Carola Lentz / Marie-Christin Gabriel: Das Goethe-Institut. Eine Geschichte von 1951 bis heute, Stuttgart: Klett-Cotta 2021, 308 S., 2 Kt., ISBN 978-3-608-98470-5, EUR 28,00
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Gemessen am Umstand, dass das Goethe-Institut die größte und bekannteste Mittlerorganisation der bundesrepublikanischen auswärtigen Kulturpolitik ist, gibt es nur wenige Studien zu seiner Geschichte. Außerdem beschränken sich diese auf die Tätigkeit bestimmter Auslandsinstitute oder sie behandelten nur einen Ausschnitt aus der nunmehr 70-jährigen Geschichte der Organisation, deren Wurzeln jedoch auf die Weimarer Republik zurückgehen, als in München die Deutsche Akademie und innerhalb dieser ein erstes Goethe-Institut zur Vermittlung der deutschen Sprache entstand. [1]
Carola Lentz, seit November 2020 Präsidentin des Goethe-Instituts, und ihre Mitarbeiterin Marie-Christin Gabriel haben die erste, in handlichem Format gehaltene und gut verständlich geschriebene Überblicksgeschichte der Institution verfasst. Sie setzt mit der Gründung der Vorläuferorganisation Deutsche Akademie 1923 ein, die wie das heutige Institut als privatrechtlicher Verein verfasst war, und endet mit dem Corona-Jahr 2020. Die Autorinnen zeigen sich erstaunt, dass man sich innerhalb des Goethe-Instituts bislang so wenig für die eigene Geschichte interessiert und entsprechend wenige Anstrengungen unternommen hat, diese zu überliefern. Insofern ist das Werk auch eine nachholende historische Spurensicherung: Es beruht im Kern auf mehreren Dutzend 2020/21 von Marie-Christin Gabriel geführten Interviews mit ehemaligen oder noch aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts, die zwischen den 1960er und 1990er Jahren in dessen Dienst traten und meist einen Großteil ihres Berufslebens für die Organisation gearbeitet haben. Innovativ ist die Auswahl der Gesprächspartnerinnen und -partner, denn es handelt sich bei ihnen nicht nur um Deutsche, die im bis heute üblichen Rotationsprinzip zwischen der Münchener Zentrale, den Inlandsinstituten und den Auslandsinstituten wechselten. Es kommen zudem Ortskräfte zu Wort, die an den Auslandsinstituten zu den in den jeweiligen Gastländern üblichen Tarifen angestellt sind. Sie bilden als Sprachlehrerinnen und -lehrer, Bibliothekskräfte oder Projektleiterinnen und -leiter das personelle Rückgrat der Auslandsarbeit und sind unerlässlich für einen wirklichen Brückenschlag zwischen Deutschland und dem Gastland. Deutlich wird an den Interviews, dass seit den 1960er Jahren die Erfahrungen im Auslandseinsatz stets sehr stark auf die Programmvorstellungen und Arbeitsweise der Münchener Zentrale zurückgewirkt haben. Lediglich in personeller Hinsicht ist dies bis heute nicht der Fall. In München, so die Autorinnen, arbeiteten immer noch fast ausschließlich Menschen weißer Hautfarbe und deutscher Nationalität, was u. a. daran liegt, dass nur Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit die Position eines gut dotierten Entsandten an ein Auslandsinstitut bekleiden können. Diese ethnische Homogenität passe jedoch weder zur globalen Tätigkeit des Instituts mit derzeit 158 Standorten auf fünf Kontinenten, noch zur Idee des partnerschaftlichen Austausches mit anderen Kulturen oder dem Selbstverständnis Deutschlands als Einwanderungsland.
Gleichwohl sehen die Autorinnen die Entwicklung des Goethe-Instituts seit seiner (Wieder-)Gründung 1951 im Kern als eine Erfolgsgeschichte. Die Institution habe die Umbrüche und Krisen der letzten sieben Jahrzehnte, die Deutschland und die Welt prägten, stets als Anstoß zu einer zeitgemäßen Kulturarbeit genutzt und zumeist ein beeindruckendes Maß an kritischer Selbstreflexion an den Tag gelegt. So löste sich die Organisation in den 1960er Jahren von der ursprünglichen Idee des einseitigen Exports deutscher Sprache und Hochkultur und wandte sich im Zuge der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung in der Bundesrepublik und entsprechend dem Wunsch einer in Ländern wie Frankreich und Italien durchaus der Bundesrepublik kritisch gegenüberstehenden ausländischen Öffentlichkeit dem gegenseitigen partnerschaftlichen Austausch im Rahmen eines erweiterten Kulturbegriffs zu, Jahre bevor beides 1970 Eingang in die Leitsätze des Auswärtigen Amts zur auswärtigen Kulturpolitik fand. Seit etwa drei Jahrzehnten versteht sich das Institut (wie auch die deutsche auswärtige Kulturpolitik insgesamt) eher als "globaler Netzwerker", (259) der verschiedenste staatliche wie private Akteure zusammenbringen will, um gemeinsam Projekte anzustoßen und Themen anzusprechen, die weit über die Ebene interessegeleiteten bilateralen Austausches zwischen einzelnen nationalen Kulturen hinausgreifen.
Zu den seit der Gründung bewältigten Herausforderungen zählt laut den Autorinnen die Systemkonkurrenz zu den DDR-Kulturinstituten, das stete Austarieren der Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt als Hauptgeldgeber und potenziellem Haupteinflussnehmer auf die Institution, die gelegentliche scharfe Kritik von konservativer Seite an der Programmarbeit des als linksliberal angesehenen Instituts in den 1980er Jahren sowie die Ausweitung des Institutsnetzes im ehemaligen Ostblock nach 1989/90. Weitere Wegmarken, welche das Institut geprägt und zum Wandel der organisatorischen Strukturen und der Arbeitsweisen sowie der Erweiterung des Kreises der Kooperationspartner geführt hatten, stellten die Dekade der finanziellen Einschnitte und Institutsschließungen angesichts knapper öffentlicher Kassen zwischen Mitte der 1990er Jahre und dem Antritt des ersten Merkel-Kabinetts 2005 dar, die verstärkten Dialogbemühungen mit der islamischen Welt nach dem 11. September 2001 sowie das Aufkommen von europaskeptischen und deutschlandfeindlichen Stimmen in einigen EU-Ländern während der Finanz- und Eurokrise, die das Goethe-Institut im Verbund mit Partnerorganisationen aus den Nachbarländern mit "europäische[n] Narrative[n]" gekontert habe. (223) Zu den bewältigten Herausforderungen der jüngsten Zeit zählten die Hilfestellung des Goethe-Instituts während der Flüchtlingskrise 2015, auf die man mit vermehrten Sprachangeboten, Integrationskursen und der Unterstützung geflohener syrischer Künstler reagiert habe, und schließlich in Zeiten der Corona-Pandemie der Quantensprung hinsichtlich der digitalen Präsenz der Institution.
Es wäre verwunderlich und einem erfolgreichen Start ins Amt kaum dienlich, wenn die neue Präsidentin und ihre Assistentin dem Goethe-Institut ein schlechtes Zeugnis über die in der Vergangenheit geleistete Arbeit ausgestellt hätten. Gleichwohl wünscht man sich doch gelegentlich eine etwas kritischere Distanz der Autorinnen zum Objekt ihrer Untersuchung. Auch die ausführlich zitierten Gespräche mit den ehemaligen und noch aktiven Mitarbeitern des Instituts nehmen oft den Zug des Nostalgischen oder der unreflektierten Selbstdarstellung an gemäß dem Motto, es seien spannende Zeiten gewesen und die "Goetheaner" hätten in einem gemeinsamen Kraftakt allen Widrigkeiten und Anfeindungen zum Trotz Außergewöhnliches geleistet. Die gewählte Darstellungsform wandelt letztlich auf einem schmalen Grat. Einerseits handelt es sich um eine einfühlsam geschriebene Studie, welche die Tätigkeit des Instituts in der Vergangenheit und die lebensweltliche Erfahrung seiner Mitarbeiter anschaulich schildert. Andererseits liest sich das Buch zum Teil wie eine anekdotisch eingefärbte Festschrift zum 70. Jahrestag der Institutsgründung, die ehemaligen Mitarbeitern ein Denkmal setzen will, an dem sich künftige Generationen von Kulturvermittlern ein Beispiel nehmen können.
Gravierender ist jedoch eine andere inhaltliche Unwucht des Buches. Die Autorinnen versuchen, die Arbeit und Entwicklung des Goethe-Instituts im Kontext sowohl der deutschen Nachkriegsgeschichte als auch der wichtigsten globalpolitischen Trends seit 1945 chronologisch zu erzählen. Sie wollen eruieren, wie die Veränderungen auf nationalstaatlicher und internationaler Ebene auf Tätigkeit und Selbstverständnis des Instituts eingewirkt haben beziehungsweise inwiefern die Institution ihrerseits kulturpolitische Akzente in Deutschland oder im Ausland setzen konnte. Angesichts der nun 70-jährigen (und mit dem Vorläufer Deutsche Akademie bald 100-jährigen) Geschichte der global agierenden Organisation, eines begrenzten Buchumfangs von nur 260 Seiten und der äußerst kurzen Entstehungszeit des Werkes von nur einem Jahr war das ein äußerst ambitionierter und vielversprechender Ansatz, der leider in der dargebotenen Form nicht überzeugt. Denn de facto gliedern sich die Kapitel stets in einen Vorspann, in dem die wesentlichen Wegmarken der deutschen wie internationalen Geschichte stark verkürzt und vereinfacht abgehandelt werden, um sich dann im zweiten Teil der Entwicklung und den Herausforderungen des Goethe-Instituts im jeweiligen Zeitraum zu widmen. Zur Irritation des Lesers gehen die institutsspezifischen Passagen wiederholt chronologisch weiter zurück als die jeweils zuvor geschilderte deutschlandpolitische und globalpolitische Großwetterlage. Durch diese Vorgehensweise findet keine wirkliche Verknüpfung zwischen beiden Erzählsträngen statt, sondern sie laufen vielmehr parallel beziehungsweise passagenweise sogar zeitlich versetzt nebeneinander. Die gegenseitige Durchdringung und Befruchtung zwischen dem Goethe-Institut einerseits und der hiesigen wie der Gesellschaften der Partnerländer bleibt so eher unterstellt als dass sie konkretisiert oder belegt wird.
Anmerkung:
[1] Zu nennen sind vor allem Eckard Michels: Von der Deutschen Akademie zum Goethe-Institut. Sprach- und auswärtige Kulturpolitik 1923-1960, München 2005; Steffen R. Kathe: Kulturpolitik um jeden Preis. Die Geschichte des Goethe-Instituts von 1951 bis 1990, München 2005 sowie Bernhard Wittek: Und das in Goethes Namen. Das Goethe-Institut von 1951 bis 1976, Berlin 2006.
Eckard Michels