Simon Gogl: Laying the Foundations of Occupation. Organisation Todt and the German Construction Industry in Occupied Norway (= Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Beiheft; 27), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2020, XII + 372 S., ISBN 978-3-11-069410-9, EUR 99,95
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Wann immer die deutsche Wehrmacht im Zuge des nationalsozialistischen Eroberungskrieges in ein anderes Land einmarschierte, folgte ihr die Organisation Todt (OT) auf dem Fuße. Die nach Fritz Todt, dem Architekten der Reichsautobahn, benannte Bautruppe, setzte im Rücken von Hitlers Armeen Brücken, Straßen und Schienen instand und kümmerte sich im besetzten Gebiet um Logistik und Nachschub. Bekanntheit erlangte sie durch die Errichtung von Bunkeranlagen, etwa des "Atlantikwalls". Doch trotz des Einsatzes in weiten Teilen Europas und obwohl sie im Lauf ihrer Existenz mehrere Millionen Menschen - darunter viele Zwangsarbeiter - in ihren Reihen hatte, wirft die NS-Organisation nach wie vor zahlreiche wissenschaftliche Fragen auf. Ausschlaggebend dafür ist nicht nur die lückenhafte Überlieferung. Vielmehr ist es der Charakter der OT als "institutioneller Hybrid": als paramilitärische Hilfstruppe und führerunmittelbare Sonderinstanz, die zugleich als Scharnier zwischen den Interessen der privaten Bauwirtschaft, der traditionellen Bürokratie und anderen partei-staatlichen Stellen fungierte (29).
Folglich erblickt Simon Gogl in seiner Dissertation, die im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Politischen Ökonomie der Zwangsarbeit an der Universität Trondheim entstand, den Schlüssel zum Verständnis der OT im Modus Operandi mit den Unternehmen. Von einem wirtschaftshistorischen Standpunkt aus möchte der Autor drei zentrale Fragen beantworten: Erstens, welche Funktion die OT im komplexen NS-Herrschaftssystem hatte. Zweitens, inwieweit die kooperierenden Betriebe ihre unternehmerische Freiheit verteidigten. Drittens liegt der Fokus auf den rund 500 deutschen Firmen im OT-Einsatz in Norwegen, da deren Beteiligung am System ökonomischer Ausbeutung immer noch unklar ist.
Analytisch knüpft die Studie an Forschungen an, die einerseits die Ausnutzung des Gewinnstrebens der Privatwirtschaft durch das NS-Regime innerhalb eines interventionistischen Rahmens als gegeben ansehen und andererseits die Defizite staatlicher regulatorischer Maßnahmen betonen, da deren Umsetzung nicht effektiv kontrolliert werden konnte. [1] Unter methodischer Zuhilfenahme der Principal-Agent-Theorie führt dies Gogl zu seinen Kernthesen, und zwar zu der Grundannahme, keine deutsche Firma sei jemals gegen ihren Willen zur Zusammenarbeit mit der OT gezwungen oder gar von ihr absorbiert worden. Vielmehr blieben sie unabhängige ökonomische Einheiten, deren Entscheidungen stets von wirtschaftlicher Rationalität geleitet waren (22). Voraussetzung hierfür war, dass die Firmen nicht nur die negative Freiheit hatten, ein OT-Angebot abzulehnen, sondern Einflussmöglichkeiten auf die Ausgestaltung von Verträgen besaßen (20).
Somit stellt der wiederkehrende Blick auf Kontraktverhandlungen den roten Faden des Buches dar, wobei den übergeordneten Zäsuren besondere Bedeutung zukommt: der Anwendung preistreibender, aber zeitsparender Selbstkostenerstattungsverträge beim Westwallbau 1938, der Rückkehr zu Festpreisverträgen aufgrund staatlichen Regulierungsdrucks sowie den Reformen unter Albert Speer hin zum OT-Leistungsvertrag. Neben Überlieferungen aus dem Bundesarchiv Berlin und einer Reihe regionaler Einrichtungen bildet das Nationalarchiv in Oslo mit rund 450 Aktenmetern zum OT-Einsatz in Norwegen Gogls wichtigste Arbeitsgrundlage. Leider blieben knapp 100 Anfragen nach Firmenunterlagen weitgehend ergebnislos.
Strukturell teilt sich die Arbeit in zwei nahezu gleich große Abschnitte. Lediglich der letztere befasst sich mit dem OT-Einsatz in Norwegen im engeren Sinn. Zunächst konzentriert sich Gogl auf Rahmenbedingungen zwischen Weltwirtschaftskrise und Krieg. In sechs Kapiteln widmet er sich der Entwicklung des Bauwesens im "Dritten Reich", den Wurzeln der OT bei der Reichsautobahn, dem Bauboom Mitte der 1930er Jahre, öffentlichen Maßnahmen zur Lohn- und Preiskontrolle sowie dem Einfluss der Vierjahresplanbehörde unter Hermann Göring. Der teils sehr umfassende Blick und Parallelbetrachtungen erzeugen zwar einige Redundanzen. Angesichts der interessanten Grundlagen, die hier erarbeitet werden, ist dies aber vertretbar. Anschaulich führt Gogl vor Augen, wie im Zusammenspiel zwischen Baugewerbe und Fritz Todt, zunächst in seiner Funktion als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, die personellen und strukturellen Grundlagen für die spätere Kooperation gelegt wurden: Handlungsspielräume der Firmen - unter Speer zur "industriellen Selbstverantwortung" erweitert (135) - waren früh vorgezeichnet, da Todt Zeiteffizienz stets höher schätzte als Kosten oder behördliche Kontrolle. Die These, Todt sei eher ein Verbündeter der Industrie gewesen, untermauert der Autor mit dem Verweis auf die De-Facto-Aushebelung des Preisstopps der Kriegswirtschaftsverordnung, wodurch der wichtigste Baustein potenzieller Staatsregulierung abgewehrt wurde. Folgerichtig betont eine solche Sichtweise die Eigeninitiative vieler Firmen, sei es bei der Ausschaltung jüdischer Konkurrenz oder "innerhalb des kriminellen nationalsozialistischen Besatzungsregimes" (30).
Der Blick auf Norwegen vertieft die theoretischen Überlegungen am praktischen Beispiel. Neben der obligaten Analyse des rechtlichen Status von OT-Firmen im Krieg und der damit einhergehenden Militarisierung setzt sich Gogl kritisch mit zwei Kontroversen auseinander: Die sogenannte "Wiking-Order" vom 13. Mai 1942 interpretiert er als Beleg für den Primat des Bunkerbaus bei der Einsatzgruppenleitung, wogegen Hitler seinem Wunschprojekt einer Polarbahn Geltung verschafften wollte. Darüber hinaus mahnt der Autor, vermeintlich negative Auswirkungen der OT-Aktivitäten auf die norwegische Wirtschaft seien nach wie vor stark durch die Linse der Reparations-Debatte und politisch motivierte Kalkulationen verzerrt. Insbesondere bereichert Gogls Analyse der unternehmerischen Motive den Forschungsstand, wobei er Handlungsspielräume mit Elementen des Zwangs vergleicht: Auf der einen Seite drohte - insbesondere kleineren - Firmen der Zusammenschluss zu Arbeitsgemeinschaften. Auf der anderen Seite winkten hohe Profite, der Zugang zu Arbeitskräften, Fachwissen und nicht zuletzt eine günstige Ausgangsposition für die Weiterarbeit mit der OT nach einem womöglich erfolgreichen Krieg. Wie stark die unternehmerische Position bisweilen war, verdeutlicht die Studie akribisch anhand des OT-Leistungsvertrags: Unter rigoroser Ausnutzung von "Informationsasymmetrien" wurden die Firmen zu einem unverzichtbaren Teil der OT-Administration. Dies ermöglichte es ihnen, unter anderem ihre Profite selbst zu bestimmen, indem sie ad hoc Kennziffern für Arbeitsschritte und Projektzeiträume festlegten (265).
Gogls Fazit, die OT sei auf vielen Ebenen - wenngleich innerhalb eines immer stärker regulierten Rahmens - von der Privatindustrie "übernommen" worden (310), scheint dennoch leicht überzeichnet. Eine stärkere Einbeziehung struktureller Zwänge, etwa inwieweit Firmen mit "freiwilligen" Meldungen dem Verlust ihrer Facharbeiter zuvorkommen wollten, hätte an manchen Stellen zu differenzierteren Ergebnissen geführt. Insgesamt ist es dem Autor aber gelungen, eine komplexe und erkenntnisreiche Arbeit vorzulegen, die unser Bild der OT in vielen Facetten erheblich erweitert und vor allem wegweisende Schlaglichter auf Verantwortung und Eigeninitiative der Unternehmensseite, speziell im Bereich der Bauindustrie, wirft.
Anmerkung:
[1] Vgl. Jochen Streb: Das nationalsozialistische Wirtschaftssystem: Indirekter Sozialismus, gelenkte Marktwirtschaft oder vorgezogene Kriegswirtschaft?, in: Der Staat und die Ordnung der Wirtschaft. Vom Kaiserreich bis zur Berliner Republik, hg. von Werner Plumpe / Joachim Scholtyseck, Stuttgart 2012, S. 61-83.
Christian Packheiser