Bert De Munck / Antonella Romano (eds.): Knowledge and the Early Modern City. A History of Entanglements (= Knowledge Societies in History), London / New York: Routledge 2020, XV + 255 S., 35 s/w-Abb., ISBN 978-1-138-33771-8, GBP 39,00
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Im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes steht das Verhältnis von frühneuzeitlicher Stadt und 'Wissen' beziehungsweise die Frage danach, wie "certain types of knowledge and knowledge formation became historically entangled with the city and the urban context." (3) Statt die Stadt zum Schauplatz gelehrter Innovationen zu stilisieren, rückt der Band die Verschränkungen von Urbanität und verschiedenen Formen der Wissensproduktion in den Fokus. Dabei entwerfen die Herausgeber:innen in der überaus lesenswerten Einleitung ein breites Panorama an verschiedenen Aspekten und Perspektiven: Netzwerke, Räume, Körper spielen hier ebenso eine Rolle wie Institutionen, Praktiken und das Zusammenspiel von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Theoretisch sucht die Einleitung den Anschluss an die jüngere Praxeologie sowie die Akteur-Netzwerk-Theorie und zielt darauf, die Wissensgeschichte der frühneuzeitlichen Stadt um eine "agency of the urban" zu bereichern (18).
Thematisch ist der Band in drei Abschnitte untergliedert: I: Knowledge and the "staging of the city", II: Urban agency, science, technology and the making of the city und schließlich III: Imperial cities, knowlegde for empires?, wobei die Kapitel kaum trennscharf voneinander zu scheiden sind. So bleibt offen, ob etwa das "staging of the city" nicht grundsätzlich auch der permanenten Her- und Darstellung von Stadt dient und damit ein "making" ohne ein "staging" kaum denkbar ist. Der geografische Fokus liegt auf den niederländischen Städten, insbesondere mit den Beiträgen von Anne-Laure Van Bruaene, Marius Buning, Karel Davids und Dániel Margócsy zu Antwerpen, Amsterdam, Leiden und der niederländischen Kolonialstadt Batavia. Hinzu kommen Fallstudien zu Coimbra (Leonardo Ariel Carrió Cataldi), Nürnberg (Hannah Murphy), Wien (Paola Molino), Paris (Stéphane van Damme) und Rom (Elisa Andretta, Antonella Romano).
Man kann Sammelbände bekanntermaßen auf verschiedene Arten rezipieren. Betrachtet man das Thema des Bandes als lose Klammer für einzelne Beiträge, dann macht die Lektüre Freude. In den meisten Beiträgen zeigt sich, dass die Fokussierung auf Wissen und Stadt interessante Befunde bietet, die für sich genommen lesenswert sind. Besonders hervorzuheben etwa ist der sehr schöne Beitrag von Hannah Murphy über die textimmanenten sozialen und materiellen Ordnungslogiken des 1547 geschriebenen "Verzeichnis'" des Nürnberger Kalligraphen und Mathematikers Johann Neudörffer, einer Sammlung von Künstler- und Handwerkerbiographien. Statt der Fokussierung auf das einzelne künstlerische Genie dienen Neudörffer Kollaboration, soziale Netzwerke und handwerkliches Können als zentrale Ordnungskategorien. Sehr anregend ist auch der Beitrag von Paola Molino zum Funktionswandel der Wiener Bibliothek vom 16. zum 17. Jahrhundert. So streut Molino das nötige Salz in die Suppe und zeigt, dass städtische Wissensräume eben auch bedeuten, dass sich Akteure anschreien, Bibliotheksräume zu eng, Bücher nicht auffindbar oder gleich ganz verloren sind.
Wenn man den Band, der Einleitung entsprechend, allerdings unter dem Blickwinkel einer Verflechtungsgeschichte zwischen Wissen und Stadt betrachtet, bleibt der Lektüreeindruck zwiespältig. Eine Schwierigkeit liegt möglicherweise in der Reichhaltigkeit der Einleitung selbst. Die Vielfalt an möglichen Perspektiven einer Wissensgeschichte der Stadt und / oder einer urbanen Wissensgeschichte, die DeMunck und Romano anbieten, machen es bisweilen herausfordernd, den roten Faden zu finden. So wird das heuristische Potenzial der Akteur-Netzwerk-Theorie, das in der Einleitung betont wird, in den Beiträgen nicht aufgegriffen. Wie die bisweilen scharf geführten Diskussionen um das Potenzial der ANT für die Geschichtswissenschaft zeigen, handelt es sich hier um ein empirisch wie methodisch herausforderndes Theoriedesign. [1] Ohne eine vertiefende Auseinandersetzung in den Beiträgen bleiben die Referenzen in der Einleitung daher zu blass und allgemein.
Grundsätzlicher noch stellt sich die Frage, was genau unter Wissen in dem Band verstanden wird: Handelt es sich um einen wie der Titel suggeriert Untersuchungsgegenstand oder aber im Sinne der jüngeren Wissensgeschichte um eine Perspektive, die auf die "historische Eigenart des sozialen Umgangs mit Wissen" (Marian Füssel) abzielt und nach dessen epistemologischen Bedingungen fragt? [2] Die meisten Beiträge des Bandes kann man im letztgenannten Sinne verstehen.
Versteht man Wissen jedoch als konkreten Gegenstand, dann kommt man um eine genauere Begriffs- und Gegenstandsbestimmung nicht herum - eine Aufgabe, der sich die Einleitung jedoch explizit entzieht (12). Eine klare Benennung des Gegenstandes wäre aber wichtig, um nicht unter der Hand konventionelle Narrative einer Geschichte primär gelehrten, druckmedial vermittelten Wissens intellektueller Eliten zu begünstigen. Diese Engführung wäre an und für sich unproblematisch, wenn sie offengelegt würde. Aber da in der Einleitung ja genau der Bruch mit dieser Perspektive gefordert wird (1-2), wäre hier vielleicht etwas mehr Mut angezeigt gewesen, die ausgetretenen Pfade einer klassischen Wissensgeschichte der Stadt zu verlassen. Besonders auffällig wird dies mit Blick auf die Akteure. Die Geschichte von Wissen und Stadt, wie sie in dem Band präsentiert wird, ist eine exklusiv männliche Geschichte. Allein in dem Beitrag von Murphy findet sich am Rande ein Verweis auf Frauen und deren Rolle als soziale Knotenpunkte (67). Ansonsten handelt es sich um eine männlich dominierte urbane Wissenskultur. Das trifft mit Blick auf gelehrtes Wissen sicher zu, aber es stellt sich eben doch die Frage, ob die Abwesenheit von Frauen nicht eine Frage der Heuristik ist.
Ein zweiter Einwand betrifft die Frage nach den Spezifika der Stadt. Es ist auffällig, dass die in dem Band vertretenen Städte wie Wien, Rom, Paris, Antwerpen oder Amsterdam allesamt intellektuelle Hotspots sind: Sie sind in globale Netzwerke eingebunden, verfügen über Wissensinstitutionen wie Universitäten und Bibliotheken oder sind, wie Nürnberg, kulturelle und handwerkliche Zentren. Handelt es sich hierbei um typische frühneuzeitliche Städte oder nicht doch eher um Leuchttürme innerhalb einer europäischen Städtelandschaft? Wie würden die Befunde aussehen, wenn man Städte mit einem weniger ausgefächerten intellektuellem Profil und entsprechenden Institutionen integrierte? Gerade wenn, wie die Einleitung suggeriert, die "urban agency" so zentral für eine Wissensgeschichte der frühneuzeitlichen Stadt ist, müsste intensiver über die Auswahlkriterien nachgedacht werden.
Ein dritter Einwand betrifft die Frage nach dem zeitlichen Wandel: In der Einleitung wird plausibel gegen eine teleologische Perspektive einer Wissensgeschichte der Stadt argumentiert (20). Aber nicht jede Prozessgeschichte ist teleologisch. Welche Auswirkungen haben die Institutionalisierung von Wissensinstitutionen, die Ausdifferenzierung akademischer Disziplinen, die Gründung bürgerlicher Vereine, Clubs und Sozietäten und die printmediale Expansion im 18. Jahrhundert? Verlieren Städte ihren exklusiven Charakter als Katalysatoren von Wissen, je stärker sich eine publizistische Öffentlichkeit formuliert, oder verändern sich die Orte, Akteure und Bedingungen von urbanen Wissenskulturen? So ganz, das macht der Band deutlich, kommt man um eine Beschäftigung mit dem Wandel von Stadt und Wissen nicht herum.
In der Zusammenschau zeigen diese Fragen, dass das Problem einer Wissensgeschichte der Stadt (oder aber einer urbanen Wissensgeschichte) überaus anregend, aber konzeptionell noch nicht ausdiskutiert ist. Umso wichtiger ist der Band als Auftakt für eine vertiefende Diskussion.
Anmerkungen:
[1] Marian Füssel / Tim Neu (Hgg.): Akteur-Netzwerk-Theorie und Geschichtswissenschaft, Paderborn 2021.
[2] Marian Füssel: Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft. Neue Forschungen zur Kultur des Wissens in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 34,2 (2007), 273-289, 275.
Franziska Neumann