Rezension über:

Christian Bremen (Hg.): Amerika, Deutschland und Europa von 1917 bis heute. Band 1. Festschrift zum 90. Geburtstag von Klaus Schwabe (= Zukunft gestalten - Geschichte im Blick. Aachener Ansichten zum Zeitgeschehen; Bd. 6), Aachen: edition_aixact 2022, 364 S., eine Farbabb., ISBN 978-3-98511-006-3, EUR 49,00
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Christian Bremen (Hg.): Amerika, Deutschland und Europa von 1917 bis heute. Band 2. Festschrift zum 90. Geburtstag von Klaus Schwabe (= Zukunft gestalten - Geschichte im Blick. Aachener Ansichten zum Zeitgeschehen; Bd. 7), Aachen: edition_aixact 2022, 352 S., eine Farbabb., ISBN 978-3-98511-007-0, EUR 49,00
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Rezension von:
Maximilian Klose
John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, Freie Universität, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Maximilian Klose : Christian Bremen (Hg.): Amerika, Deutschland und Europa von 1917 bis heute (Rezension), in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 2 [15.02.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/02/37380.html


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Christian Bremen (Hg.): Amerika, Deutschland und Europa von 1917 bis heute

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Es ist nicht das primäre Ziel einer Festschrift, zum aktuellen Forschungsstand beizutragen. Und mit dieser Erwartung sollte man die Lektüre auch nicht beginnen. Vielmehr bietet sie Gelegenheit, sich einem wegweisenden wissenschaftlichen Gesamtwerk zu widmen und ihm, wortwörtlich, ein Fest zu bereiten. Genau dies tut der umfangreiche Doppelband zum 90. Geburtstag des Aachener Historikers Klaus Schwabe.

Zweifelsohne gehört Schwabe zu den einflussreichsten Historikern seiner Generation. Seine Arbeiten zur transatlantischen Geschichte und dem Vermächtnis des US-Präsidenten Woodrow Wilson, dem Versailler Vertrag und dem europäischen Einigungsprozess bestechen bis heute in ihrer Relevanz für wissenschaftliche und tagesaktuelle Debatten. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass es sich bei den vorliegenden Bänden bereits um die zweite für Schwabe verfasste Festschrift handelt.

Wie sich schon am Titel erkennen lässt, haben die Bände das anspruchsvolle Ziel, Einblicke in Schwabes gesamte Forschung über "Amerika, Deutschland und Europa von 1917 bis heute" zu gewähren. Die insgesamt dreiunddreißig Beiträge von Weggefährtinnen und -gefährten sowie Schülerinnen und Schülern, die der Herausgeber Christian Bremen aus Deutschland, Frankreich, England und den USA zusammengetragen hat, zeugen in ihrer schieren Zahl von einem wissenschaftlichen Lebenswerk, das unbedingt gewürdigt werden muss.

Aufgrund dieses Umfangs ist es weder möglich noch erstrebenswert, sämtliche Beiträge im Einzelnen zu resümieren. Dass nicht allen Aufsätzen die verdiente Aufmerksamkeit geschenkt werden kann, soll jedoch nicht als Qualitätsurteil verstanden werden. Es erscheint lediglich zielführender, Analysen einzelner Beiträge mit der Identifikation gemeinsamer Debatten zu verbinden.

Zuerst ist genauer auf die Struktur des Doppelbandes einzugehen. Der erste Band beginnt mit freundlich-einleitenden Worten des Herausgebers sowie des Journalisten Peter Pappert, die Schwabe als unprätentiösen und stets mit Besonnenheit arbeitenden empirischen Historiker beschreiben. Beide Beiträge finden sich im zweiten Band nochmals in englischer Übersetzung. Nach einer beachtlichen Tabula Gratulatoria und einem umfangreichen Schriftenverzeichnis des Jubilars ist der Doppelband schließlich in vier chronologisch sortierte Themenfelder unterteilt.

Den Anfang macht hierbei das mit Abstand größte Thema unter dem Titel "Erster Weltkrieg, Versailler Vertrag und die Folgen", das fast den gesamten ersten Band in Anspruch nimmt. Die zahlreichen Beiträge in dieser Sektion beleuchten neben Woodrow Wilson und seinem Einfluss auf Krieg und Nachkriegsordnung auch Fragen nach den Gründen für den Kriegsbeginn, dem Scheitern des Versailler Vertrages und den deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit. Zudem werden auch der deutsche Umgang mit der Kriegsschuldfrage und die Verflechtung von Wissenschaft und Politik untersucht - letzteres ist ebenfalls eines von Schwabes Forschungsgebieten. Diesem Abschnitt folgen drei Aufsätze zum Thema "Die deutsch-amerikanischen Beziehungen im Kalten Krieg", in denen aus verschiedenen Perspektiven die Einflussnahme der USA auf die westdeutsche Politik und die Westintegration von der Besatzungszeit bis in die 1960er Jahre untersucht wird.

Der zweite Band gliedert sich in zwei nahezu gleichlange Abschnitte. Der erste, "Europäische Integration", widmet sich dem zweiten großen Forschungsgebiet Schwabes. Den Anfang machen hier die Themen Schuman-Plan, Jean Monnet und die frühe Integration der europäischen Kohle- und Stahlindustrie. Weitere Beiträge beleuchten unter anderem den Einfluss der fortschreitenden Einheit auf die westliche und globale Friedensordnung, das Engagement amerikanischer Akteure und Eliten im Integrationsprozess und die Rolle Berlins als Einheitssymbol. Im zweiten Teil, "Aktuelle Herausforderungen für Amerika, Deutschland und Europa", wird näher auf die fortdauernde Aktualität von Schwabes Forschung eingegangen. Die Themen reichen vom Brexit, über die Politik der Europäischen Union in historischer Perspektive und ihre fortdauernden Legitimations- und Imageprobleme, bis hin zu den Präsidentschaften von Obama, Trump und Biden sowie ihrem Einfluss auf das transatlantische Bündnis.

Allein aus der Gewichtung der Kategorien lassen sich Schlüsse zu Schwabes wissenschaftlichem Erbe und zu den Zielen des Herausgebers ziehen. Der Jubilar ist hier, verständlicherweise, vornehmlich Experte zur transatlantischen und deutsch-amerikanischen Geschichte sowie zur europäischen Einigung. Auffällig ist jedoch, in welch großem Umfang sich der zweite Band mit zeitgenössischen Themen beschäftigt. Hier wird deutlich, dass die Festschrift nicht nur Schwabes Beitrag zur Wissenschaft würdigen möchte. In journalistischer und beratender Tätigkeit hat sich der Jubilar stets auch als Vermittler historischen Wissens profiliert. Leserinnen und Leser sollen hier verstehen, dass Schwabe geschafft hat, was in der Geschichtswissenschaft so oft bemängelt wird: einer breiten Öffentlichkeit die Relevanz von Geschichte für tagesaktuelle Debatten vor Augen zu führen.

Aus der Fülle allesamt aufschlussreicher Beiträge soll hier genauer auf zwei Themenkomplexe eingegangen werden. Zum einen ist da die, in der Wissenschaft bereits mehrfach diskutierte, Entmystifizierung der Person Woodrow Wilson. Vor allem die Amerikahistoriker Jörg Nagler und Manfred Berg blicken in ihren Beiträgen hinter das verklärte Bild des ambitionierten Internationalisten, dessen Traum von der Weltgemeinschaft nur am eigenen Senat scheiterte. Beide entwerfen stattdessen das Porträt eines Mannes, dessen demokratisches Sendungsbewusstsein stark von seinem rassistischen Weltbild geprägt war und dessen Internationalismus stets mit nationalen Interessen und heimischer Machtpolitik rang.

Außerdem war Wilson häufig mehr Opportunist als Idealist. In Charles McClellands Beitrag zur Rolle von Universitätsprofessorinnen und -professoren in der Politik wird deutlich, dass Wilson, selbst ehemaliger Hochschullehrer, Experten aus der Wissenschaft nur zurate zog, wenn es der Legitimation seiner Meinung diente. Schwerer noch wog dieser Opportunismus in Wilsons Nachkriegsvision. Sein Ziel eines Friedens ohne Sieger, so Marc Trachtenberg, wich schnell dem Wunsch nach einer globalen Vorherrschaft der demokratischen Siegermächte, wodurch die Friedensordnung von Beginn an durch ein internationales Ungleichgewicht gestört war. Fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von Schwabes Wilson-Biografie ermutigt die Festschrift also dazu, dessen Erbe abermals in den Fokus der Wissenschaft zu rücken.

Eine zweite Erkenntnis, die der Doppelband liefert, betrifft die enge Verflechtung der deutsch-amerikanischen Beziehungen, der Stärkung des Westbündnisses und der fortschreitenden europäischen Integration in den zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Volker Depkat beispielsweise interpretiert die Stuttgarter "Hoffnungsrede" des US-Außenministers James Byrnes nicht nur als Perspektive auf die zukünftige Selbstverwaltung (West-)Deutschlands, sondern auch als eine amerikanische Abkehr vom Isolationismus und ein endgültiges Bekenntnis zum vereinten Westen. In Michael Gehlers Beitrag lässt sich das kurze Zeit später folgende, große Interesse des State Department an der Arbeit und dem Einfluss der Hohen Behörde innerhalb der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl nachvollziehen. Vor allem die Beiträge von Philipp Gassert, Thomas Schwartz und Klaus Larres zeigen zudem, dass amerikanische politische Eliten und Administrationen von Truman bis Kennedy die deutsch-amerikanische Freundschaft, das Westbündnis und die europäische Einheit stets als ineinandergreifende Garanten für Frieden und Stabilität verstanden.

Genauso weisen sie jedoch auch darauf hin, wie sensibel dieses Geflecht auf politische Kurswenden reagierte. Hierbei fallen vor allem die Namen des US-Präsidenten Richard Nixon und seines Außenministers Henry Kissinger. Beide sahen in zunehmender europäischer Integration das Risiko eines kontinentalen Sonderwegs jenseits amerikanischer Hegemonie. Ein erneuter amerikanischer Führungsanspruch und auseinanderdriftende außenpolitische Vorstellungen - hier der Vietnamkrieg und Nixons Bemühungen um China, dort Brandts Ostpolitik - stellten auch die transatlantische Freundschaft auf die Probe. Dass dieses Gefühl durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte, veranschaulicht Christian Bremens Beitrag zu den US-amerikanischen Karlspreisträgern und den heftigen deutschen Protesten gegen die Preisvergabe an Kissinger im Jahr 1987. In diesem Themengeflecht zeigt sich eine große Stärke des Doppelbandes der deutlich macht, wie eng die zuerst separiert erscheinenden Forschungsgebiete Schwabes miteinander verbunden sind.

Bei aller thematischer Vielfalt fällt jedoch ein Ungleichgewicht ins Auge. Mit der Oxforder Historikerin Anne Deighton findet sich unter den dreiunddreißig Beitragenden nur eine Frau. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass eine Festschrift nicht nur ein wissenschaftliches Lebenswerk in den Fokus stellt, sondern indirekt auch dessen historischen Kontext abbildet. Dies sollte als Begründung für eine solche Schieflage jedoch nicht genügen. Mehr Augenmerk auf repräsentative Ausgewogenheit wäre ratsam und auch nötig gewesen.

Auch wenn dieser Umstand die Lektüre ein wenig überschattet, sei abschließend hervorzuheben, dass es sich hier um eine gelungene Festgabe zu Ehren Klaus Schwabes handelt. Vor allem besticht der Doppelband durch seine Vielseitigkeit. Neben spezifischen Analysen zu Schwabes Forschungsfeldern finden sich auch Biografien und Exkursionen zu Themen, die zuerst keine Überschneidung mit dem Werk des Jubilars aufweisen und doch Brücken dazu schlagen. Überblickstexte zum historischen Kontext und die interessante Auswahl an Texten zu zeitgenössischen Themen machen den Doppelband zudem einer breiten Leserschaft zugänglich. So erweist sich die Festschrift nicht nur als lohnende Lektüre für alle Expertinnen und Experten der Forschungsfelder Schwabes, sondern auch als guter Überblick für Studierende und Interessierte innerhalb und außerhalb der Geschichtswissenschaft.

Maximilian Klose