Rainhard Riepertinger: Aschheim und Dornach. Eine Mikroanalyse zweier altbayerischer Dörfer bis zum Jahr 1800 (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte; Bd. 18), München: Kommission für bayerische Landesgeschichte 2000, XXXIV + 555 S., 4 Abb., 2 Kt., ISBN 978-3-7696-9703-2, DM 78,00
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Riepertingers Arbeit, die 1998 von der Ludwig-Maximilians-Universität in München als Dissertation angenommen wurde, verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Am Beispiel zweier altbayerischer Dörfer östlich von München sollen über einen langen Zeitraum hinweg soziale, wirtschaftliche, rechtliche und herrschaftliche Gegebenheiten und Entwicklungen untersucht werden, die das Leben auf dem Dorf bestimmten. Um dies gleich vorweg zu nehmen: Riepertinger wird mit seiner materialreichen und gut lesbaren Arbeit diesem Anspruch in hohem Maße gerecht.
Nach einer umfangreichen Beschäftigung mit den mittelalterlichen Grundlagen der Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen sowie den Lebensbedingungen der Menschen in diesem Raum vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, in dem Riepertinger die Ergebnisse der schriftlichen Quellenauswertung ebenso berücksichtigt wie jener der Ortsnamenforschung und insbesondere der Archäologie, nimmt die Darstellung von Kirche und Geistlichkeit im Dorf breiten Raum ein. Dies geschieht sowohl unter dem Blickwinkel der Kirchenorganisation wie auch der wirtschaftlichen Funktion geistlicher Institutionen und der Bedeutung der Kirche als Stätte der Glaubensausübung, der Erziehung und Schule und der Stellung der Geistlichkeit im Dorf als Teil der ländlichen Führungselite. In diesem Zusammenhang stellt Riepertinger aber auch die Frage nach der Akzeptanz der Geistlichen in ihren Gemeinden insbesondere im Zeitalter der Reformation, als die herzogliche Obrigkeit zunehmend an bestimmten Erscheinungen des Lebenswandels und der Amtsführungen der Geistlichen vor Ort durch strengere Visitationen Einfluss und gegebenenfalls auch Anstoß nahm. Von einzelnen Konflikten einmal abgesehen, wurde die Stellung des Geistlichen in den Dörfern nicht infrage gestellt, sofern die Aufrechterhaltung der Seelsorge durch den Pfarrer gewährleistet war.
Riepertingers detaillierte und akribische Archivarbeit fördert dabei nicht nur grundsätzliche Aussagen zur dörflichen Verfassungsstruktur zu Tage, sondern illustriert diese auch mit den notwendigen aussagekräftigen Beispielen, etwa in Bezug auf Konflikte der Ortsgeistlichen mit einzelnen Personen aus dem Dorf, die bisweilen auch in Handgreiflichkeiten ausarteten. Dabei standen wirtschaftliche Motive oft im Gegensatz zu seelsorgerlichen Bedürfnissen, wenn etwa die Einnahmen aus Kreuzgängen die dafür vom Pfarrer auszulegenden Ausgaben nicht mehr deckten, oder wenn es um die Abstiftung des Mesner von seinem mit der Stelle verbundenen Gut ging, was sich im konkreten Falle im 18. Jahrhundert zu einer die Dorfgemeinschaft sowie die landesherrliche und geistliche Obrigkeit beschäftigenden Streitigkeit auswuchs.
Die Überlagerung der Rechte verschiedener Herrschaftsträger bildet einen zentralen Punkt in den Ausführungen dieses Buches. Exemplarisch arbeitet der Autor am Beispiel von Aschheim und Dornach heraus, dass einerseits für Hoch- und Niedergerichtsbarkeit das landesherrliche Pfleggericht in Wolfratshausen zuständig war, dass sich aber demgegenüber auch andere weltliche und geistliche Herrschaftsträger etablieren konnten. An den wichtigsten Rechtsinstrumenten, Grund-, Gerichts-, Leib- und Vogtherrschaft, weist Riepertinger die für die Zeit vor 1800 so charakteristische Gemengelage der Herrschaftsausübung mit ihren zahlreichen persönlichen Bindungen zwischen Grundherrn und Grundholden bis in einzelne Facetten nach. In ihrer durch konkrete Bezüge auf die Situation vor Ort sehr anschaulichen Schilderung in Verbindung mit grundsätzlichen allgemeinen Bemerkungen zu den einzelnen Aspekten haben Riepertingers Ausführungen stellenweise Lehrbuchcharakter, fassen sie doch jeweils die einzelnen Details zu einem über die Grenzen von Aschheim und Dornach hinausweisenden Bild zusammen.
In besonderer Weise gilt dies für eines der wohl schwierigsten Probleme der bayerischen Agrargeschichte, das System des Hoffußes, das nach Riepertingers Aussagen zu Recht mindestens annähernd Informationen zur Größe und Leistungsfähigkeit einer Hofstelle liefert. Das von dem Autor gezeichnete Bild hat in der vorliegenden Studie wesentlich klarere und reichere Konturen, als es vielfach in der Auffassung vom flächenhaften herzoglichen bzw. kurbayerischen Territorium der Wittelsbacher anzutreffen ist. Die rechtliche und politische Verfasstheit mit ihrer häufig zu beobachten Divergenz zwischen Grund- und Gerichtsherrschaft, die im 16. Jahrhundert eine auch kodifizierte landesrechtliche Fixierung fand, prägte nachhaltig das Verhältnis der Landbevölkerung zu ihrer unmittelbaren entweder landesherrlichen, bürgerlichen, adeligen oder klösterlichen Obrigkeit. Auch im Falle Aschheims tritt dies deutlich im Gegensatz zu dem einheitlich unter landesherrlicher Gerichtsbarkeit stehenden Dornach hevor. Die exakt zusammengetragenen archivalischen Informationen vermitteln ein aussagekräftiges Bild der Verteilung des grundherrschaftlichen Besitzes in den beiden Dörfern. Während etwa bis ins 16. Jahrhundert in Aschheim Bürger aus dem nahen München verstärkt als Grundherrn in Erscheinung traten, wobei Kapitalanlage und Prestigedenken die vorherrschenden Motive waren, tritt ab dem 17. Jahrhundert der Adel deutlich hervor. Der Grund dafür liegt in der Erhebung ehemals bürgerlich-patrizischer Familien in den Adelsstand. Insofern liefert Riepertingers Buch auch einen Beitrag zur Skizzierung sozialer Strömungen im ländlichen Umfeld der bayerischen Haupt- und Residenzstadt.
Viele Dinge gäbe es noch zu nennen, um auch nur ansatzweise der umfassenden Darstellung dieser Mikroanalyse gerecht zu werden. Ausführlich handelt der Autor vom Dorf, seinen Bewohnern, ihrer bäuerliche Wirtschaft, der Betriebsgrößen und Abgabenlasten sowie der dörflichen Verwaltung und der Konfliktfelder im Zusammenleben der Dorfbewohner. Sein lesenswertes Buch beschließt er mit statistischen Zusammenfassungen aus Kataster, Güterkonskriptionen und Steuerlisten. Insgesamt belegt Riepertingers Studie eindrucksvoll, wie am Beispiel zweier Dörfer durch intensives Quellenstudium Erkenntnisse gewonnen werden können, die weit über die lokalen Grenzen hinaus verfassungs-, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte eines ganzen Territoriums berühren.
Horst Gehringer