Rezension über:

Dietrich Schubert: Max Beckmann vom Vietzker-Strand zur Departure. Die Kristallisation seiner Werturteile und seine bildnerische Praxis, 1904-1936, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2021, 280 S., ISBN 978-3-7319-1142-5, EUR 29,95
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Rezension von:
Michael Vogel
Nizza
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Michael Vogel: Rezension von: Dietrich Schubert: Max Beckmann vom Vietzker-Strand zur Departure. Die Kristallisation seiner Werturteile und seine bildnerische Praxis, 1904-1936, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2021, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 3 [15.03.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/03/39033.html


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Dietrich Schubert: Max Beckmann vom Vietzker-Strand zur Departure

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Das vorliegende Buch von Dietrich Schubert, der sich in der Vergangenheit intensiv mit dem Einfluss des 1. Weltkriegs auf Künstler und deren Bildmotive beschäftigt hatte, behandelt das Leben und Schaffen Max Beckmanns von 1899 bis 1936, also bevor Beckmann nach Amsterdam flüchtete. Es zeichnet sich durch eine Vielzahl von Abbildungen nicht nur der Werke von Max Beckmann, sondern vieler seiner Zeitgenossen aus, deren Arbeiten in 101 der insgesamt 232 Abbildungen wiedergegeben werden. Besonders häufig sind Arbeiten von Otto Dix abgebildet und besprochen, der sowohl während und unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg ähnliche Themen wie Beckmann in seinen Bildern bearbeitet hat. Der Titel des Buches erschließt sich dem Leser erst relativ spät im X. Kapitel mit dem Titel "Faszination Meer" (187-196). Beckmann war 1907 in Vietz (heutiger Name Wicko Morskie) in Westpommern und schuf dort mehrere Bilder mit Meeresansichten. Die Bilder, die aufgrund des Aufenthalts bei Vietz entstanden, sind allerdings nicht die ersten Bilder Beckmanns, die das Meer zum Motiv haben. Bereits in den Jahren 1902, 1904 (in Wangerooge) und 1905 in Jütland hatte Beckmann mehrere Ölbilder vom Meer geschaffen, auf denen eine ähnliche Brandung wie auf den Jahre später in Vietz entstandenen Bildern zu sehen ist. Zusätzlich hatte Beckmann bereits 1903 in Scheveningen anlässlich eines Besuches von Minna Tube, seiner späteren Frau, eine Zeichnung mit einer Darstellung eines bedrohlich wirkenden Meeres geschaffen, welches Max Beckmann stehend und Minna Tube kauernd vom Strand aus beobachten.

Leider sind bei den Abbildungen die Formate der Zeichnungen, Radierungen, Ölbilder oder Skulpturen nicht angegeben, was ein Manko darstellt. So sind zum Beispiel, die Gemälde "Brandung an der Ostsee" (Abbildung 158) und "Sommertag am Meer" (Abbildung 159), die ausführlich beschrieben werden, ganz unterschiedlich groß (74 x 92,4 cm, respektive 45 x 55 cm) und es wäre hilfreich, wenn die Formate der Kunstwerke in den Abbildungslegenden erwähnt worden wären. Das Bild "Brandung an der Ostsee" hat im Werkverzeichnis der Gemälde (https://beckmann-gemaelde.org) den Titel "grauer Tag am Meer" und ein Hinweis auf den alternativen Titel wäre ebenfalls sinnvoll. Im ersten Kapitel über Werke Beckmanns, welche vor dem 1. Weltkrieg (Kapitel I, 11-52) entstanden, sind leider nicht alle Bilder von Beckmann, die im Text besprochen werden, abgebildet. Das macht das Lesen teilweise schwierig.

Neben den Kriegserlebnissen spielt in Beckmanns Werk das Verhältnis von Mann und Frau eine wichtige Rolle und dieses wird in Kapitel VI (137-154) beschrieben. Hier geht es insbesondere darum, dass Beckmann 1923 die damals 27 Jahre alte Hildegard Mems (von Beckmann Naila genannt) kennenlernte und begehrte, diese aber Beckmann mitteilte, dass sie ihn nicht liebe. Beckmann hat Naila in mehreren Radierungen und Gemälden dargestellt, und Schubert weist darauf hin, dass man auch auf Bildern Beckmanns, die entstanden, als er bereits mit Quappi (seit 1925) verheiratet war, das Gesicht Nailas erkennen kann. Beckmann hatte zum Beispiel 1934 in Berlin ein Gemälde mit einem Porträt von Naila geschaffen. Die Bedeutung Nailas für Beckmann wird auch durch das 1935 in Berlin geschaffene großformatige (215,3 x 110 cm) Gemälde "großes Frauenbildnis" deutlich. Dieses Bild mit der Nummer 415 im Werkverzeichnis der Gemälde Beckmanns zeigt fünf Frauen, die im Leben Beckmanns eine besondere Bedeutung hatten: von links nach rechts sind Lilly von Schnitzler, Käthe von Porada, Quappi und Naila stehend und rechts unten Minna Tube (Beckmann) sitzend dargestellt. Schubert weist auch darauf hin, dass Naila noch in späteren Werken Beckmanns, so zum Beispiel in dem 1943 in Amsterdam entstandenen Gemälde "Odysseus und Kalypso", vorkommt, in welchem Odysseus ein Selbstporträt Beckmanns sein könnte und Kalypso das Gesicht von Naila hat. Die Beobachtung Schuberts, dass Naila auf allen Gemälden mit einem Gesicht dargestellt wird, welches sie im Alter von 27 Jahren hatte, also zu dem Zeitpunkt, als Beckmann sie kennenlernte, untermauert die Vermutung, dass sich Beckmann sehr lange mit Naila beschäftigt hat. Ein weiteres wiederkehrendes Thema bei Beckmann: die Verkleidung besonders im Zusammenhang mit Fastnacht hängt eventuell damit zusammen, dass Beckmann Minna Tube bei einer Faschingsfeier 1902 in Weimar kennengelernt hatte. Es werden mehrere gute Beispiele aus Beckmanns Werk aufgeführt, bei denen Naila und Max sowie Quappi und Max (Beckmann) in diversen Kostümen bei Faschingsfeiern dargestellt sind.

Ein weiteres Thema in Beckmanns Werk sind Selbstportraits und hier bringt Schubert ebenfalls mehrere gute Beispiele, unter anderem ein (unfertiges) Selbstporträt aus dem Jahre 1907, welches auch auf der vorderen Umschlagseite abgebildet ist. Für den in Bezug auf die Häufigkeit von Selbstporträts im Gesamtwerk naheliegenden Vergleich mit Rembrandt bringt Schubert ein passendes Bildbeispiel aus Rembrandts Werk. Ein guter Abschluss wäre insbesondere für dieses den Zeitraum von 1899-1936 in den Mittelpunkt stellende Buch eine Abbildung des Selbstporträts von Beckmann aus dem Jahre 1936 mit dem Titel: "Selbstbildnis mit Glaskugel" (Nr. 434 im von Göpel erstellten Werkverzeichnis der Gemälde). In diesem Bild hatte Beckmann die vor ihm liegende stürmische Zeit, deren Unsicherheiten auch mit einer Glaskugel nicht vorhergesehen werden können, überzeugend dargestellt. Bereits 1931 hatte Otto Dix ein Bild mit dem Titel "Selbstbildnis mit Glaskugel" geschaffen, welches in dem Buch auf Seite 250 abgebildet ist. Ein Vergleich beider Bilder durch nebeneinander wiedergegebene Abbildungen wäre interessant. Leider ist das Bild von Beckmann nur im Text erwähnt.

Den beiden in den 1920er Jahren in der Kunsthalle Mannheim von Hartlaub kuratierten Ausstellungen, 1925 mit dem Titel "Neue Sachlichkeit" und 1928 mit dem Titel "Max Beckmann" widmet Schubert eigene Kapitel. Es wurde immer wieder versucht, Beckmann einer "Stilrichtung" zuzuordnen, in den 1920er Jahren der neuen Sachlichkeit und später besonders in den Vereinigten Staaten dem "German Expressionism". Schon im Vorwort des Buches weist Schubert darauf hin, dass es nicht sinnvoll ist, das Werk Beckmanns nach Motiven wie Porträt, Stillleben oder Landschaft zu behandeln. Die meisten von Beckmann gemalten Bilder kann man unabhängig vom Motiv oder Bildgenre spätestens ab dem Jahre 1917 (Selbstbildnis mit rotem Schal, Nr. 194 im Werkverzeichnis der Bilder) anhand der Malweise von Beckmann erkennen. So hatte Beckmann spätestens seit diesem Jahr seinen eigenen "Stil" und es ist nicht sinnvoll, Werke Beckmanns einer "Stilrichtung" zuzuordnen.

Zusammenfassend machen die vielen vergleichenden Betrachtungen von Werken, die von Zeitgenossen Beckmann in den Jahren 1907-1936 geschaffen wurden, dieses Buch lesenswert und bieten zusätzliche Informationen zu den vielen Büchern, die über Beckmann und sein Werk erschienen sind.

Michael Vogel