Rezension über:

Corinna Gannon: Die Porträtsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung. Frankfurter Medizin- und Kunstgeschichten, München: Hirmer 2022, 320 S., 452 Farb-Abb., ISBN 978-3-7774-4062-0, EUR 49,90
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Rezension von:
Claudia Müller-Proskar
Kuratorium Kulturelles Frankfurt e.V., Frankfurt am Main
Redaktionelle Betreuung:
Joanna Olchawa
Empfohlene Zitierweise:
Claudia Müller-Proskar: Rezension von: Corinna Gannon: Die Porträtsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung. Frankfurter Medizin- und Kunstgeschichten, München: Hirmer 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 3 [15.03.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/03/37970.html


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Corinna Gannon: Die Porträtsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung

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"Und immer wieder diese Sammlung..." heißt es zu Beginn der Einleitung des Buchs "Die Porträtsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung" von Corinna Gannon. Und das nicht ohne Grund, denn diese außergewöhnliche Sammlung rückt immer wieder ins Rampenlicht, um anschließend wieder daraus zu verschwinden - und dabei verdient sie die nähere Betrachtung. Begonnen als Privatsammlung des umfassend gebildeten Arztes und Stifters Johann Christian Senckenberg in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Gemäldebestand bald erweitert.

Zunehmend fanden Abbildungen von Medizinern ihren Weg in die Sammlung und gewannen für die inhaltliche Ausrichtung an Bedeutung: Die Frankfurter Ärzteschaft positionierte sich mit ihrer eigenen Ahnengalerie. Von der Identitätsfindung eines Standes entwickelte sich die Sammlung zur Bürgersammlung, in welche Frankfurter auch nach Senckenbergs Tod mit Stolz Bilder einbrachten. Die Kollektion mit über 170 Bildnissen bietet eine wertvolle Basis für die Erforschung der Frankfurter Stadthistorie und Medizingeschichte. So ist es auch erklärtes Ziel der vorliegenden Publikation, die Sammlung in Erinnerung zu bringen und ihren Bekanntheitsgrad zu steigern (8). Das großformatige, aufwendig illustrierte Buch richtet sich, so die Autorin, an ein wissenschaftliches Publikum sowie an interessierte Laien.

Wie ist ihre Vorgehensweise und für welche Form der Sammlungsvorstellung entscheidet sich Gannon im Vergleich? 1954 inventarisierte der Stiftungsadministrator August de Bary den Bestand neu. [1] In seiner Darstellung teilte er die inhaltlich nicht homogene Sammlung von Porträtierten aus unterschiedlichen Jahrhunderten in thematische Gruppen ein, wie Bilder der Familie Senckenberg, Förderer der Stiftung, Ärzteporträts und sonstige Persönlichkeiten. Angeregt durch die führenden Stiftungsadministratoren Horst Naujoks und Kosta Schopow kam es 2000 zur Ausstellung im Frankfurter Holzhausenschlösschen. Hier präsentierte die Kuratorin Corinna Kutz die Kollektion nun sortiert nach Sammlungsphasen, die sie anhand von 36 ausgewählten Porträts detailliert vorstellte. [2] 2010 beauftragte die Stiftung Claudia Müller-Proskar mit dem inhaltlichen Aufbau eines Internetauftritts. Sie nahm eine Neuordnung der Sammlungsphasen vor, verfasste erläuternde Texte und erarbeitete erstmals Biografien zu allen Porträts. Der Netzauftritt war 10 Jahre abrufbar. [3]

Corinna Gannon wählt nun für ihre Sammlungspräsentation den Gang durch die Medizingeschichte. Nach dem einleitenden Blick auf die Sammlungshistorie stellt sie mit viel Einfühlungsvermögen den Menschen, Arzt und Stifter Senckenberg vor, dann dessen Interessensschwerpunkte: die Familie, spirituelle Ideengeber und berufliche Vorbilder. Sie nimmt sich Zeit, Senckenbergs religiösen Hintergrund und seine Verbindungen zu beleuchten, wie die zum Visionär und Mystiker Jakob Böhme, dessen Bildnis er erworben hatte, oder zum Radikalpietisten Johann Konrad Dippel, der zum Freund und zur Vaterfigur Senckenbergs avancierte.

In den Folgekapiteln trifft die Autorin ihre Bildauswahl aus dem "Who's who" der Medizinhistorie, das die Sammlung bereithält. In akribischer Recherche und mit viel Freude am Detail werden Porträtierte vorgestellt, deren Leben und Schaffen sowohl Bedeutendes, als auch Kurzweiliges zu bieten haben. Gannon gelingt es, ein breites Zielpublikum anzusprechen und den interessierten Leser für die Geschichten und Errungenschaften der Dargestellten zu begeistern. Bildvergleiche begleiten die Ausführungen. So wird anlässlich des Porträts des Frankfurter Arztes Johann C. G. Lucae ein komplettes Kapitel der Anatomie gewidmet - eine Betrachtung der (künstlerischen) Darstellung von Frauenleichen in der Anatomie inklusive. Im Buch fehlen weder medizinische Versuchsreihen an Hingerichteten, noch die detaillierte Genese der Syphilisbekämpfung durch Paul Ehrlich oder Robert Kochs Tuberkulin-Skandal beim Versuch, der Schwindsucht Herr zu werden. Zu einem Einblick in die Reformgeschichte der Psychiatrie inspiriert das Bildnis des Struwwelpeter-Autors Heinrich Hoffmann. Der Nervenarzt und begabte Illustrator teilte seine Leidenschaft fürs Zeichnen mit Detmar W. Sömmerring. Auch im Beitrag über den Augenarzt Sömmerring zeigt sich Gannons Geschick Querverbindungen aufzuzeigen, wie hier zum Naturforscher Eduard Rüppell: Sömmerrings Interesse am visuellen System, an mikroskopischen Geräten sowie seine Vorliebe für zoologische Zeichnungen treffen auf Rüppells Forschungseifer und seine aus Afrika mitgebrachten Tierpräparate - dies alles im Lichte der Gründung bedeutender Frankfurter Institutionen wie des Museums für Naturkunde oder des Zoos. Ein weiteres ausführliches Kapitel widmet die Autorin der Emanzipationsgeschichte jüdischer Ärzte in Frankfurt sowie deren Bedeutung für die Wegbereitung der Dermatologie und Venerologie. Krankheiten veranschaulichendes Bildmaterial ist hier, wie im ganzen Buch, bestens platziert und trägt zum inhaltlichen Verständnis bei.

Der Autorin geht es weniger um eine kunsthistorische Betrachtung aller Sammlungswerke oder um eine systematische Vorstellung von bekannten Frankfurtern, wie sie bei de Barys Unterteilung der Sammlung in Themengruppen anklang. Gannon folgt ihrer Entscheidung, die Dargestellten im Fluss der medizingeschichtlichen Entwicklung greifbar zu machen. Dem müssen sich bisweilen auch Nicht-Mediziner wie der Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes, gemalt von Fritz Boehle, oder Bankiers der Familien von Metzler und von Bethmann unterordnen. Adickes ist lediglich in seiner Funktion als Förderer wissenschaftlicher Institute im Rahmen der geplanten Universitätsgründung aufgeführt. Auch bekannte Künstler wie Hans Thoma, Ferdinand Brütt oder Anton Burger werden nur kurz erwähnt. Nun, es obliegt der Autorin, ihre Auswahl zu treffen und bei der Menge des vorliegenden Materials muss diese auch getroffen werden - eine für den Leser gleichermaßen bereichernde wie unterhaltsame Fülle bleibt!

Abschließend soll für den kunsthistorisch Interessierten noch ein Novum hervorgehoben werden, das im letzten Buchkapitel vorgestellt wird: Die Kollektion Georg Philipp Lehr, welche die Autorin hier zum ersten Mal als Bestandteil der Senckenberg-Sammlung beschreibt. Der Mediziner Lehr war für die Stiftung als zweiter Stifts- und Hospitalarzt tätig und trug lebenslang Druckgrafiken von bedeutenden Ärzten und Naturforschern zusammen, die er nach seinem Tod 1807 der Dr. Senckenbergischen Stiftung vermachte. Hiervon sind heute noch an die 1500 Blätter erhalten. Eher zufällig in der Frankfurter Universitätsbibliothek Senckenberg (UB) aufgefunden, war deren Provenienz zunächst nicht nachzuvollziehen, konnte aber schließlich zugeordnet werden. Da Arbeiten auf Papier bis dato nur einen bescheidenen Teil der Senckenberg-Sammlung ausmachten, ist der Fund umso bedeutender. Die Blätter wurden zwischenzeitlich von der UB digitalisiert. [4] Informationen finden sich auch auf dem Webportal "beruehmte-koepfe.net", das zeitgleich zum Buch entstanden ist. [5] Mit diesem wichtigen Fund hat Gannon einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Dr. Senckenbergischen Porträtsammlung eingeleitet und öffnet weiteren Forschungen die Tür.


Anmerkungen:

[1] August de Bary: Die Bildersammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung, Frankfurt am Main 1954.

[2] Corinna Kutz: Die Portraitsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung. Frankfurter Bildnisse aus fünf Jahrhunderten, Frankfurt am Main 2000.

[3] Inhalte des Netzauftritts: Claudia Müller-Proskar / CMS Programmierung: Sebastian Krupp (online 2012-2022).

[4] https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/drucke/nav/classification/10253023

[5] https://beruehmte-koepfe.net/articles/sb_graphics/ Portal mit Bildnissen aus den Frankfurter Sammlungen Senckenberg, Holzhausen, Sauer und Lehr.

Claudia Müller-Proskar