Hubert Salm / Brigitte Wübbeke-Pflüger (Bearb.): Acta Pacis Westphalicae. Ser. II, Abt. A: Die kaiserlichen Korrespondenzen, Bd. 4: 1646, unter Benutzung der Vorarbeiten von Wilhelm Engels, Manfred Klett und Antje Oschmann, Münster: Aschendorff 2001, LXXXIX + 741 S., ISBN 978-3-402-04988-4, DM 220,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.
Winfried Speitkamp (Hg.): Gewaltgemeinschaften in der Geschichte. Entstehung, Kohäsionskraft und Zerfall, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017
Heinz Duchhardt: Barock und Aufklärung, 4., neu bearb. und erw. Aufl. des Bandes "Das Zeitalter des Absolutismus", München: Oldenbourg 2007
Jan Peters: Mit Pflug und Gänsekiel. Selbstzeugnisse schreibender Bauern. Eine Anthologie, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003
Der vorliegende Band der APW ist ein Nachzügler. Nachdem Band 5 der kaiserlichen Korrespondenzen bereits 1993 erschienen ist, wird nun mit dem 4. Band dieser Serie die Lücke für den Zeitraum zwischen dem 18. April und dem 14. September 1646 geschlossen. Hinter den nüchternen kalendarischen Daten zeichnet sich die Spanne von dem kaiserlichen Elsassangebot an Frankreich bis zu den kaiserlich-französischen Satisfaktionsartikeln ab, einem wichtigen Schritt auf dem Weg zum Frieden. Dementsprechend dominierten in dem hier abgesteckten, ungefähr fünf Monate umfassenden Berichtszeitraum die französisch-kaiserlichen Verhandlungen den Friedenskongress. Das bedeutete aber nicht, dass die anderen Verhandlungsmaterien völlig in den Hintergrund traten: Die schwedischen Ansprüche wie etwa die Pommernfrage und der Erwerb norddeutscher Hochstifter spielten in den Korrespondenzen genauso eine Rolle wie die für die Reichsstände essentielle Frage der Religionsgravamina; neben den jeweils speziellen Anliegen der einzelnen Reichsstände kamen noch die Verhandlungen mit den spanischen und niederländischen Gesandtschaften dazu.
In dieses vielschichtige Feld der diplomatischen Kontakte und Initiativen führt die ausführliche Einleitung von Brigitte Wübbeke-Pflüger souverän ein. Wie schon die Vorgängerbände, erschließt auch dieser Band das dargebotene Material durch ein chronologisches Aktenverzeichnis, ein weitverzweigtes Register und einen sachkundigen Anmerkungsapparat. Kernstück dieser stattlichen Edition sind die 345 einzeln aufgeführten und durchnummerierten Schriftstücke, die in großer Dichte die Verhandlungstätigkeit der kaiserlichen Seite dokumentieren und gleichzeitig den Schriftverkehr zwischen Wien und der kaiserlichen Verhandlungsdelegation auf dem Friedenskongress umfassen. Neben ihnen ist auch eine ganze Reihe von Beilagen aufgenommen worden (sie sind schon im Schriftbild durch den Petitdruck kenntlich gemacht, was der Lektüre allerdings nicht besonders förderlich ist). Dazu gehören die Korrespondenzen mit anderen Verhandlungsparteien - hier ist insbesondere die kurbayerische Gesandtschaft stark vertreten -, vor allem aber finden sich hier viele Gesprächs- und Verhandlungsprotokolle. Da im Rahmen des Gesamtprojekts der APW für die Abteilung der Verhandlungsakten bislang keine Bände vorliegen, ist man um so dankbarer, auf diese Weise erste Einblicke in diese Materie zu bekommen. Auch einige Gutachten kaiserlicher Räte sind hier aufgenommen und veranschaulichen die Genese verschiedener Verhandlungspositionen auf kaiserlicher Seite.
Ein weiteres Mal macht auch dieser Band deutlich, in welchem Maße die westfälischen Friedensverhandlungen von einer bestimmten Form der Reisediplomatie geprägt waren. Je nach entsprechenden Verhandlungsschwerpunkten hielt sich Maximilian Graf von Trauttmansdorff, der kaiserliche Prinzipalgesandte, mal in Münster auf, ging dann für einige Zeit nach Osnabrück und wechselte zurück nach Münster. So bedeutete der Umstand, dass der Friedenskongress an zwei Orten stattfand, für die beteiligten Gesandten zweifellos viel Mühe und Aufwand. Für die historische Überlieferung hingegen hat sich diese Konstellation als vorteilhaft erwiesen, denn die kaiserlichen Diplomaten korrespondierten auch zwischen Münster und Osnabrück miteinander: Johann Ludwig von Nassau-Hadamar und Dr. Isaak Volmar berichteten aus Münster nach Osnabrück, wo wiederum Johann Maximilian von Lamberg und Lic. Johann Baptist Krane ihre Kollegen über den dortigen Stand der Verhandlungen auf dem laufenden hielten - ein Verfahren, das sich bewährte und entsprechend intensiviert werden sollte (316, Z. 9-11). Hätte man nur an einem Ort verhandelt, wäre sicherlich so manches nur mündlich weitergegeben und intern besprochen worden. Auf diese Weise bietet schon der Aktengang innerhalb der kaiserlichen Friedensgesandtschaft einen intensiven Einblick in die Verhandlungsabläufe.
Die edierten Texte liegen fast ganz im Volltext vor. Einschränkungen wurden bei einigen thematischen Sachverhalten gemacht, die nicht unmittelbar dem diplomatischen Geschehen zuzuordnen sind (LXXVIII). Sicherlich kann nicht alles ediert werden, doch ob dies eine glückliche Entscheidung war, bleibt fraglich, zumal sich in vielen Fällen die Regesten auf ein bloßes, mitunter recht kryptisches Stichwort reduzieren (etwa die Stichwörter "Personalpolitik" (495, Z. 8) und "Ungarn" (413, Z. 21). Geldangelegenheiten und Privates - auch diese Schlagworte tauchen regelmäßig auf - gehörten eben auch zur Lebenswelt der Gesandten, und erst recht ist es schwierig, die gleichfalls nur lakonisch benannten Militaria auszublenden. Auch wenn man der Auffassung folgen mag, dass diesen und anderen Aspekten nicht der gleiche Stellenwert wie einem Bericht über die Verhandlungsrunde mit anderen Gesandten oder dem Ringen um eine adäquate Vertragsformulierung zuzumessen ist, besteht zumindest prinzipiell die Gefahr, dass diplomatische Kerngeschehen aus seinen Bezügen zu anderen historischen Aspekten herauszulösen. Andererseits wird niemand behaupten können, dass die Korrespondenzen nur von harten diplomatischen Fakten strotzen und pure Sprödigkeit verbreiten. Welchen Reichtum die edierten Quellen tatsächlich bergen, soll im Folgenden kurz angesprochen werden.
Bei der Lektüre der Korrespondenzen wird man immer wieder auf Episoden treffen, die Einblicke von großer Anschaulichkeit in das diplomatische Geschäft um die Mitte des 17. Jahrhunderts gewähren. Dies geschieht vor allem aus dem Blickwinkel Trauttmansdorffs, der die zentrale Persönlichkeit der kaiserlichen Delegation darstellte und selbst sehr oft und sehr ausführlich über seine diplomatische Tätigkeit berichtete. Aufschlussreich sind etwa Einschätzungen darüber, wie man die Bemerkungen der Gegenseite und deren Vorstöße in den Verhandlungen bewerten solle - so tat Trauttmansdorff die von dem schwedischen Gesandten Salvius erhobenen weitreichenden Forderungen "mehrers für terriculamenta" ab (136, Z. 31f.). Durchaus harsch, vielleicht auch von Enttäuschungen geprägt, fiel das Urteil des kaiserlichen Prinzipalgesandten über die lutherischen Reichsstände aus, deren Haltung ihm "verblendt" vorkam (562, Z. 11-13). Ein ausgeprägtes Sensorium hatte sich auch für die atmosphärischen Konstellationen entwickelt: Kaiserlicherseits vermerkte man, wie "grob" sich die schwedischen Diplomaten benahmen und welche "insolenz" sie an den Tag legten (222, Z. 6, 483, Z. 3; vergleiche auch 277, Z. 6ff. zu den kurbayerisch-französischen Verhandlungen); andererseits vermerkte die kaiserliche Gesandtschaft aufmerksam, wie sich eine ausgesprochen freundschaftliche Stimmung im Umgang mit den niederländischen Gesandten entwickelte, die ihrerseits viel Verständnis für die kaiserliche Verhandlungsposition gegenüber Frankreich aufbrachten (163; vergleiche auch 391, Z. 22ff.). Natürlich war letzteres nicht nur der Eindruck einer flüchtigen Stimmung, sondern Indiz für eine sich anbahnende gemeinsame Frontstellung gegen übermächtige französische Begehrlichkeiten. Wachsende Spannungen machten sich dagegen zwischen den Vertretern der spanischen und österreichischen Habsburger bemerkbar. Trauttmansdorff berichtete ausführlich über die Klagen und Vorwürfe, die die spanische Gesandtschaft gegen ihn erhob (113, 161, 270, Z. 10ff.). Er selbst versäumte nicht, seinen Ärger über die kurbayerische Kongressdiplomatie kundzutun (329; 348, Z. 2-4, 415, Z. 20ff.; vergleiche auch 62, Z. 33-36). Aufregung und Ärger machten sich auch sonst vielfach Luft, so bei den kurbrandenburgischen Vertretern, die mehr oder weniger hilflos dem schwedischen Griff nach Pommern zusehen mussten (246). Es wird deutlich, was für eine aufgeheizte Atmosphäre sich an den Kongressorten entwickelt haben muss. Diese bemächtigte sich nicht nur der Diplomaten, sondern zeitweise auch der Münsteraner Bevölkerung: Man fürchtete Aufruhr und Tätlichkeiten (239, Z. 26-29, 518, Z. 9-15). Furcht gab es auch vor Verrat und Spionage, die naturgemäß, wie es scheint, beim diplomatischen Tauziehen dazugehörten (etwa der Fall Schröder [14 mit Anmerkung 10, 59f.]; die Indiskretionen beim Umgang mit einem Geheimprotokoll [504-506]). Entsprechend groß waren auf der anderen Seite die Bemühungen um Geheimhaltung (109, Z. 29; 362, Z. 35f.; 413, Z. 19-21; 524, Z. 32f., 527, Z. 30f.). Andererseits ergaben sich auch Gelegenheiten, bei denen die Gesandten sehr offen ihre Standpunkte austauschen und die Friedensproblematik in ihrer ganzen Bandbreite erörtern konnten, nur um dies alles dann als einen bloßen "discursus praeparatorius und praeambulus" niedrigzuhängen (263, Z. 32f.). In einem anderen Gespräch fielen Worte, die in eine französische Kriegsdrohung an die brandenburgische Adresse mündeten. Zwar wurde dies von französischer Seite wenig später als "concerto" bagatellisiert - doch der Bote befand sich längst auf dem Weg zum Kurfürsten Friedrich Wilhelm (452). Wie hier lässt sich an vielen Stellen erkennen, welche diplomatischen Techniken und Verhaltensweisen angewandt wurden, kurzum, wie das Geschäft des Friedensschließens in der alltäglichen Praxis aussah.
Nicht zu übersehen ist gleichwohl, dass im Verlaufe der Verhandlungen die Hoffnungen auf einen Friedensschluss vielfache Dämpfer erlitten. Zeitweise sah man einen verheißungsvollen Weg darin, zunächst einen Waffenstillstand abzuschließen, ein Thema, das sich immer wieder durch die Korrespondenzen zog (291, Z. 35; 294, Z. 1ff., 315, Z. 25ff.). Mit einem solchen "armistitium" glaubte man, eine Art Vorfrieden bereiten zu können: Dass der Waffenstillstand "una madre d'una maggior figliola", nämlich des Friedens, sein würde, war eine offenbar stehende Formulierung ( 54, Z. 14, 61, Z. 2). Doch daraus wurde nichts. Einen Grund für das Stocken der Verhandlungen sah die kaiserliche Seite vor allem in einem allzu geringen französischen Friedenswillen (239, 252, 259). Dieser Ansicht stimmten schließlich sogar die kurbayerischen Gesandten zu, die einige Hoffnung auf Frankreich setzten und sonst immer auf kaiserlicher Seite eine Verschleppungstaktik vermuteten (277, Z. 6ff.). Auch ein so erfahrener Spitzendiplomat wie Trauttmansdorff sinnierte ständig über die Möglichkeit, dass die Verhandlungen scheiterten oder der Frieden zumindest noch weit entfernt sei. War dies ein kalkulierter Pessimismus, um die kaiserlichen Bäume nicht zu sehr in den Himmel wachsen zu lassen? Dass aber Trauttmansdorff nicht nur schwarzmalte, sondern auch schwarzsah, lassen vielleicht seine Empfehlungen - in durchaus eklatanter Überschätzung der militärischen Möglichkeiten des Kaisers - an Ferdinand III. erkennen, dass weitere Rüstungen notwendig und sinnvoll seien; ja, er hieß auch den Gedanken gut, dass der Kaiser wieder selbst ins Feld ziehen sollte (494, Z. 11-20; 501, Z. 28-33, 503, Z. 30-32). Schließlich schätzte Trauttmansdorff sogar seine eigene Anwesenheit am Kongressort als kontraproduktiv ein (483, Z. 6-8). Den Plan, von Münster abzureisen, setzte er dann aber geschickt ein, um Druck auf seine Verhandlungspartner zu machen - natürlich ohne diese Absicht zu verwirklichen (er sollte noch ein knappes Jahr in Westfalen bleiben). Am 21. August 1646 berichtete Trauttmansdorff nach Wien, dass man zuletzt "in fridensnegotio ein starkhen schritt" getan habe (524, Z. 28f.). Im Kontext der hier vorliegenden Korrespondenzen steht diese positive Einschätzung eher isoliert da. Bis ein solcher Optimismus gerechtfertigt und der Frieden geschlossen war, sollte es tatsächlich noch geraume Zeit dauern. Uneingeschränkt optimistisch kann man hingegen auf das Editionsunternehmen insgesamt schauen. Die APW, dies zeigt auch dieser Band einmal mehr, befinden sich auf einem guten Weg.
Michael Kaiser