John A. Rice: Saint Cecilia in the Renaissance. The Emergence of a Musical Icon, Chicago: University of Chicago Press 2022, XX + 300 S., 133 Abb., 7 Tbl., ISBN 978-0-226-81710-1, USD 65,00
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Mit Thomas Connollys Mourning into Joy: Music, Raphael, and Saint Cecilia schien 1994 das Thema der Heiligen Cecilia und ihres bemerkenswerten Werdegangs von der Anti-Musikerin zur ausführenden Instrumentalistin und Muse erschöpfend behandelt. Doch an Connollys theologisch geprägtem Ansatz mit eingleisiger Verfolgung der ideengeschichtlichen These wurde auch der Mangel an weiteren Analysekategorien wie Gender-Diskussionen, Politik und Gesellschaft kritisiert. [1] In diese Lücke stößt John A. Rice, der mit seinem Buch nicht in Konkurrenz zu Connollys Monografie treten, sondern es als Ergänzung verstanden wissen will (8). Neben der Aufarbeitung der musikalischen Infrastruktur sind musikikonographische und -analytische Betrachtungen zentral. Rice ist Musikwissenschaftler, der in seiner jahrzehntelangen Lehr- und Publikationstätigkeit mit einem Forschungsschwerpunkt auf der Musik des 18. Jahrhunderts hervorgetreten ist. Seine Beschäftigung mit der Musik-Ikone Cecilia reicht indes bis in seine Studienzeiten an der University of California der 1980er Jahre bei Anthony Newcomb zurück.
Eine weitere Akzentverschiebung im Vergleich mit Connollys Publikation stellt die Betonung trivialer Beweggründe dar, die die Zeitgenossen zu einem neuartigen Verständnis von Cecilias Figur veranlasst haben mögen. Anstelle von intellektueller Motivation möchte Rice eine Lanze brechen für den Wunsch nach unmittelbaren, die Sinne ansprechenden Erfahrungen durch Bilder, Musik und Feste (9).
Chronologische und geografische Kriterien bestimmen die kohärente Gliederung des Buches in sieben Kapitel. Im ersten Kapitel (Wedding Music: Retelling the Passio in Medieval and Early Renaissance Liturgy, Literature, and Art) erläutert Rice die auf Text- und Bildzeugnissen des Mittelalters beruhende Vorgeschichte von Cecilia-Darstellungen der Renaissance. Zentral für die Überlieferung der Heiligenlegende und für die Ausbildung liturgischer Gesänge war die Passio sanctae Caeciliae von Arnobius dem Jüngeren aus dem 5. Jahrhundert. Neben der Erzählung von Cecilia als einer jungfräulichen Märtyrerin wird dort ihr Hochzeitsfest thematisiert, was ihre Interpretation als Muse der Musik erst auslöste: "Es kam der Tag, auf den die Hochzeit festgesetzt war, und während die Instrumente spielten ('cantantibus organis'), sang sie in ihrem Herzen dem Herrn allein mit den Worten: Mögen mein Herz und mein Leib unbefleckt sein, damit ich nicht verderbe."
Zunächst wurde Cecilia allerdings nicht mit klingender Musik oder Instrumenten in direkte Verbindung gebracht. Den Weg dorthin zeichnet Rice im zweiten Kapitel (Beyond the Legend and Liturgy: the Organ as Emblem) nach: über Orgeln bzw. Portative als ein Erkennungszeichen von Cecilia (beispielsweise in Form eines Kettenanhängers), das offenbar der Unterscheidung von anderen weiblichen Märtyrerinnen dienen sollte, bis hin zu ihr als Orgelspielerin. Dies impliziert eine signifikante Änderung in der Auslegung des obigen Zitats, die sich offenbar Ende des 15. Jahrhunderts in den Niederlanden vollzog.
Hier knüpft das dritte Kapitel (The Celebration of Cecilia's Day by Musical Organizations and Singers in the Netherlands and France) zeitlich und geografisch an. Rice zeigt die Entstehung der ersten Gilden und Brüderschaften professioneller Musiker zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf, die die Heilige Cecilia als Schutzpatronin wählten. Ausschlaggebend mag dafür nicht nur der musikalische Kontext ihres bei Arnobius überlieferten Hochzeitsfestes gewesen sein, sondern auch das entsprechende Festbankett. Denn Namenstage der Schutzpatrone wurden von den Mitgliedern mit feucht-fröhlichen Mahlzeiten begangen (53).
Nicht zuletzt im Rahmen der Feierlichkeiten zu Cecilias Namenstag (22. November) wurden ihr gewidmete Motetten aufgeführt. [Unter der Motette zur Zeit der Renaissance wird polyphone Musik mit lateinischem Text verstanden.] Die Gattung als solche hatte keine liturgische Funktion, fand jedoch sowohl im sakralen als auch im säkularen Umfeld Verwendung. Cecilianische Motetten (Der Appendix gibt eine Übersicht zu allen 170 ermittelten musikalischen Quellen) stammen bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts fast ausschließlich von franko-flämischen bzw. in Nordfrankreich und den Niederlanden tätigen Komponisten. Rice deckt im vierten Kapitel (Franco-Flemish Cecilian Motets: Composers, Publishers, Performers, Venues) Beziehungsgeflechte zwischen Künstlern, Publikum und Institutionen auf und geht in diesem Zusammenhang auch auf Michiel Coxcies Saint Cecilia ein, die auf dem Cover abgebildet ist.
Um musikalische Analysen der Motetten geht es im fünften Kapitel (Franco-Flemish Cecilian Motets: Words and Music), in dem das Wort-Ton-Verhältnis aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird und das sowohl dem Spezialisten als auch dem Laien erhellenden Zugang zu diesem Repertoire bietet. So wird etwa der Wechsel zum wörtlichen Zitat des aus der überlieferten Heiligenlegende entnommenen Motettentextes anhand musikalischer Parameter als wichtiges rhetorisches Moment herausgearbeitet. Rice bedient sich dabei einschlägiger musikwissenschaftlicher Literatur, die nachvollziehbar vermittelt wird. Dazu tragen insbesondere die veranschaulichenden Notenbeispiele und die sukzessive Einführung von Fachterminologie bei. Trotzdem hätte man als Musikwissenschaftler beispielsweise den Begriff des cantus firmus bereits im Kontext von Josquin des Prez' Kanonmotette Benedicta es, caelorum regina ('Existing Melodies in Cecilian Motets') erwartet (120) und nicht erst unter der Zwischenüberschrift 'Motets in One Movement'.
Die beiden letzten Kapitel knüpfen inhaltlich an vorausgehende an, nehmen nun aber die italienischen Cecilia-Bilder und -Motetten, darunter die bekannteren von Giovanni Pierluigi da Palestrina, in den Fokus (6. Italian Artists depict Cecilia from the Late Fifteenth Century to the Late Sixteenth Century; 7. Cecilia returns to Rome). Im abschließenden Epilog gibt Rice einen Ausblick auf das 17. Jahrhundert, auch über die zuvor behandelten geografischen Grenzen hinaus. Die gut 200 Textseiten werden ergänzt durch einen Anmerkungsapparat, eine Bibliographie, ein Namens- und Sachregister sowie einen Innenteil mit ca. 70 farbigen Abdrucken.
Wer sich mit dem 'Aufstieg' der Heiligen Cecilia zur Musik-Ikone beschäftigen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Zwar sind flankierende Forschungen, wie etwa aus dem Bereich der Theaterwissenschaft, denkbar. [2] Jedoch hat Rice, nach Connollys Monografie von 1994, ein weiteres Standardwerk zum Thema vorgelegt, das seinerseits für Jahrzehnte prägend sein dürfte.
Anmerkungen:
[1] Thomas Willette, Rezension von Thomas Connolly: Mourning into Joy. Music, Raphael, and Saint Cecilia, New Haven / London 1994, in: Notes 53 (1996), Nr. 1, 37.
[2] Um nur zwei Beispiele aus dem hagiografischen Theater zu nennen: das fragmentarisch überlieferte Misterio de la bienaventurada Santa Cecilia von Bartolomé Aparicio (Pedro M. Cátedra: El texto en el teatro y el teatro en el texto, Salamanca: Seminario de Estudios Medievales y Renacentistas 2016, 160-167); La rappresentazione di Santa Cecilia vergine e martire: https://collections.library.yale.edu/catalog/17376275 (10.2.2023).
Stephanie Klauk