Rezension über:

Christine Demele (Hg.): Manns-Bilder. Der männliche Akt auf Papier (= Kunsthalle Bremen. Katalog; Nr. 16), Kunstverein Bremen 2022, 96 S., ISBN 978-3-935127-50-9, EUR 12,00
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Rezension von:
Dietmar Spengler
Köln
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Dietmar Spengler: Rezension von: Christine Demele (Hg.): Manns-Bilder. Der männliche Akt auf Papier, Kunstverein Bremen 2022, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 12 [15.12.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/12/37405.html


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Christine Demele (Hg.): Manns-Bilder

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Mit männlichen Aktdarstellungen soll den Herren der Schöpfung Reverenz erwiesen werden. Ohne Umschweife geht es zur Sache: Mit Sex sells: Die erotischen Drucke Sebald Behams im Deutschland der Renaissance hat Alison G. Stewart den Nagel auf den Kopf getroffen und mit viel Einfühlung die pornografischen Details der Behamschen Schaulust-Produktion herausgearbeitet (8-17). Der "gottlose" Grafiker aus Nürnberg hat mit seinen erotischen Darstellungen in Form von Kupferstichen auf ein besonderes Sammler-Interesse rekurriert und sich gegenüber Dürers Spitzengrafik positioniert. Insbesondere die Analyse des Kupferstich-Blatts Der Tod und das unzüchtige Paar (1529) wird eingehend durchgeführt (Kat.-Nr. 5). Im Stichtondo Joseph und die Frau des Potiphar (1526) entwischt der Mann mit Erektion, während der freizügige Frauenkörper sich dem Betrachter exponiert (Kat.-Nr. 1). Letztlich geht es Beham primär um die Darstellung des weiblichen nackten Körpers. Zum 'Lustreport' taugen seine Bildchen ohnehin nicht.

Im Beitrag Götter und Helden: Ideale Nacktheit als Kennzeichen mythologischer Gestalten von Christine Demele (18-25) wird Altbekanntes referiert, dass z.B. die Renaissance mit der Wiederentdeckung antiker Kunst eine Bereicherung erfuhr und mit dem Apoll von Belvedere, dem Herkules Farnese und der Laokoon-Gruppe normative Kriterien zur Gestaltung des männlichen Körpers an die Hand bekam. Mit David Heidenreichs lavierter Federzeichnung Nackter Mann, mit Schlangen kämpfend (1597) wird eine schöne Interpretation des Laokoons vorgestellt (Kat.-Nr. 14), während bei Jusepe de Riberas Trunkener Silen (1628) mit seinen pyknischen Formen von "idealer Nacktheit" keine Rede sein kann (Kat.-Nr. 9).

Mit dem Kapitel Gottes Ebenbild: Der nackte Mann in der christlichen Kunst (26-35) wird der Diskurs über den nackten Mann in der Kunst vertieft, indem die Übertragung antikischer Blöße auf biblische Motive verdeutlicht wird. Die mittelalterliche Verhüllung wird in der Frührenaissance überwunden, die ersten Menschen, die Verdammten der Hölle, Märtyrer, David und andere biblische Helden treten mehr oder weniger nackt auf. Jakob Bincks Kupferstich Noahs Söhne (Kat.-Nr. 22) hat das biblische Nacktheitsverbot verbildlicht und zugleich aufgehoben. Albrecht Dürers grafischer Naturalismus bestimmt sein komplettes figurales Werk. Nahezu jeder Akt basiert auf dem Studium der Natur. Konsequent machte er oder einer seiner Adepten vor seinem Gott nicht Halt und zeigte auf einer kriegsverlustigen Bremer Zeichnung Christus am Kreuz (Kat.-Nr. 28) ohne Lendentuch. Michelangelos Antikensehnsucht verschafft der männlichen Nacktheit schließlich den Durchbruch.

Das Kapitel Die Lebensalter des Mannes (36-45) zeigt ein verwirrendes Potpourri mit Blättern von Marcantonio Raimondi über Anton Raphael Mengs und Hans von Marées bis zu Max Klinger und Lovis Corinth.

Im Abschnitt Dürer zeichnet sich nackt (46-57) macht Christine Demele den Versuch, dem Selbstbewusstsein des Künstlers bzw. dem künstlerischen Narzissmus auf die Spur zu kommen. Neben dem veristischen Selbstbildnis leidend, mit Marterwerkzeugen von 1522 (Kat.-Nr. 44) ist vor allem das Selbstbildnis als Akt (um 1509) in den Graphischen Sammlungen Weimar (53, Abb. 8) ein Exempel für Dürers intensives Naturstudium. Denn selbstverständlich studierte die Kunstpraxis in Zeiten der Tabuisierung von Nacktheit die menschliche Figur am eigenen Körper. Gründlich wird hier über Dürers Genital geforscht, das manchem "nicht angenehm ins Auge" fiel (54). Perspektivische Ungereimtheiten werden erkannt und der Unterschied zu den anderen Selbstbildnissen herausgearbeitet (55). Ferner wird die charmante, eigenhändig beschriftete Federskizze: "Do der gelb fleck ist und mit dem finger drawff dewt do ist mir we" (1506-07) ausführlich erörtert (Kat.-Nr. 45). Schließlich waren diese Werke zu Dürers Zeit singulär in der Entwicklung der Aktdarstellung.

Im Beitrag Künstler und Modelle: Der männliche Akt als Selbstbildnis und Studienobjekt (58-69) muss sich Demele mit wenig spektakulären Künstlern wie Carl Wilhelm Kolbe, Otto Greiner, Lovis Corinth und Max Wimmer behelfen. Die Verwendung von Begriffen wie "verewigen" und "sich selbst erschaffen" im Kontext von Selbstporträts (58) erscheint mir überzogen. Bei den "Studienobjekten" bezaubert der Rötel-Akt eines jungen Mannes (Kat.-Nr. 56), der wohl einem der Florentiner Schönzeichner um 1600 zuzuordnen ist, während der traditionell an Agostino Carracci zugeschriebene schwarze Kreide-Akt (Kat.-Nr. 57) sicher später zu lokalisieren ist. Der aufrichtige Realismus von Rembrandts radiertem Akt (Kat.-Nr. 58) von 1646 kontrastiert den 'Akademien' des französischen Akademismus im 18. Jahrhundert (Kat.-Nr. 60-61). Am Ende der Sequenz überrascht die veristische Brutalität der Aktzeichnungen von Paula Modersohn-Becker (Kat.-Nr. 62-63).

Auch mit dem Thema Körperkultur: Badende und Sportler (70-75) tut sich die Kuratorin schwer, denn der Bremer Bestand gibt einfach nicht viel her. [1] Schön wäre gewesen, hier Albrecht Dürers attraktive Handzeichnung Frauenbad von 1496 neben dem Holzschnitt Das Männerbad, um 1496/97 (Kat.-Nr. 64), der von Demele ausführlich analysiert wird, zu zeigen.

Im Kapitel Der bewegte Mann (76-81) soll sowohl "körperliche Aktivität" wie auch "seelische Betroffenheit" thematisiert werden: Ein Spagat, der nur misslingen kann. So demonstrieren die ausgewählten Beispiele, wie die Pyramide von fünf nackten Männern (Kat.-Nr. 73), um 1543, von Juste de Juste, die sich als dekorative Caprice ausnimmt, die phantasmagorische Radierungs-Collage Der Verzweifelnde (Kat.-Nr. 75), um 1515, von Albrecht Dürer, oder auch Der Gefangene (1910) von Max Beckmann (Kat.-Nr. 76) nur Unvereinbares.

Salean A. Maiwald hat in ihrem Essay Aus weiblicher Sicht: Männliche Akte von Künstlerinnen (82-87) Mythologisches und Historisches aneinandergereiht und eine unterhaltsame Abfolge der Künstlerinnen-Geschichte präsentiert. Zurecht wird Giulia Lama mit ihren Aktzeichnungen herausgehoben. Ihr Nudo virile abbandonato all'indietro (84, Abb. 1) mit seiner maskulinen Auffassung und dem perspektivischen Extremismus lässt alle Versuche danach verblassen. Männer hat Anna-Dorothea Therbusch nur in bekleidetem Zustand - vom verschollenen Diderot abgesehen - gemalt, Zeichnungen von ihr sind gänzlich unbekannt. Auch Angelika Kauffmanns einzige Aktzeichnung eines Mannes (85, Abb. 2) kann zum Thema wenig beitragen; ebenso Leonor Fini, die fast ausschließlich dem bekleideten und unbekleideten weiblichen Körper gehuldigt hat. Die "weibliche Sicht" auf den männlichen Körper erzielt somit ein wenig erbauliches Resultat.

Der Katalog zur Schau männlicher Aktdarstellungen in der Kunsthalle Bremen will den Fokus auf die Herren der Schöpfung richten, zeigt und berichtet dann nur, was überdies bekannt ist. Wenn's interessant wird, drohen Bestandsdefizite. Politische Implikationen werden umgangen. Die Texte sind minimalistische Fleißarbeit, die teilweise winzigen Abbildungen frustrieren, das Nullachtfünfzehn-Layout ist wenig einladend. Ein bisschen mehr "Walters", "Clark" und "Roettgen" hätte dem Katalog nicht geschadet. [2] Auf "Sex sells" kann der Katalog nicht bauen.


Anmerkungen:

[1] Wobei man sich fragt, ob die Wahl der Kapitel ausreichend Sinn macht.

[2] Margaret Walters: Der männliche Akt. Ideal und Verdrängung in der europäischen Kunstgeschichte, Berlin 1979; Kenneth Clark: The Nude. A Study in Ideal Form, Princeton 1972; Steffi Roettgen: "Übung macht den Meister": zu den akademischen Aktstudien der Sammlung Krahe, in: Akademie. Sammlung. Krahe: eine Künstlersammlung für Künstler, hg. von Sonja Brink, Berlin / München 2013, 110-125.

Dietmar Spengler