Rezension über:

Cornelia Dold: Außerschulische Lernorte neu entdeckt. Wie selbstreguliertes Lernen in Gedenkstätten tiefgreifende Lernprozesse fördert (= Wochenschau Wissenschaft), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2020, 288 S., ebook, ISBN 978-3-7344-1074-1, EUR 29,99
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Rezension von:
Alexandra Krebs
Theorie und Didaktik der Geschichte, Universität Paderborn
Redaktionelle Betreuung:
Fiona Roll
Empfohlene Zitierweise:
Alexandra Krebs: Rezension von: Cornelia Dold: Außerschulische Lernorte neu entdeckt. Wie selbstreguliertes Lernen in Gedenkstätten tiefgreifende Lernprozesse fördert, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 6 [15.06.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/06/36380.html


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Cornelia Dold: Außerschulische Lernorte neu entdeckt

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Alle Schüler*innen sollten einmal während ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte eines ehemaligen Konzentrationslagers oder einen anderen Erinnerungsort besucht haben. Dies wird in Deutschland seit mehreren Jahren in den meisten Bundesländern gefordert. Auch in Rheinland-Pfalz wurde in den Jahren 2019 / 2020 dazu eine Richtlinie für die Schulen festgeschrieben (29). Außerschulischen Lernorten, insbesondere KZ-Gedenkstätten, werden vielfältige Potenziale für das historische Lernen zugesprochen: Durch ihre "Authentizität und Anschaulichkeit" werden sie oft als "Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart" bezeichnet, die "so das Begreifen von Geschichte vereinfachen" (29). Es werden demnach viele Forderungen und Erwartungen an Gedenkstätten gerichtet, zugleich ist jedoch kaum etwas darüber bekannt, was Schüler*innen beim Besuch vor Ort tatsächlich (historisch) lernen. Diesem Forschungsdesiderat möchte Cornelia Dold in der hier vorgestellten Publikation Abhilfe schaffen (22). Die Autorin war selbst mehrere Jahre pädagogische Mitarbeiterin in der Gedenkstätte KZ Osthofen bei Worms und kennt den außerschulischen Lernort, der im Mittelpunkt ihrer Forschung steht, daher aus der eigenen praktischen Arbeit.

Eingerichtet im März 1933 zählt das KZ Osthofen zu den sogenannten 'frühen Konzentrationslagern', welches in der Anfangsphase der NS-Diktatur vor allem der "Inhaftierung und Ausschaltung politischer Gegner" (32) diente. Nach einer wechselvollen Geschichte (ab 1936 zunächst Möbelfabrik, danach Plastik-Recyclingfirma) wurde das Gelände etwa ab den 1980er Jahren zu einer der zentralen NS-Gedenkstätten in Rheinland-Pfalz (30). Diese bietet zahlreiche Anlässe für historische Lernprozesse: "Die Regionalität macht es möglich, dass Schülerinnen und Schüler begreifen, dass die Verfolgung durch die Nationalsozialisten nicht nur weit weg, in Großstädten oder in Vernichtungslagern stattfand, sondern eben auch direkt vor der Haustür" (39).

Für diesen Lernort entwickelte Cornelia Dold im Rahmen ihres Promotionsprojektes an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz das ergänzende Führungskonzept der sogenannten 'aktivierten Rundgänge', welches sie im zweiten Teil der Arbeit vorstellt [1]: Im Sinne eines selbstregulierten Lernens sollen die Schüler*innen ihren Lernprozess möglichst eigenverantwortlich gestalten, um durch eine angeleitete Quellenarbeit und mit Hilfe weiterer Materialien zu Expert*innen verschiedener Themenbereiche der Geschichte des KZ Osthofens zu werden und beim Besuch vor Ort die Mitschüler*innen zu ihren jeweiligen Fragestellungen in Begleitung einer pädagogischen Fachkraft selbstständig über das Gelände der Gedenkstätte zu führen (86). Hierzu ergänzend entwarf die Autorin ein Fachsprachen- und Methodenlernen, welches auf Grundlage von Leitfäden und Übungsaufgaben zur Bild- und Textquellenanalyse vor allem für einen "kritischen Umgang mit Quellen und sprachlichen Mitteln" sensibilisieren soll (102).

Dieses Konzept ist insoweit besonders, dass es verschiedene Lernmodelle, Konzepte und Prinzipien sowohl aus den Bildungswissenschaften beziehungsweise der Lernpsychologie als auch der Geschichtsdidaktik zusammenführt. Im Zentrum steht dabei das "pluriliterale Lehr-Lernmodell" der 'Graz Group', [2] welches vor allem die Förderung der "Sachfachliteralität", also eine fachspezifische Verknüpfung inhaltlichen und sprachlichen Lernens, adressiert. Hierdurch soll "tiefgreifendes Lernen" ermöglicht werden, welches Fähigkeiten fördert, die variabel auf weitere Problemstellungen und neue Kontexte übertragen werden können (63). Fachspezifisch gewendet wird dieses Modell durch die Verbindung mit den geschichtsdidaktischen 'Historical Thinking Concepts' von Peter Seixas und Tom Morton [3]: Die Arbeitsaufträge in den Materialien wurden so konzipiert, dass sie "zunächst zu einer Analyse, einer Einordnung in den historischen Kontext und abschließend zur kritischen Beurteilung der Quellen anleiten" (88).

Fördern nun die beschriebenen "Instruktionen zu selbstreguliertem Lernen und ein Fachsprachen- und Methodentraining tiefgreifendes Lernen am außerschulischen Lernort" (84)? Diese zentrale Forschungsfrage versucht Cornelia Dold im empirischen, dritten Teil ihrer Arbeit zu beantworten. Sie vergleicht hierzu Lerngruppen, welche das neue Konzept der 'aktivierten Rundgänge' sowie das Fachsprachen- und Methodentraining nutzten, mit Lerngruppen, welche an den regulären Führungen der Gedenkstätte teilnahmen. Untersucht wurden die dabei erworbenen Kompetenzen, der Lernzuwachs und das Lernverhalten sowie motivationale und emotionale Aspekte, da diesen ebenso "eine fundamentale Bedeutung für Lernen und Leistung" (49) zugesprochen wird.

Hierfür wurde ein komplexes 'Mixed-Methods Design' mit mehreren Pre- und Posttests entwickelt. Zur Datenerhebung wurden verschiedene Fragebögen (Emotions- und Einstellungsfragebogen, Fragebogen zur intrinsischen Motivation sowie zum "angewandten Lernverhalten" (138-140)) sowie Testaufgaben (Vorwissens- und Abschlusstest) eingesetzt, die danach im Hinblick auf die Forschungsfrage statistisch ausgewertet wurden. [4] Diese komplexe Kombination verschiedener Erhebungs- und Auswertungsverfahren sowie die vielschichtigen Analyseaspekte sind bemerkenswert, führen jedoch auch zu Problemen und Unstimmigkeiten im Verlauf der Studie: So sind die Kontroll- und Experimentalgruppen aufgrund ihrer Zusammensetzung teilweise nicht miteinander vergleichbar (Leistungskurs mit Grundkursen in der Pilotierung) oder unvollständig (keine Kontrollgruppe in der letzten Hauptstudie). Mit Hilfe der eingesetzten Testinstrumente können nur partiell Antworten auf die Forschungsfrage herausgearbeitet werden. Bei der Auswertung der Fragebögen zeigten sich zum Beispiel teils uneinheitliche Ergebnisse, die darauf zurückgeführt werden können, dass es Lernenden "oftmals schwerfällt, selbst ihr Lernverhalten einzuschätzen" (264). Außerdem, so die methodenbezogene Reflexion der Autorin, kann eine "abstrahierte Erfassung durch Fragebögen" zu "unpräzisen oder verzerrten Aussagen des tatsächlichen Lernverhaltens" führen (264). Ebenso problematisch erscheint es, historische Kompetenzen im eingesetzten Vorwissens- und Abschlusstest mit identischen Aufgaben zu evaluieren (193), da bereits der erste Test eine Lernsituation darstellt und ein Lernzuwachs in der zweiten Testphase daher wenig aussagekräftig ist. Der Autorin gelingt es jedoch größtenteils, diese Einschränkungen am Ende der Arbeit zu reflektieren und konstruktiv zu wenden, indem sie für weitere Folgestudien Alternativen, wie zum Beispiel den ergänzenden Einsatz qualitativer Methoden (264), vorschlägt.

Auch wenn die zentrale Forschungsfrage aufgrund der genannten Probleme nicht abschließend beantwortet werden kann, weisen die Teilergebnisse der Untersuchung dennoch auf "vielversprechende Ansätze" (265) der Konzepte der 'aktivierten Rundgänge' wie auch des Fachsprachen- und Methodentrainings hin, sodass anhand der Studie "die Notwendigkeit der Kombination aus fachlichem und sprachlichem Lernen für tiefgreifende Lernprozesse" (263) aufgezeigt werden kann. Ebenso ließen sich "positive signifikante Zusammenhänge zwischen intrinsischer Motivation, Interesse und positiven Emotionen und Einstellungen" (264) der Lernenden anhand der Daten belegen. Folglich ist der Autorin in ihren abschließenden Forderungen zuzustimmen, eine "Lernumgebung zu schaffen, in der Schülerinnen und Schüler vor allem Lernfreude und Neugier erleben können" (265).

Trotz der genannten Monita bietet die Arbeit vor allem neue und spannende Impulse für die Gestaltung historischer Lernprozesse an außerschulischen Lernorten. Aus geschichtsdidaktischer Perspektive zeigt sich zudem, wie lohnend der Blick über den disziplinären Tellerrand sein kann, sodass es wünschenswert erscheint, die entwickelten Konzepte der 'aktivierten Rundgänge' sowie des Fachsprachen- und Methodentrainings in der geschichtsdidaktischen Unterrichtspraxis zu verankern.


Anmerkungen:

[1] Dabei muss betont werden, dass es sich hierbei nicht um eine rein geschichtsdidaktische, sondern eine interdisziplinäre Forschung handelt, da die Dissertation am Lehrstuhl für Psychologie in den Bildungswissenschaften eingereicht wurde.

[2] Vergleiche hierzu Oliver Meyer et al.: Positive Learning and Pluriliteracies. Growth in Higher Education and Implications for Course Design, Assessment and Research, in: Positive Learning and Transformation in the Age of Information - A Blessing or a Curse?, hgg. von Olga Zlatkin-Troitschanskaia / Gabriel Wittum / Andreas Dengel, Wiesbaden 2018, 235-265.

[3] Peter Seixas / Tom Morton: The Big Six. Historical Thinking Concepts, Toronto 2013.

[4] In einer ersten Pilotuntersuchung (N=45, Jahrgangsstufe 13) wurden zunächst das neue Konzept sowie die eingesetzten Erhebungs- und Auswertungsstrategien getestet und für die folgenden drei Hauptstudien (N= 98, 48, 23) mit Lernenden der Jahrgangsstufen neun, zehn und 13 angepasst. In diesen wurde jeweils der Einsatz der Konzepte variiert, um sie so getrennt und im Zusammenspiel zu evaluieren.

Alexandra Krebs