands: Als tüchtige Ackerbauern sollten Jüdinnen und Juden gezielt im Osten des Reichs siedeln. Andere fassten auch zusehends in überkonfessionellen Vereinen, oftmals lokalpatriotischer Ausrichtung, oder aber im Staatsdienst Fuß. Das Kapitel, das die Komplexität liberaler und konservativer Positionen herausstreicht, argumentiert, dass viele auf "Heimat" rekurrierende Aktivitäten erst im Laufe der Zeit als rechts galten - und auch jüdische Deutsche sich für sie engagierten. Die Arbeiterklasse nahmen diese als größere Bedrohung wahr als den Antisemitismus.

Im Weltkrieg erkannten viele eine Gelegenheit, sich an der Front als Patrioten zu beweisen. Nielsen betont hier ("War, 1914-1918") vor allem, dass eine von jüdischen Soldaten als positiv empfundene überkonfessionelle Gemeinschaft in den Schützengräben vorherrschte; die jüdischen Soldaten verstanden sich als aktive Teilnehmer und nicht als Objekte militärischer Entscheidungen. Nicht wenige verklärten nach der Niederlage den Krieg als einigendes Erlebnis und fürchteten das Chaos der Revolution, was insbesondere im mitgliederstarken Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) artikuliert wurde.

Im Kapitel "Turmoil, 1918-1924" zeigt Nielsen auf, dass zwar nur wenige Jüdinnen und Juden die Revolution aktiv bekämpften, viele sie jedoch verurteilten und sich auch später im demokratischen System erst allmählich zurechtfanden. Den Antisemitismus, der selbst in den besonders anfälligen Veteranenverbänden unterschiedlich wirkmächtig gewesen sei, hätten sie zwar durchaus wahrgenommen, seine Durchsetzungskraft sei aber noch nicht abzusehen gewesen. Dass die Argumentation hier teilweise auf dünnem Boden steht, zeigt das Beispiel des bayerischen Nahost-Wissenschaftlers Karl Süßheim, der Teil des Samples von Biografien ist, an denen der Autor seine Thesen beispielhaft durch das ganze Buch hindurch bekräftigt. Erst das Agieren Gustav von Kahrs als quasi-diktatorischer Generalstaatskommissar im Herbst 1923 hätten Süßheim letztlich der deutschnationalen Rechten entfremdet. Die Aussage überrascht, wenn man mit der Biografie des Professors vertraut ist: Süßheim war ein sicherlich lange von Obrigkeiten faszinierter, königstreuer bayerischer Konservativer, doch im völkischen Lager, das er zutiefst verachtete, war er nie zu verorten [2]. Sein auf Osmanisch und Arabisch geführtes Tagebuch ist von Orientalisten ediert worden, die in der Tat angeben, dass Süßheim 1919 die offen antisemitische DNVP gewählt habe; diese Information übernimmt Nielsen. Dabei handelt es sich um einen Übersetzungsfehler: Eine Überprüfung des Originals verrät, dass Süßheim linksliberal wählte, obwohl er das damit verbundene klar demokratische Bekenntnis nicht teilte. Der Antisemitismus der anderen Parteien ließ ihm in Bayern keine andere Option. Nielsens These, die Rechte habe sich erst Mitte der 1920er Jahre zunehmend zu einem "antisemitic project" entwickelt (257), wirkt nicht nur vor diesem Hintergrund wenig überzeugend: Auf Grundlage einer erschütternd evidenten Belegdichte lässt sich etwa anhand der Presselandschaft Münchens die längst kompromisslos antisemitische Durchdringung rechten Denkens zu dieser Zeit nachvollziehen.

Das folgende Kapitel ("Struggle, 1924-1929") möchte dennoch illustrieren, dass die Möglichkeitsräume für rechte jüdische Deutsche erst seit der Mitte der 1920er Jahre entschieden beengt wurden, und zwar in dem Maße, in dem die alte Rechte von der gänzlich illiberalen neuen abgelöst wurde: Letztere nämlich setzte den "Jewish spirit" verstärkt mit Republikanismus und linken Ideologien gleich (209); Antisemitismus wurde zu einem Distinktionsmittel. Dieses Motiv war bereits zu Weltkriegs- und Revolutionszeiten omnipräsent, Nielsen aber verwirft den Antisemitismus als traditionell verbindliches und verbindendes Merkmal der verschiedenen rechten Milieus - vielleicht, um eine Herangehensweise zu untermauern, die an sich durchaus gerechtfertigt ist: Er nimmt jüdische Akteurinnen und Akteure im konservativen bis rechten politischen Spektrum ernst und reduziert ihre Aktivitäten nicht auf einen jüdischen Selbsthass respektive internalisierten Antisemitismus, was eine Stärke seiner Arbeit ist.

Auch der Wunsch, Stereotype aktiv zu entkräften, kann die fortdauernde jüdische Beteiligung an rechten Aktivitäten nicht erschöpfend erklären. Anstatt jedoch zu fragen, ab welchem Punkt ein solches Engagement nun wirklich nicht mehr tragbar war, bietet sich eine Binnendifferenzierung an: Nicht wenige alteingesessene jüdische Deutsche akzeptierten den gegen die "Ostjuden" gewandten Antisemitismus. Wann schwand die Hoffnung, dass der Hass sich auf diese Gruppe kanalisieren ließ? Nielsen deutet den Konflikt immer wieder an und erwähnt den RjF, der auf eine jüdische Zukunft im "Dritten Reich" hoffte, indem "undeutsche" Jüdinnen und Juden ausgeschlossen würden (250). Eine solche, zugegebenermaßen unbequeme Perspektive erhellt das letzte Kapitel ("Descent, 1929-1935") ungemein.

Das Buch schärft anhand einer Fülle faszinierender Quellen den Blick auf ein nach wie vor spärlich beleuchtetes Feld. Die aufrichtige Verbundenheit mit Heimat und "Deutschtum", die viele jüdische genauso wie nicht-jüdische Deutsche empfanden, tritt angesichts ihrer Ausgrenzung und Vernichtung allzu oft in den Hintergrund; eine Dichotomie von Juden als passive Opfer und Nicht-Juden als aktive Täter führt die antisemitische Vorstellung einer angeblichen Andersartigkeit dabei gewissermaßen auf tragische Weise fort. Dass gerade die Nicht-Andersartigkeit der jüdischen Bevölkerung aber als Bedrohung wahrgenommen wurde, hat (neben anderen) Armin Nassehi überzeugend herausgearbeitet [3]. Nielsens Studie untermauert diesen Befund. Nicht weniger wichtig: Sie fordert ihre Leserschaft heraus, pauschalen Kollektiv-Zuschreibungen zu misstrauen und genauer hinzusehen, Ambiguitäten und Ambivalenzen anzuerkennen.

Hin und wieder jedoch hätte Nielsen gut daran getan, selbst ein wenig genauer hinzusehen: Auch wenn Makrostudien nicht allzu sehr ins Detail gehen können, hätten die von ihm gewählten wenigen Protagonisten bisweilen mehr Aufmerksamkeit verdient. Eine eingehendere Beschäftigung etwa mit Karl Süßheims Selbstverständnis hätte sich durchaus gelohnt: Der konservative Bayer und tiefgläubige Jude war nicht nur ein Vertrauter jungtürkischer Revolutionäre um den Religionskritiker Abdullah Cevdet, sondern auch der Bruder des Sozialdemokraten Max Süßheim, der aus der israelitischen Kultusgemeinde austrat. Letzterer war der radikalen Linken wie auch der Rechten gleichermaßen verhasst. Vielleicht sind es vor allem die heterogenen ideologischen Mittelfelder, die eine Betrachtung aus deutsch-jüdischer Perspektive mehr als verdient hätten.


Anmerkungen:

[1] Michael Brenner: Der lange Schatten der Revolution. Juden und Antisemiten in Hitlers München 1918-1923, Berlin 2019, Zitat: 15.

[2] Vgl. Kristina Milz: Karl Süßheim Bey (1878-1947). Eine Biografie über Grenzen, Berlin 2022, 133 f., 349 f. und 426-431.

[3] Süddeutsche Zeitung vom 28.6.2014: "Bekannte Fremde" (Armin Nassehi).

Kristina Milz