Rezension über:

Anne-Lott Zech: "Imago boni Principis". Der Perseus-Mythos zwischen Apotheose und Heilserwartung in der politischen Öffentlichkeit des 16. Jahrhunderts (= Imaginarium. Texte zur historisch-politischen Bildsprache; Bd. 4), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2000, XII + 311 S., m. 36 Abb., ISBN 978-3-8258-4078-5, DM 58,80
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Rezension von:
Matthias Bruhn
Institut für Kunstgeschichte, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Bruhn: Rezension von: Anne-Lott Zech: "Imago boni Principis". Der Perseus-Mythos zwischen Apotheose und Heilserwartung in der politischen Öffentlichkeit des 16. Jahrhunderts, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2000, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 1 [15.01.2001], URL: https://www.sehepunkte.de
/2001/01/1706.html


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Anne-Lott Zech: "Imago boni Principis"

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Hugh Trevor-Roper hat das 17. Jahrhundert als eine Epoche der Privatisierung beschrieben, der eine Form von öffentlichem Austausch vorausgegangen sein muss, welcher man sich fortan fernhielt, wenn man nicht in Konflikt mit herrschenden gesellschaftlichen Anschauungen geraten wollte. In der von Anne-Lott Zech vorgelegten Studie zur politischen Funktion des Perseus-Mythos im 16. Jahrhundert, veröffentlicht unter dem Obertitel Imago boni Principis, kann man nachvollziehen, wie die verschiedenen Bildmedien der Zeit und ihre damaligen Betrachter eine gemeinsame Verständigungssphäre geformt haben, die man als eine solche 'politische Öffentlichkeit' bezeichnen könnte.

Die Dissertationsschrift weist nach, dass der Mythos des Perseus in Verbindung mit Andromeda, Medusa oder dem Pegasus besonderen Zuspruch fand, da er ideale Voraussetzungen für neue Strategien fürstlicher Verherrlichung bot. Sie stellt hierfür die im Mythos enthaltenen Querbezüge und motivischen Überlagerungen und die in zeitgenössischen Liedern und Epen vorgetragenen Metaphern zusammen, die aus der bloßen Verkleidung von Herrschaft eine ikonische Botschaft machten, welche auch zu populärer Vermittlung fähig war.

Die ikonographische Methode ist nicht mehr die jüngste, und auch ihre Erweiterung hin zu einer politischen Ikonologie wird allmählich zur Generationenfrage. Zahlreich sind die Studien, die sich mit dem Themenkomplex 'Kunst und Macht', mit herrscherlicher Bildpropaganda und politischer Allegorik quer durch die Jahrhunderte beschäftigen und dabei bislang kaum eine Dynastie oder Gattung ausgelassen haben.

Die Methodik der politischen Ikonographie bringt es mit sich, dass dabei eine Fülle verschiedener Kunstformen in den Blickwinkel der Kunstgeschichte gerät, was nach einer neuen Organisation der schriftlichen Darstellung und nach einem anderen Verständnis kunsthistorischer Erkenntnis verlangt. Die Autorin hat dies unternommen, ohne sich dabei, das sei vorweg bemerkt, an die Sprachkonventionen einer jüngeren Warburg-Mode zu heften.

Nach einer Einleitung zu Methode und Forschungsstand werden zunächst die textlichen und bildlichen Überlieferungsvarianten des Komplexes um Perseus und seine Begleitfiguren von der Antike bis zur Renaissance referiert. Es schließt sich ein Kapitel an, das mit "Theoretische Grundlagen" überschrieben ist. Zwar werden hier eigentlich die Umstände der Aufstellung von B. Cellinis Perseus-Gruppe in Florenz beschrieben, diese sollen aber zeigen, wie die Anfänge einer öffentlichen Kunstdiskussion und die Bestimmung herrscherlicher Tugenden im Kunstwerk miteinander in Beziehung traten. Das öffentliche Denkmal wird zum neuen 'Herrscherspiegel', der die Verträglichkeit von Bildern und Abbildern seismographisch aufnimmt.

Das dritte, ungleich umfangreichere Kapitel, stellt die Analyse der mit der Arbeit Cellinis verbundenen Konnotationen und Ikonographien dar. Hier werden anhand des Medusentöters Perseus die verschiedenen Verwandlungen von Herrschaft (Psychomachie und Apotheose, die Vereinigung von Stärke und Weisheit, Krieg und Frieden auf den Regenten u.a.) verhandelt und Varianten zeitgenössischer Einsatzformen des Mythos erörtert, etwa bei Spranger, P. da Caravaggio oder Perino del Vaga. An den Varianten der Legende wird ablesbar, wie die Erscheinungsformen des Mythos diesen für die Ausgestaltung noch neuer politischer Gedanken und (auch widersprüchlicher) Aufgaben nutzbar machen.

Das etwa gleich lange vierte Kapitel widmet sich insbesondere der Ikonographie Andromedas, die als politische Allegorie der 'Befreiung' in der niederländischen und französischen Bildpropaganda des 16. Jahrhunderts unter ihrem richtigen Namen, aber auch in christlichen Verwandlungen anzutreffen ist. Da es Aufgabe dieses Abschnittes ist, die verschiedenen Rollen der gefesselten Königstochter als Patientia oder Caritas in der Bildsprache der Entrées und anderer druckgraphischer Erzeugnisse zusammenzutragen, taucht an dieser Stelle nun auch Perseus in neuem Gewand auf, nämlich als christlicher Streiter und Heiliger Georg, der den Drachen tötet, Andromeda vom Felsen bindet und zum Retter einer Freiheit wird, die man politisch zu lesen hatte. Andromeda wird zum Ausdruck einer Heilserwartung, die sich auf die Errettung einer verfassungsstaatlichen Nation, aber auch auf die Renovation monarchischer Herrschaft beziehen konnte.

Die Arbeit schließt mit einem Ausblick, der verdeutlichen soll, dass die zeitliche Eingrenzung der Arbeit gerechtfertigt wird durch den Umstand, dass mit den aufkeimenden Friedensahnungen des folgenden Jahrhunderts (die sich dann nicht einlösten) das Thema seine bisherige Bedeutung zu verlieren begann. Der Komplex Persus/Medusa verschwindet allmählich aus der Bildsprache, und auch die Befreiung der Andromeda besteht nach Einschätzung der Autorin in Form einer humanistisch bereinigten Musen-Ikonographie oder in Begleitung zahlreicher anderer, konventioneller Herrschaftsallegorien (Athena, Merkur) fort. Hier ließe sich einschränken, dass auch im Folgejahrhundert zumindest noch Beispiele der Legende als zentrale politische Allegorie anzutreffen sind (Entrée Ludwigs XIII. in Arles von 1622; Deckengemälde von Ansaldo in der Villa Spinola in Genua um 1625, mit Perseus und dem Gorgonenhaupt; Medaillen von Hautsch auf Max Emmanuels Statthalterschaft in den Niederlanden von 1692, und von Chevalier auf Wilhelm III. und Maria von Großbritannien von 1689).

Zu befragen gäbe es auch einen Aspekt, der vom Blickwinkel politischer Ikonographie ganz allgemein abhängt, in welchem das künstlerische Individuum im Beziehungsgeflecht der politischen Kommunikation und ihrer kollektiven Bildsprache aufgehoben ist. Die Autorin stellt die Mannigfaltigkeit von Bedeutungen vor, die der Perseus-Mythos in Italien, den Niederlanden und Frankreich annehmen konnte, so dass man auch schließen könnte, dass der Unterschied zwischen den verschiedenen Verwendungen ein und desselben Musters (Perseus als Stellvertreter der Niederlande/des Herzogs/des Statthalters) und der Unterschied zwischen den jeweiligen künstlerischen Lösungen größer ist als die gemeinsame ikonographische Klammer, die in diesem Falle "Perseus" lautet. Zur selben Zeit lassen sich - vor allem der Statistik nach - die Helden der politischen Bühne gerne auch als "Herkules" und bald als "Jupiter" anreden, und die Autorin erörtert selbst, wie zahlreich diese vielen anderen Gestalten sind, die in das Bild des Perseus hineinspielen, etwa Georg (oder Caritas in das der Andromeda); so trifft man z. B. Wilhelm von Oranien als Heiligen Georg an, der einem Perseus verdächtig ähnelt (220ff). Von daher wäre es von ganz allgemeinem Interesse, welche Bedeutung "Ikonographie" in diesem fließenden Gewebe hätte und warum wir es mit einem so derartig verkleideten Zeitalter zu tun hatten.

Um nachzuzeichnen, wie man sich diese Verkleidung praktisch vorzustellen habe, nimmt die Autorin Cellinis Figur des Perseus mit dem Medusenhaupt als Beispiel, für dessen Her- und Aufstellung sich der Auftraggeber Herzog Cosimo ausdrücklich interessierte und für das er eine "Vorbesichtigung" (20) durch das Volk verfügte. An anderer Stelle berichtet die Autorin von Ausschreitungen anlässlich der Enthüllung von Bandinellis Konkurrenzarbeit Herkules und Cacus, die nur durch polizeiliche Maßnahmen in den Griff zu bekommen waren. Die Piazza ist für die Autorin der Ort, an dem man gewöhnt war, seine öffentliche Meinung kundzutun, auch wenn man dabei gelegentlich über die Stränge schlug. Die öffentlichen Proteste, so heißt es, "lassen sich nicht von der Kritik trennen, die der Herrschaft des verhassten [...] Medici-Fürsten galt" (25).

Deutlich wird in der Arbeit, wie das Kunstwerk als Bindeglied zwischen Bevölkerung und Auftraggeber, zwischen Hof und Piazza, zum Einsatz kommt; gefragt werden könnte in diesem Zusammenhang, inwieweit mit der Ermittlung der Volksmeinung auch die Vorstellung einer "Kommunikation" von Unten und Oben in der Kunstproduktion gerechtfertigt ist. Die Probeaufstellung oder der laute Protest wären noch kein Beleg für die Möglichkeit einer Bevölkerung, bei der Motivwahl mitzureden oder denjenigen 'Tugendkatalog' für ihren Herrscher zu definieren, den die Studie dann im folgenden ausbreitet. Warum soll Perseus das abgeschlagene Haupt der Medusa dem Stadtplatz und damit der Stadtbevölkerung entgegenstrecken? Die Autorin liefert hier eine eingehende Beschreibung der Figurengruppe, knüpft aber dann auf Seite 48 an, Cellinis Denkmal sei nicht als Abwehrschild gegen das eigene Volk aufgestellt worden, weil ja die Menschen auf der Piazza der Adressat gewesen seien und daher die Augen der Medusa geschlossen sein müssten; hier wird aber eine Aussage vorausgesetzt, die erst anhand der historischen Umstände und des bildlichen Befundes zu verifizieren wäre.

Der Blick auf das politisch-kommunikative Element sollte auch nicht verdecken, welcher sadistisch-voyeuristischen Erotik sich Künstler bedienten, wenn sie Andromeda entkleidet, angekettet und vom Drachen bedroht darboten oder wenn sie die Enthauptung der Medusa oder ihr abscheuliches Schlangenhaar vorführten. Da die Zuwendung des nackten Körpers am schroffen Felsen als Urform einer Gewalt- und Lustfantasie noch heute zum Repertoire des kommerziellen Agenten- oder Erotikfilms gehört, scheint es hierfür unverändert Zuschauer zu geben, und es hat auch noch lange zur Praxis politischer Kommunikation gehört, an Grundmuster wie Befreiung und Bedrohung zu appellieren. Aber da man in der gegenwärtigen Wahlwerbung eine politische Leitfigur kaum mehr in einem solch expliziten Rollenspiel präsentieren würde, haben sich Wunschfantasie und politisches Heilsversprechen im Laufe der Zeit offenbar voneinander verabschiedet. Wenn die Autorin also konstatiert, dass der Mythos über Jahrtausende "eine lange Kontinuität seiner wesentlichen narrativen Elemente bewahrte" (16), dann ließe sich umgekehrt ergänzen, dass vor allem der Mythos selber im Laufe der Geschichte seine Verkleidung mehrfach wechseln musste. In diesen Zusammenhang gehört auch eine ausgeblendete Erscheinung wie die "Schwarze Andromeda", stellvertretend für die wissenschaftlichen, geographischen und technischen Umwälzungen, die das damalige europäische Gedankengerüst erschütterten. Dies soll aber nicht die Beobachtung der Autoren entkräften, dass der Mythos an dem von ihr behandelten historischen Zeitpunkt sein Potential auch und gerade politisch entfalten konnte.

Am Rande ist zu beanstanden, dass neben einigen Layout-Schwankungen die Namensansetzungen in Fußnoten und Literaturliste uneinheitlich sind. Vornamen werden nur sporadisch ausgeschrieben und sind in einigen Fällen unkorrekt, das Alphabet wird nicht immer befolgt. Etwas unschön, aber zu verschmerzen ist der Verzicht auf die Cedille.

Dieser Details ungeachtet bietet die Studie von Anne-Lott Zech eine geschlossene Darstellung des Perseus-Mythos und seiner propagandistischen Aufgaben. Die beigebrachten Belege und Literaturangaben sind bündig, informativ und am rechten Ort, und durch ihren katalogartigen Aufbau erhält man damit auch eine griffige und materialreiche Einführung in zentrale kulturhistorische Themen des 16. Jahrhunderts und seines politischen Rollenspiels.

Matthias Bruhn