Rezension über:

Patrick Bouvart: Les prieurés de Fontevraud dans le diocèse de Poitiers. Conditions d'implantation, topographie monastique et évolution (= Archéologie & Culture), Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2021, 220 S., 152 Abb., ISBN 978-2-7535-8325-2, EUR 35,00
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Rezension von:
Annalena Müller
Historisches Seminar, Universität Fribourg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Annalena Müller: Rezension von: Patrick Bouvart: Les prieurés de Fontevraud dans le diocèse de Poitiers. Conditions d'implantation, topographie monastique et évolution, Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 7/8 [15.07.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/07/36550.html


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Patrick Bouvart: Les prieurés de Fontevraud dans le diocèse de Poitiers

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Mit Les prieurés de Fontevraud dans le diocèse de Poitiers legt Patrick Bouvart eine Studie zu den von der Forschung lange vernachlässigten Prioraten Fontevrauds vor. Geographisch und chronologisch konzentriert sich die Monographie auf fontevristische Prioratsgründungen des 12. Jahrhundert in der Diözese Poitiers. Bouvart verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. Zum einen stützt er sich auf eine Vielzahl schriftlicher Quellen - vor allem auf das edierte Grand Cartulaire de Fontevraud und auf die ordensinterne Historiografie des 16. und des 17. Jahrhunderts. Zum anderen arbeitet der Verfasser mit umfangreichen archäologischen Funden. Während die ersten drei Kapitel sich dem Thema historiographisch nähern, tragen Kapitel 4 und 5 archäologische Funde zusammen. Ein Abschlusskapitel skizziert schließlich die Entwicklung der Priorate nach dem 12. Jahrhundert.

In den ersten drei Kapiteln gibt Bouvart einen Forschungsüberblick zu Fontevraud und der oftmals schwierigen Identifikation der fontevristischen Priorate. Die Hauptherausforderung liegt dabei in den Quellen und den institutionellen Veränderungen über die Jahrhunderte. So ist der Quellenbegriff prior für das 12. Jahrhundert mehrdeutig - denn dieser kann auch den Verwalter einer der Abtei unterstehenden landwirtschaftlichen Grundherrschaft bezeichnen. Und die umfangreich vorliegenden Quellen aus der Zeit der Ordensreform (15.-16. Jahrhundert) sind nur bedingt anwendbar, da diese naturgemäß nicht den Zustand im 12. Jahrhundert abbilden. Damit Bouvart einen Ort mit prior als Priorat anerkennt, muss für das 12. Jahrhundert mindestens noch ein Oratorium (édifice de culte) vor Ort nachweisbar sein (37). Dieser Ansatz ist nicht unproblematisch, denn das Vorhandensein eines Gebetshauses bedeutet nicht zwangsläufig, dass dort auch eine klösterliche Gemeinschaft lebte.

An dieser Stelle muss ein weiterer Kritikpunkt angebracht werden. Denn der Verfasser stützt seine Forschungsdiskussion fast ausschließlich auf frankophone Werke aus dem Zeitraum der 1970er Jahre bis ca. 2010. Im Zentrum stehen dabei vor allem die hinlänglich bekannten Studien von Jean-Marc Bienvenu, Michel Parisse und Jacques Dalarun. Besonders für Kenner Fontevrauds und der Frauenklosterforschung im Allgemeinen bleibt nach der Lektüre der ersten drei Kapitel das Gefühl, dass die relevante und auch aktuellere anglophone und deutschsprachige Forschung unbeachtet blieb. Auch als Folge daraus gibt Bouvart überholten Forschungskategorien wie der des Doppelklosters zu viel Raum.

Im 4. und längsten Kapitel (85-162) wendet sich Bouvart archäologischen Funden zu. Hier liegt ohne Frage die große Stärke der Studie. Für die Diözese Poitiers hat Bouvart für das 12. Jahrhundert zwölf Priorate identifiziert, in denen sowohl weibliche als auch männlich Fontevristen in getrennten Gebäuden lebten. Für jede dieser Klosteranlagen hat Bouvart topografische Informationen zum Gelände, der Hydrographie und der dazugehörigen Infrastruktur sowie deren Lage an Verkehrswegen gesammelt. So verfügten alle Priorate über Wasserzugänge in Form mindestens eines Teiches, Flusses oder einer Quelle. Die meisten besaßen außerdem Mühlen innerhalb und außerhalb des Klostergebäudes und alle Gemeinschaften lagen in der Nähe entweder großer Handelsrouten oder zumindest gut ausgebauter Wege (85; 88). Des Weiteren besaßen alle Gemeinschaften Ländereien (Wiesen, Felder, Weinberge und Wälder), die sie aber nicht selbst bewirtschaften (88).

Aus kunsthistorischer Perspektive sind besonders die detaillierten Vergleiche zwischen den jeweiligen Kirchen interessant. Bouvart berücksichtig deren Ausrichtungen, Größe und Bauart sowie Ausschmückung. In diesem Bereich bringt Bouvarts Studie die meisten neuen Erkenntnisse und erweitert unser Wissen um die fontevristische Architektur, die mitunter so divers war wie der junge Orden selbst. Gemeinsam ist den Sakralbauten der helle Sandstein und die lichtdurchfluteten Hauptschiffe, die auch die Abteikirche in Fontevraud charakterisieren. Die zahlreichen Fotografien, welche die Ausführungen des Verfassers illustrieren, sind hier besonders hervorzuheben.

Der zweite Teil des 4. Kapitels beschäftigt sich mit den Wohngebäuden, deren Bau sich je nach örtlichen geographischen Gegebenheiten stark unterscheiden konnte (139-141). Bezüglich der Wohngebäude der Männer lassen sich lediglich für Tusson und Montazais einige wenige Beobachtungen anstellen (149-153). So gibt es keine Hinweise auf einen Klausurgang oder eine Galerie und im Allgemeinen scheint es sich um deutlich kleinere Gebäude gehandelt zu haben als die der Nonnen. Bouvart macht hinsichtlich der Männerpriorate darauf aufmerksam, dass künftige archäologische Grabungen weitere Erkenntnisse versprechen.

Das 5. Kapitel ist das mit Abstand kürzeste (7 Seiten inklusive Referenzen). Es widmet sich den caractèristiques primitives des prieurés simples, also denjenigen Anlagen, in denen es zwar einen bezeugten prior und ein Oratorium gab, aber Hinweise auf eine irgendwie geartete Doppelstruktur oder ein Gemeinschaftsleben im allgemeinen fehlen. Ob es sich bei Orten wie La Poraire und La Dent dann auch jeweils um ein Priorat im Sinne einer vermeintlich männlichen monastischen Gemeinschaft handelte oder doch um eine von einigen Religiosen bewohnte und verwaltete landwirtschaftliche domaine, muss hier genauso offenbleiben wie die Frage nach dem religiösen Status der Bewohner.

Das Abschlusskapitel schließlich gibt kursorische Einblicke in die Entwicklungen der in der Studie berücksichtigten Priorate nach dem 12. Jahrhundert. So zeugen Grabkapellen von der engen Bindung an den lokalen Adel im 13. Jahrhundert, weitreichende Zerstörungen im 14. Jahrhundert von den Auswirkungen des 100-jährigen Kriegs auf die Klöster der Region und die Errichtung neuer Klausuren sind architektonisches Zeugnis der Ordensreform des 15. und vor allem des 16. Jahrhunderts.

Trotz einiger Kritikpunkte bereitet Patrick Bouvart mit seiner Monographie den Weg für weitere interdisziplinäre Studien zu Fontevrauds Prioraten. Besonders die Erkenntnisse des 4. Kapitel sind hierfür ohne Frage sehr wertvoll. Künftige Studien werden darauf aufbauen. Mithilfe weiterer archäologischer Grabungen und unter Berücksichtigung der umfangreichen und bisher unbearbeiteten Wirtschaftsquellen aus der Reformzeit des Ordens sollten viele Erkenntnisse über die Priorate möglich sein - wegen der Quellenknappheit für die Frühzeit allerdings wohl eher für eine spätere Periode.

Annalena Müller