Malcolm Schofield: How Plato writes. Perspectives and Problems, Cambridge: Cambridge University Press 2023, X + 308 S., ISBN 978-1-108-48308-7, GBP 30,00
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How Plato Writes von Malcolm Schofield ist eine inspirierende Sammlung von Blitzlichtern auf das platonische Werk. Schofield befasst sich dabei sowohl mit sehr bekannten Dialogpassagen (wie der edlen Lüge oder dem Höhlengleichnis in der Politeia) als auch bisher eher weniger beachteten Stellen, insbesondere aus den Nomoi. Der Titel des Werks hält, was es verspricht: Schofield analysiert die literarische Form der Dialoge und den historischen Kontext, in dem sie entstanden sind. Darüber hinaus leistet How Plato Writes aber noch viel mehr: Die Analyse des Wie ist kein Selbstzweck, sondern dient stets dem Verständnis des Inhalts. Schofield teilt seine Einzelstudien in vier Einheiten: Während sich der erste Teil ("Approaches to the Corpus") ganz auf den historischen Hintergrund, literarische Form und verschiedene Ansätze der Platoninterpretation konzentriert, finden in den übrigen drei Teilen ("Argument and Dialogue Architecture", "Myth and Allegory in the Republic", "Projects, Paradoxes, and Literary Registers in the Laws") ganz konkrete Verknüpfungen zwischen Form und Inhalt verschiedener Dialogpassagen statt.
Gleich zu Beginn richtet Schofield das Augenmerk der Leserschaft auf historische und autobiographische Einflüsse, die die Entstehung bestimmter Dialoge maßgeblich mitgeprägt haben. So hebt er etwa hervor, dass die sokratischen Dialoge zu einer Zeit der intellektuellen Revolution, der Ära der Sophisten, spielten, in der die Rolle der technê oder Expertise betont wurde - ein Thema, das bei Platon wiederholt aufscheint. Als weitere Besonderheiten nennt Schofield unter anderem den Konflikt zwischen Philosophie und Politik, der sich durch Platons Dialoge zieht, sowie Platons erste Sizilienreise und deren Auswirkungen. Bekannte Thesen, dass dadurch der Pythagoreismus in die Dialoge Einzug gehalten habe, Platon selbst konvertiert sei und infolgedessen die Akademie gegründet habe, verbannt Schofield zwar in den Bereich der Spekulation, gibt ihnen aber zugleich Gewicht, indem er die Überlegungen als "reasonable speculation" (25) bezeichnet.
Schofields Buch zeigt, dass ein Verstehen des historischen Hintergrundes und auch des Dialogkontexts und -stils essentiell ist, um den Inhalt besser zu fassen. Diese an sich zwar nicht neue These erhält durch die Interpretationen Schofields jedoch neues Gewicht. Ob es sich um vieldiskutierte Passagen handelt oder um bisher weitgehend unbeachtete: Stets zeigt sich, dass Kontext, Gesamtaufbau des Dialoges, intendierte Leserschaft und/oder historischer Bezug zentrale Komponenten sind, um das philosophische Argument (besser) zu verstehen. Auch intertextuelle Bezüge werden immer wieder hergestellt; es wird also nicht die Auffassung vertreten, dass die Dialoge abgetrennt voneinander betrachtet werden müssten. Eine solch atomistische Hermeneutik haben George Grote und Benjamin Jowett im viktorianischen England vertreten. Schofield zeigt im Kapitel "Against System: The Historical Plato in the Mid-Victorian Era", wie diese beiden Forscher trotz ihrer Unterschiede in ihrer Ablehnung von Systeminterpretationen Platons übereinstimmen. Vielmehr sollten ihrer Auffassung nach die Dialoge als unabhängige, abgetrennte Einheiten gelesen werden. How Plato Writes hingegen ist der lebendige Beweis dafür, dass man mit einer solchen Position Gefahr liefe, viel an inhaltlichen Einsichten zu verlieren.
Erfrischend an Schofields Herangehensweise ist insbesondere die Tendenz, bei viel diskutierten Dialogen dennoch eher in der Forschungsliteratur unterrepräsentierte Passagen hervorzuheben und teils neu zu interpretieren. Insbesondere im Parmenides zeigt sich die Fruchtbarkeit seiner Herangehensweise, wenn sich Schofield - anders als Gregory Vlastos und unzählige Nachfolger - nicht rein aufs Argument fixiert, sondern den Dialogkontext miteinbezieht. Er konzentriert sich auf die oft weniger beachtete zweite Version des Argumentes vom dritten Menschen. Entgegen der Standardinterpretation, nach der sich der Regress auf die jeweilige Idee beziehe (die Idee vom Schönen ähnelt schönen Dingen, ist daher selbst schön und muss an einer höher geordneten Idee vom Schönen teilhaben usw. ad infinitum), argumentiert Schofield, dass sich der Regress auf die Idee der Ähnlichkeit beziehe. Diesem Regress könne aber entgangen werden, wenn man sich die Verwendung von "ähnlich (homoion)" im zweiten Dialogteil anschaue, mit der zunächst keinerlei ontologischen Festlegungen einhergingen: Ein Teilhaben an einer Idee der Ähnlichkeit sei hier also abzulehnen und "ähnlich" einfach ein "second-order predicate" (116).
Besonders hervorzuheben ist außerdem das große Gewicht, das Schofield den Nomoi zuspricht: Sechs von insgesamt vierzehn Kapiteln befassen sich mit diesem lange eher unbeachteten Dialog. Obwohl Schofield sich akribisch mit einzelnen, notorisch schwierigen und vielleicht gerade deswegen so interessanten Textpassagen befasst wie etwa den Ausführungen zum Strafrecht und der Unterscheidung zwischen Ungerechtigkeit und Schädigung (und der damit verbundenen Frage nach dem Status des Intellektualismus in den Nomoi), behält er auch stets einen synoptischen Blick. So fragt er etwa insgesamt nach dem Zweck des Werkes oder hebt bestimmte Leitmotive wie Kindheit und Spiel (auch im Vergleich zu Heraklit) hervor und zieht dabei Beispiele aus dem ganzen Werk und anderen Dialogen.
Aber auch allseits bekannte Passagen wie das Höhlengleichnis werden analysiert: Positiv hervorzuheben ist, dass sich Schofield nicht einreiht in die Reihe von Interpreten, die versuchen, Sonnen- und Liniengleichnis auf das Höhlengleichnis abzubilden. Er geht vielmehr davon aus, dass es nicht die eine konsistente Interpretation gibt und dass Platons Sokrates dazu aufruft, bestimmte Aspekte zu vergleichen, nicht aber eine komplette Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Gleichnissen sieht. Darüber hinaus zeigt Schofield eindrücklich, wie sich Erzählung und philosophischer Kommentar zum Gleichnis unterscheiden. Während die Textexegesen generell und gerade auch hier durch ihre Präzision und Textnähe überzeugen, wird die Interpretation des narrativen Teils spekulativer: Das Gleichnis sei so zu verstehen, dass wir Gefangene unserer eigenen Kultur wären und uns nicht allein befreien und das eigene Wertesystem anzweifeln könnten. Die Gegenstände, die in der Höhle vorübergetragen werden, stünden also für kulturelle Normen, die sich in verbreiteten Meinungen über Gerechtigkeit und Ähnlichem widerspiegelten. Während das sicher eine mögliche Interpretation darstellt (die Schofield auch nur als exemplarisch klassifiziert), scheinen die Hinweise im Text doch zu karg, um diese Lesart klar zu stützen.
Dieser kleine Kritikpunkt ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es sich hier um eine beeindruckende Gesamtschau auf Schlüsselpassagen des platonischen Werkes handelt, die zum weiteren Nachdenken anregt. Insgesamt zeichnen sich die Interpretationen durch eine sehr willkommene, hohe Kontextsensitivität, viele intertextuelle Bezüge und zugleich eine präzise und analytische Vorgehensweise aus. Hier zeigt sich eindrücklich, dass die literarische, "äußere" Dimension nicht vom philosophischen Argument zu trennen ist und man Gefahr läuft, das Verständnis stark einzuschränken, wenn man den Inhalt getrennt von der Form behandelt. Platon war Literat und Philosoph und nutzte sein literarisches Können für die Verdeutlichung seiner philosophischen Thesen. Schofields Studien in How Plato Writes verdeutlichen dies einmal mehr.
Abida Malik