Rezension über:

Luciano Palermo: Il mercato romano nel carteggio di Francesco Datini (1377-1409) (= Roma nel Rinascimento. Inedita; 91), Roma: Roma nel Rinascimento 2020, 332 S., ISBN 978-88-85800-16-8 , EUR 32,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Tobias Daniels
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Daniels: Rezension von: Luciano Palermo: Il mercato romano nel carteggio di Francesco Datini (1377-1409), Roma: Roma nel Rinascimento 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 5 [15.05.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/05/35898.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Luciano Palermo: Il mercato romano nel carteggio di Francesco Datini (1377-1409)

Textgröße: A A A

Die Überlieferung der Stadt Rom stellt Historikerinnen und Historiker bekanntlich vor Herausforderungen. [1] Da das kommunale Archiv weitgehend verloren ist, muss man sich zur Rekonstruktion der Stadtgeschichte stark auf externe Archive stützen, etwa die päpstliche Überlieferung, notarielle Quellen, familiäre oder kommunale Archive, in Italien und andernorts. Die Überlieferung wird mit der neuerlichen Etablierung des Papsthofes durch Martin V. im 15., dann zumal im 16. Jahrhundert dichter, doch bis ins 14. Jahrhundert ist das Panorama vergleichsweise trübe.

Eine wertvolle Quelle sind die Briefe, welche einige Agenten und Geschäftspartner des Prateser Kaufmannsbankiers Francesco di Marco Datini (den der Papsthof nach Avignon gelockt hatte und der später von der Toskana aus agierte, Rom aber nie selbst betrat) aus der ewigen Stadt an ihn schrieben und die heute in dem immensen - nunmehr größtenteils digital konsultierbaren - Datini-Archiv im Staatsarchiv Prato verwahrt werden. Sie sind für Rom deshalb so wertvoll, weil sie in eine fragmentierte (aber nicht hoffnungslose!) Überlieferungslandschaft viel Licht bringen. In der Forschung wurden sie beispielsweise als einzige Quellen für den Untergang der freien Kommune Roms am Ende des 14. Jahrhunderts herangezogen, ebenso wie für eine Kartierung der Kaufmannskolonien im Rom des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts. [2]

Luciano Palermo, einer der besten Kenner der römischen Wirtschaftsgeschichte, hat sich nun eines weniger bekannten Teils dieser Massenquelle in höchst verdienstvoller Weise angenommen. Er wertet für die Jahre 1377-1409 die Briefe der Datini-Agenten aus Rom nach Barcelona, Valencia und Mallorca nicht nur aus, sondern ediert auf knapp 100 Seiten auch ganze 90 dieser in mercantesca gekritzelten, nicht immer einfach zu lesenden Schreiben. Noch beeindruckender fällt die Bilanz aus, wenn man sich vor Augen führt, dass sich in Prato insgesamt 1882 römische Briefe befinden! Ihre Auswertung liegt der vorgeschalteten Abhandlung Palermos zur Wirtschaftsgeschichte Roms jener Jahre zugrunde, die jede nachfolgende Forschung als fundamental zur Kenntnis zu nehmen haben wird. Palermos These lautet, dass in diesem Zeitraum die Grundlage für die nachfolgende Blüte Roms in der Frührenaissance gelegt worden sei, insofern sich hier ein aufstrebender internationaler Markt ("mercato emergente") entwickelt habe; ein Markt, der noch institutionelle und ökonomische Probleme aufwies, aber gleichzeitig großes Potenzial hatte (37f.).

Daneben zieht Palermo aus dem Material eine Fülle von Einzelerkenntnissen zur Funktionsweise des römischen Marktes im Spiegel der Kaufmannsbriefe. Kapitel 1 charakterisiert die Quelle, den Umlauf der Briefe, die Aussteller: vier Datini verbundene römische Handelskonsortien.

Kapitel 2 beschreibt bis ins kleinste Detail, und dies in den Worten der Kaufleute selbst, die Marktstrukturen und -abläufe: Von der Gestalt eines Hauses bzw. Handelskontors über die ökonomische Infrastruktur, die Warenpreise, Marktstrategien, Allianzen und Dependenzen, kaufmännische Erörterungen, wie man mit diesen immer wieder als zahlungsunwillig oder -fähig beschriebenen Römern denn Handel treiben könne, bis hin zur vergleichenden Marktobservierung und -kalkulation, auch angesichts von Gefahren wie Krieg, Piraten (darunter auch päpstliche Seeräuber! 81f.) und Seuchen. Bei öffentlichen Interventionen und Marktregulierungen fehlen Verweise auf die Kommune und die Rolle der Päpste (etwa in den Heiligen Jahren) nicht.

Kapitel 3 zeigt dann in beeindruckender Weise (im Anschluss an Forschungen von Federigo Melis, Ivana Ait und Marco Venditelli) auf, wie Rom in das größere System des Mittelmeerhandels eingebunden war, insbesondere im Tyrrhenischen Meer und an den Küstensäumen der Krone Aragón, mit den Schaltstellen der großen Mittelmeerinseln und Inselgruppen wie den Balearen, Sardinien und Sizilien, mit den mächtigen Seerepubliken Genua, Pisa, Neapel, und den für Rom wichtigen Umschlagplätzen Civitavecchia und Gaeta. Aus den Briefen werden nicht nur die Haupthandelsrouten und die bedeutende Interdependenz mit Aragón deutlich, sondern es lassen sich auch Waren- und Geldströme detailliert nachvollziehen; auch wird deutlich, dass Rom - wenn auch in geringerem Maße als andere Städte und Regionen - Produzent von durchaus geschätzten Produkten war, etwa von Honig ("mele romano, ch'è uno bello mele") oder Papier ("buonissima chartta da scrivere") (147). Zudem wird ersichtlich, was Rom so alles importierte, wie es verzollt und physisch in die Stadt transportiert wurde, und dies in einer Zeit, in der die Zollregister noch nicht überliefert sind. Lamentabel erschien den Datini-Korrespodenten in jenen Jahren die geringe Nachfrage oder Verfügbarkeit von Waren, auch Geldtransfers gestalteten sich aufgrund mangelnder Liquidität oder Zahlungsverzügen schwierig. Aber auch hier ist die Überlieferung sehr konsistent mit 70 Wechselbriefen, und man ersieht aus ihnen die genauen Geldwerte und eingesetzten Münzen, Umrechnungen, Wechselkurse. Auch über Versicherungen ist etwas zu erfahren, z.B., dass die Versicherten den Versicherern keineswegs trauten, im Falle eines Schadens auch ihr Geld zu erhalten (206 mit Anm. 287).

Aber nicht nur die vielen Erkenntnisse im Detail, die konkreten Antworten auf offene Fragen, zeichnen dieses Buch aus, sondern auch die stringent durchgehaltene größere Analyseperspektive mit Blick auf die Entwicklung des römischen Marktes, des Marktsystems einer Stadt, deren Wirtschaft stärker maritim geprägt war, als dies oftmals vor Augen steht. Ein wichtiges Buch, für das nicht nur die Romforschung dem Autor Dank und Respekt zollen kann.


Anmerkungen:

[1] Arnold Esch: Rom in der Renaissance. Seine Quellenlage als methodisches Problem, in: HZ 261 (1995) 337-364; Ders.: Rom. Vom Mittelalter zur Renaissance 1378-1484, München 2016.

[2] Arnold Esch: Bankiers der Kirche im Großen Schisma, in: QFIAB 46 (1966) 277-398; Ders.: Bonifaz IX. und der Kirchenstaat, Tübingen 1969 (Bibliothek des DHI in Rom, 29); Ders.: Florentiner in Rom um 1400. Namensverzeichnis der ersten Quattrocento-Generation, in: QFIAB 52 (1972) 477-525; Ders.: La fine del libero comune di Roma nel giudizio dei mercanti fiorentini. Lettere romane degli anni 1395-1398, in: Bullettino dell'Istituto storico italiano per il Medio Evo 86 (1976/77) 235-277.

Tobias Daniels