Rezension über:

John Stobart (ed.): A Cultural History of Shopping. In Antiquity / In the Middle Ages / In the Early Modern Age / In the Age of Enlightenment / In the Age of Revolution and Empire / In the Modern Age, London: Bloomsbury 2022, 6 vols., ISBN 978-1350027060, USD 550,00
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Rezension von:
Benjamin Möckel
Universität zu Köln
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Benjamin Möckel: Rezension von: John Stobart (ed.): A Cultural History of Shopping. In Antiquity / In the Middle Ages / In the Early Modern Age / In the Age of Enlightenment / In the Age of Revolution and Empire / In the Modern Age, London: Bloomsbury 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 5 [15.05.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/05/37314.html


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John Stobart (ed.): A Cultural History of Shopping

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Wo ging man im antiken Athen einkaufen? Wie wurden Produkte in der frühen Neuzeit beworben? Wie veränderten sich Warenauslagen und Bezahltechniken im Laufe des 19. Jahrhunderts? Diese und viele weitere Fragen stehen im Mittelpunkt der vorliegenden, sechs Bände umfassenden Gesamtdarstellung zur Geschichte des Einkaufens von der Antike bis in die Gegenwart.

Die Veröffentlichung ist Teil der "Bloomsbury Cultural History Series", in der in den vergangenen zehn Jahren schon ähnliche Buchreihen zu Themen wie "Geld", "Sport", "Tiere" oder "Demokratie" erschienen sind. Die Reihe folgt einer festen Struktur: Sechs epochal angeordnete Bände behandeln den gesamten Zeitraum von der Antike bis zur Gegenwart, wobei alle Bände denselben Schlagworten und Kategorien folgen. In der vorliegenden Veröffentlichung sind dies die Kapitel "Practices and Processes", "Spaces and Places", "Shoppers and Identities", "Luxury and Everyday", "Home and Family", "Visual and Literary Representations", "Reputation, Trust and Credit" und "Governance, Regulation and the State".

Diese klare Struktur gibt der Buchreihe eine große Konsistenz, was sie äußerst positiv von vielen anderen Gesamtdarstellungen und Handbüchern absetzt, die sich oft eher aus den speziellen Forschungsinteressen der beteiligten Autorinnen und Autoren zusammensetzen. Im Gegensatz hierzu sind die hier versammelten Einzelbeiträge eng an die genannten Fragestellungen gebunden und liefern so einen systematischen Überblick, der auch über große zeitliche Distanzen hinweg intertemporale Vergleiche ermöglicht. Die Struktur erlaubt darüber hinaus, sich die Bände auf zweierlei Art zu erschließen: Einerseits als Gesamtdarstellungen zu den einzelnen Epochen, andererseits aber auch, indem man eines der acht Themenfelder in diachroner Perspektive über die sechs Bände hinweg weiterverfolgt.

Der Preis für diese klare Strukturierung ist, dass die Bände mit einigen Anachronismen arbeiten müssen. Schon mit "Shopping" wählt die Buchreihe einen Begriff, der erst im späten 17. Jahrhundert aufkam und schon zu dieser Zeit einen konsumkritischen Unterton besaß. Auch andere Kategorien wie "Luxus", "Regulierung" oder "Identität" passen nicht für alle behandelten Zeiträume in gleicher Weise, während beispielsweise die religiöse Dimension der Kritik und Wahrnehmung des Konsums nur indirekt in den Kapiteln zur "literarischen Repräsentation" und "staatlichen Regulierung" zur Sprache kommt.

Räumlich richten die Bände den Blick auf "the West" (Vol. 1, xiii), wobei der hiermit bezeichnete Raum nicht klar definiert wird, und sich im chronologischen Verlauf auch immer wieder wandelt. Für die Antike etwa spielt der nahe Osten eine selbstverständliche Rolle, der Band zum Mittelalter erhebt zumindest in der Einleitung einen globalgeschichtlichen Anspruch, während in den anderen Bänden ein deutlicher Fokus auf Großbritannien und für das 20. Jahrhundert auf den USA liegt. Eine Globalgeschichte des Einkaufens seit der Antike wäre sicherlich ein kaum umsetzbares Unterfangen gewesen; eine globalgeschichtliche Einordnung in den Einleitungen der einzelnen Bände, in der auch die Repräsentativität der gewählten Untersuchungsräume reflektiert worden wäre, hätte die Bände aber bereichert.

Erfreulicherweise zielen die Bände aber nicht allein auf eine Ideen- oder Diskursgeschichte ab, sondern orientieren sich überzeugend an konkreten Praktiken, materiellen Kulturen und sozialen Kontexten. Sie greifen hierfür in interdisziplinärer Perspektive Zugänge der Archäologie, Ethnologie, Soziologie und der Material Culture Studies auf. Alle Bände sind mit reichhaltigem Bildmaterial ausgestattet und erörtern darüber hinaus auch in theoretisch-methodischer Perspektive Fragen des Quellenzugangs und dessen Repräsentativität.

Da die vorliegende Rezension keinen umfassenden inhaltlichen Überblick über die in den sechs Bänden behandelten gut 2500 Jahre Konsumgeschichte geben kann, greife ich vier Aspekte exemplarisch heraus, die mir aus epochenübergreifender Perspektive als besonders relevant erscheinen.

Ein erstes wichtiges Feld bilden die Infrastrukturen des Einkaufens. Das gilt einerseits für die sich wandelnden räumlichen und materiellen Dimensionen von Kauf und Verkauf. Feste Ladenstrukturen entstanden schon in der Antike und gewannen im späten Mittelalter erneut an Bedeutung. Frühneuzeitliche Markthallen, Warenhäuser, Supermärkte und Shopping Malls sind weitere Wegmarken dieser Entwicklung. In den meisten Fällen zeigen die Bände dabei, dass ältere Verkaufsformen selten vollständig verdrängt wurden, sondern meist parallel weiterexistierten. So stechen im späten 19. Jahrhundert in der Wahrnehmung vor allem die großen Warenhäuser hervor, die konkrete Konsumerfahrung prägten aber weiterhin stark Marktstände, Straßenverkäuferinnen und -verkäufer oder Second-Hand-Läden. Hinzu kommt: Die materielle Infrastruktur des Einkaufens bezog sich nie nur auf die direkten Verkaufsorte. Kanäle, Häfen und Eisenbahnen spielten hier eine ebenso wichtige Rolle wie die Erfindung des Bürgersteigs im 18. Jahrhundert oder die Durchsetzung von Auto, Kühlschrank, Einkaufswagen oder Barcode im 20. Jahrhundert.

Zweitens spielen in allen Bänden die Dimensionen der Identitätsbildung und sozialen Distinktion eine zentrale Rolle. Anders als in vielen Darstellungen zum modernen Konsum postuliert, war das Einkaufen zu allen Zeiten mit Formen der Subjektbildung und der Soziabilität verbunden. Schon die antike Agora war Ort des zugleich ökonomischen und sozialen Austauschs, und auch im Mittelalter waren Märkte nicht nur Orte des Warenverkaufs, sondern auch des Austauschs von Neuigkeiten und Gerüchten sowie des Vergnügens. Zugleich spiegelte sich in dieser sozialen Dimension auch die zentrale Bedeutung, die dem Feld des Konsums zur Aufrechterhaltung - manchmal aber auch zur Anfechtung - von Grenzen und Stereotypen auf der Basis von race, class und gender zukam. Wie in den Bänden auf empirisch breiter Basis herausgearbeitet wird, beeinflussten soziale und Geschlechterunterschiede zu allen Zeiten den Zugang zu Waren, die zugleich Mittel waren, um diese sozialen Identitäten und Unterschiede öffentlich zu konstituieren.

Hiermit verbunden ist drittens die Dimension der Diskurse und Debatten über das Feld des Konsums. Auch hier gilt: Nicht erst seit dem Aufkommen moderner Massenkonsumgesellschaften spielten Formen des Einkaufens als Ort gesellschaftlicher Selbstthematisierung eine zentrale Rolle. Stereotypen über gierige und betrügerische Händler und Ladenbesitzer und gutgläubige, den eigenen Impulsen folgende Konsumenten und (häufiger:) Konsumentinnen waren schon etablierte Topoi antiker Komödien, mittelalterlicher Predigten oder frühneuzeitlicher Haushaltsratgeber. Sie rekurrierten auf weit zurückreichende moralische Zuschreibungen, die den Bereich des Handels als moralisch prekäre Tätigkeit einstuften: in der Antike als der Würde politischer Bürger entgegenlaufend, als potenzielle Gefahr für das Seelenheil in Mittelalter und Früher Neuzeit, als Ausdruck eines exzessiven Materialismus in der Moderne. Das den Wandel der Zeiten überdauernde Genre der Ratgeberbücher - von frühneuzeitlichen Haushaltsbüchern bis zu modernen Verbraucherzeitschriften - zeigt, dass das Einkaufen immer als eine Praxis gesehen wurde, die Formen der Orientierung, aber auch der Erziehung und Disziplinierung benötigte.

Viertens drängen sich in allen sechs Bänden schließlich Fragen nach politischer Einbettung und Regulierung sowie nach Protest und Widerstand auf. Regulierung war von zentraler Bedeutung, um das für den ökonomischen Austausch nötige Vertrauen herzustellen und die Informationsasymmetrie zwischen Käufer und Verkäufer abzuschwächen. Im Zentrum stand hier lange Zeit vor allem die Kontrolle von Maßeinheiten und Qualitätsstandards. Dies galt schon für die griechische Antike, wo sogenannte agoranomoi die Einhaltung von Maßen und Qualitätskriterien überwachten. Im Mittelalter existierten detaillierte Regulierungen für den Verkauf von Lebensmitteln wie Brot und Fleisch, und in der Frühen Neuzeit erwuchs hieraus eine stark ausdifferenzierte Experten-Community, die die Einhaltung dieser Regulierungen garantieren sollte. Darüber hinaus richteten sich staatliche Regulierungen immer auch auf übergreifende Fragestellungen: Debatten über gerechte Preise, Gesetze gegen Luxuskonsum oder das Zurückhalten und Spekulieren mit Produkten des täglichen Bedarfs zeugen davon, dass die vermeintlich private Praxis des Einkaufens immer ein zentraler Ort der politischen Intervention war.

Mit dem 18. Jahrhundert gerieten solche Formen der Regulierung zwar partiell in die Defensive, doch wurde das Feld des Konsums in der Moderne zugleich zu einem Indikator der ökonomischen Entwicklung, wodurch eine neue Grundlage für politische Regulierungen und Eingriffe entstand. Einkaufen wurde nun zu einer patriotischen Pflicht. Zuletzt ist in diesem Kontext zu erwähnen, wie der Bereich des Einkaufens durch die gesamte Geschichte hindurch auch Ausgangspunkt sozialer und politischer Proteste war. Von den - schon von E.P. Thompson beschriebenen - food riots des 18. Jahrhunderts und den Boykottkampagnen der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung und des Abolitionismus bis zu Formen des Fairtrade in der jüngsten Vergangenheit war der Einkauf immer auch Ort der Politisierung from below, nicht nur from above.

Die einheitliche Struktur der Bände legt es nahe, dass in einem größeren Überblick eher die Kontinuitäten und Analogien gegenüber den Wandelungsprozessen und Spezifika hervortreten. So sind die Bände vor allem dort analytisch stark, wo sie Gemeinsamkeiten herausarbeiten und überzeugend aufzeigen, dass viele Aspekte, die oft als charakteristisch für moderne Konsumgesellschaften angesehen werden, weit zurückreichende Vorläufer besitzen. Damit hinterfragen sie noch immer verbreitete Narrative der Konsumgeschichte, die sich lange auf die Suche nach "Ursprüngen", "Revolutionen" und "Innovationen" konzentriert hat. Selbst die Bände zum 18. und 19. Jahrhundert verzichten fast vollständig auf diese Rhetorik der "consumer revolutions" und zeigen stattdessen überzeugend auf, dass die wiederkehrende Behauptung und Inszenierung des "ganz Neuen" selbst als eine spezifische Kommunikationsstrategie der entstehenden Konsumformen der Zeit zu historisieren sind.

Fragen nach langfristigen strukturellen Veränderungen treten demgegenüber etwas in den Hintergrund und kommen zum Teil nur indirekt in den Blick, wie etwa die koloniale Dimension, die im dritten Band zum ersten Mal zur Sprache kommt, dort aber kaum systematisch diskutiert wird. Schließlich gibt es einige Aspekte, die aufgrund des kulturgeschichtlichen Zugriffs weniger Beachtung finden: So bleiben die ökonomischen Makrostrukturen eher im Hintergrund und scheinen meist nur indirekt auf, wenn etwa das moderne Warenhaus als Äquivalent zur modernen Fabrik diskutiert wird. Systematische Diskussionen darüber, welche Rolle etwa die Entstehung des modernen Kapitalismus für die Praktiken und Bedeutungszuschreibungen des Einkaufens spielte, findet man nicht.

Auch sorgt die Entscheidung für das Konzept des "Shopping" - im Gegensatz etwa zum auf den ersten Blick naheliegenderen "Konsum" - dafür, dass die längeren Produktzyklen und Nutzungsweisen von Produkten vom Kauf, Gebrauch, Entsorgung, Recycling und Wiederverwendung, nur unsystematisch zur Sprache kommen - und das, obwohl diese längeren und vielschichtigeren Produktbiographien gerade für die Zeit vor der modernen Konsumgesellschaft eine zentrale Rolle spielten. Ebenso wäre es interessant gewesen, noch stärker als es an einigen Stellen geschieht, nach den alternativen Formen der Versorgung und Allokation zu fragen, etwa Selbstherstellen und Subsistenz, staatliche Zuteilung, Geschenke, Abgaben und Erbschaften. Explizit nach solchen miteinander konkurrierenden Versorgungsweisen zu fragen, hätte die Möglichkeit geboten, langfristigere strukturelle Veränderungen in der relativen Bedeutung des Einkaufens als einer Form der Beschaffung von Dingen über einen Markt zu diskutieren.

Insgesamt ist das beinahe unmögliche Unterfangen einer Gesamtdarstellung des Einkaufens von der Antike bis zur Gegenwart durchaus geglückt. Die Bände sind ausnahmslos auf hohem wissenschaftlichen Niveau und jederzeit auf der Höhe der Forschung geschrieben, gut lesbar und sowohl in den Details als auch in den entworfenen Kategorien und Argumentationen äußerst erhellend und überzeugend. Ein Standardwerk, das man durchaus "shoppen" sollte, wenn es der Geldbeutel hergibt - was bei dem hohen Kaufpreis aber wohl hauptsächlich Bibliotheken vorbehalten bleibt.

Benjamin Möckel