Rezension über:

Juan Carlos Moreno García (ed.): From House Societies to States. Early Political Organisation from Antiquity to the Middle Ages (= Multidisciplinary Approaches to Ancient Societies; Vol. 3), Oxford: Oxbow Books 2022, X + 302 S., 51 s/w-Abb., ISBN 978-1-78925-862-2, GBP 50,00
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Rezension von:
Christoph Ulf
Universität Innsbruck
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Ulf: Rezension von: Juan Carlos Moreno García (ed.): From House Societies to States. Early Political Organisation from Antiquity to the Middle Ages, Oxford: Oxbow Books 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 2 [15.02.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/02/38087.html


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Juan Carlos Moreno García (ed.): From House Societies to States

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Der Band erschien in der jungen, vom Moreno García mitinitiierten Reihe "Multidisciplinary Approaches to Ancient Societies". Das Ziel der Reihe ist es, mit Hilfe des Vergleichs die "regional and chronological compartments" in der Geschichtswissenschaft zu überwinden und zu "more structured approaches" (IX) zu gelangen. Für den vorliegenden Band beschreibt Moreno García ausführlich, was darunter zu verstehen ist. Das angeblich nach wie vor dominierende neo-evolutionistische Konzept einer teleologisch verstandenen historischen Entwicklung von egalitären Gesellschaften über Chiefdoms zum Staat soll durch ein Konzept ersetzt werden, das auf weltweit durchgeführten Analysen von "small-scale forms of socio-political organisation" (20) beruht. Denn so kämen Formen der Heterarchie, anarchische Gesellschaften ohne ein klares Zentrum, mobile Gesellschaften und besonders die sogenannten "House Societies" ans Tageslicht.

Die dreizehn Beiträge eröffnen tatsächlich einen Einblick in die Vielfalt an Möglichkeiten, wie sich Menschen in sozio-politischen Einheiten unterschiedlicher Art organisieren konnten. Die Beispiele führen quer über die Welt, von Mesopotamien, Ägypten und Griechenland (Mykene) in die Bronzezeit in Mitteldeutschland, ins mittelalterliche Spanien und England, über Teotihuacan und die Mayas in Mittelamerika an die Küste von Peru, an den Tschad-See und das zentrale Westafrika, auch an den Indus und die Straße von Malakka. Je nach Thema liegt der Fokus der Beiträge auf unterschiedlichen Zeiträumen innerhalb der großen Spanne vom Neolithikum bis ins 19. Jahrhundert n.Chr.

Im mittelalterlichen Mercia in England werden "petty rulers" (267) von unterschiedlicher Machtfülle ausfindig gemacht, die sich zu einer Aristokratie unterhalb des Königs formierten; in Kastilien kleine Eliten, für die der Herzog als Vermittler zum König von Oviedo fungierte. Die an der Küste Perus nach dem Ende der Chavín-Kultur um 500 v.Chr. beobachtbaren zu kultischen Mahlen benützten Plattformen werden mit der "assemblage theory" (197) mit als 'Häusern' bezeichneten co-residenten Gruppen in Verbindung gebracht, die intern kooperierten, miteinander jedoch in Wettbewerb standen. Was in europäischer Perspektive in der Straße von Malakka als Piraterie erscheint, wird zu "sea nomadism" (281), über den der Fernhandel für die an den beidseitigen Küsten liegenden Handels-Politien lief. Für die klassische Periode der Maya (3.-9. Jahrhundert n.Chr.) werden Bezeichnungen für 'Häuser' von der Hütte bis zum Palast in den schriftlichen Quellen unterschieden, was jedoch keine klare Definition des Wortes erlaubt. Die großen Städte der sogenannten Indus-Kultur standen im 3. Jahrtausend in einem heterarchischen Verhältnis zueinander. An die Stelle dieses "urban polycentrism" (62) traten mit dem Klimawandel um 2200/2100 kleine Häuser. Die am Rand der großen Stadt Teotihuacan im Hochbecken von Mexiko befindlichen Compounds werden mit "corporate groups" (166), bestehend aus mehreren Haushalten gleichgesetzt. Im Raum Ghana, Nigeria und Burkina Faso werden "multi-family houses" ausgemacht, eine darauffolgende Zentralisation mit Anspruch auf exklusive Kontrolle über "divine custodial positions", wogegen sich Widerstand bildete und zu "interdependent multi-family houses with minimised hierarchy" (241) führte. Der Raum um den Tschad-See wird als ein Feld der "social-political experimentation" (224) bezeichnet. Auf erste ab 500 v.Chr. sich intern hierarchisierende größere Siedlungen folgten aufgrund der mit dem Anwachsen der Siedlungen auftretenden Bedrohungen ab dem 1. n.Chr. entweder die kooperative Verbindung von Siedlungen oder eine zentrale städtische Siedlung verbunden mit Dörfern. Ab dem 8. Jahrhundert n.Chr. bildete sich mit Kanem-Borno eine bis ins 19. Jahrhundert existierende "state-level stratified society". (226) Sie inkorporierte im 16. Jahrhundert die Stadtstaaten im Süden, während der im Südosten befindliche, Sklavenhandel betreibende islamische "state of Bagirmi" nur in Abhängigkeit geriet. Diese überzeugenden Beiträge verzichten weitgehend auf das Konzept "House Society". Doch auch für das antike Mesopotamien wird festgestellt, dass die Häuser zu unterschiedlich sind, um sie mit einer Definition erfassen zu können. Und im antiken Ägypten bleibt das 'Haus' nur schwer erkennbar, anders als unterschiedliche "nodes of political and symbolic power". (84) In der Analyse der Entwicklung in Mykene wird 'Haus' als Zwischenstufe zwischen Verwandtschaft und Staat angesehen.

Mit Recht hat Stephen Dueppen in seiner Untersuchung der Siedlungen um den Tschad-See konkrete Kriterien zu Bestimmung des 'Hauses' gefordert. Denn der Ethnologe Lévi-Strauss, der zum ersten Mal von der "société à maison" sprach, bezog sich nur auf die Kwakiutl an der Nordostküste Nordamerikas und eine Untersuchung über den mittelalterlichen europäischen 'Staat'. [1] Daher verweist Dueppen am Beispiel seiner Untersuchungen darauf, dass z.B. die zur Organisation nötigen Schwerpunkte in der Strukturierung von menschlichen Gemeinschaften unterschiedlich gesetzt werden können, dass Dörfer mit nur wenig zentraler Macht nebeneinander existieren, dass der Bezug zu den Ahnen oder Dorfgründern im Gegensatz zur Zentralisierung stehen, dass Ältestenräte zur Verbindung mehrerer Häuser führen können, auch dass doppelte Abstammungslinien unterschiedlich gestaltete Vererbung bedeuten kann, und schließlich dass alle diese Formen durch den Kontakt mit anders gearteten Gesellschaften in Bewegung geraten können.

Auf ein weiteres Problem zielt Massimo Vidale am Beispiel der Indus-Kultur, dass nämlich auch die vielen neben dem 'Haus' zur Interpretation verwendeten grundlegenden Begriffe kaum zu fassen (58: "inexorably very elusive") sind und einer Definition bedürften. Dies gilt für auch die in den vom Konzept 'Haus' geleiteten Untersuchungen wie selbstverständlich verwendeten Begriffe wie Elite, König, Priester, natürlich auch Stadt - aber auch von Staat.

So engagiert die in der Einleitung des Herausgebers durchgeführte Dekonstruktion des neo-evolutionistischen Ansatzes auch ist, ihr fehlt in ihrer explizit anti-westlichen Stoßrichtung die Berücksichtigung dessen, was nicht erst vor kurzem für eine feingliedrig differenzierende Analyse menschlicher Organisationsformen schon geleistet wurde, im Rahmen des ethnologischen Ansatzes die analytisch und nicht entwicklungsgeschichtlich zu verstehende Organisationsform der Big-Man-Gesellschaften [2], die vielfältigen Studien zur Staatlichkeit, mit denen der Begriff des Staates relativiert wird [3], aber auch die Untersuchungen zu den Elementen, aus denen der moderne Staat geformt wurde. [4] Dessen ungeachtet ist dieses Buch ein vorzüglicher Impulsgeber und Begleiter, um sich der genannten Problematiken bewusst zu werden und um wichtige Anstöße zur Verfeinerung der Analyse historischer Gesellschaften zu erhalten.


Anmerkungen:

[1] C. Lévi-Strauss: Maison, in: Dictionnaire de l'ethnologie et de l'anthropologie, hgg. von Pierre Bonte / Michel Izard, Paris 1991, 434-436.

[2] Ch. Ulf: Society and Authority, in: The Early Mediterranean World, 1200-600 BC (= Brill's New Pauly Supplements II, vol. 9), hgg. von Anne-Marie Wittke / John Noël Dillon, übersetzt von Duncan Alexander Smart, Leiden / Boston 2018.

[3] Christoph Lundgreen: Staatlichkeit in Rom? Diskurse und Praxis (in) der römischen Republik, Stuttgart 2014.

[4] Wolfgang Reinhard: Geschichte des modernen Staates von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2007.

Christoph Ulf