Wilhelm Fielitz: Das Stereotyp des wolhyniendeutschen Umsiedlers. Popularisierungen zwischen Sprachinselforschung und nationalsozialistischer Propaganda (= Schriftenreihe der Kommission für deutsche und osteuropäische Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V.; Bd. 82), Marburg: N.G.Elwert 2000, 409 S., 27 Abb., ISBN 978-3-7708-1158-8, EUR 25,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Den historischen Hintergrund der vorliegenden Untersuchung bilden die Besetzung Polens durch deutsche und sowjetische Truppen im September 1939 und die von deutscher Seite angestrebte Besiedlung dieser Gebiete mit deutscher Bevölkerung. Dafür waren so genannte Umsiedlungen von Deutschstämmigen, unter anderem aus Wolhynien, vorgesehen. Um diese Vorhaben den Umzusiedelnden wie auch der Bevölkerung in Deutschland als sinnvoll zu vermitteln, wurde die nationalsozialistische Propaganda tätig. Wilhelm Fielitz untersucht in seiner Dissertation die dabei eingesetzte Nutzung von traditionellen Text- und Bildgattungen in populären Medien. Die durch die Propaganda angestrebte Manipulation von Vorstellungen über soziale Gruppen wird hierbei mit dem Stereotypenbegriff erfasst. Die Analysen des Autors arbeiten die Veränderungen der verwendeten sprachlichen und bildlichen Darstellungen vom Wolhyniendeutschen in der nationalsozialistischen Propaganda deutlich heraus.
Zunächst stellt Fielitz die Entwicklung des Bildes des Wolhyniendeutschen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Jahr 1939 dar. Er zeigt dabei die ideologisch geprägten Perspektiven auf, von denen aus verschiedene Forscher die Lebensverhältnisse der Wolhyniendeutschen betrachteten. Darüber hinaus analysiert er die Veränderungen der Zuschreibungen und Komponenten in den sich formenden Stereotypen, besonders unter dem nationalsozialistischen Einfluss. Als Quellen verwendet der Verfasser unter anderem populäre Lesestoffe und Druckgrafiken, die zwischen 1940 und 1944 erschienen sind und die die Umsiedlung der Wolhyniendeutschen im Winter 1939/40 thematisieren. So fügte beispielsweise die Berichterstattung des "Völkischen Beobachters" im Jahr 1939 den bis dahin entwickelten Merkmalen der wolhyniendeutschen Siedler ("arme", "anspruchslose", "betrogene" Menschen) neue Attribute hinzu ("hart", "stämmig"), die nun in den Vordergrund gerückt wurden. Darüber hinaus untersucht Fielitz auch die an der Ausformung dieser Stereotypen beteiligten Institutionen und ihre Vertreter, wie zzum Beispiel das Deutsche Auslandsinstitut und den Verein für das Volkstum im Ausland.
Abschließend wird ein typisches Propagandamittel der nationalsozialistischen Umsiedlungspolitik detailliert analysiert, der 1940 erschienene Bildband "Das Buch vom großen Treck". Der populäre Sammelband setzt sich aus schriftlichen Beiträgen von drei Autoren (Alfred Karasek, Heinrich Kurtz, Otto Engelhardt-Kyffhäuser) zusammen, einem Wissenschaftler und zwei Zeitzeugen, wodurch ein hoher Anspruch auf Wahrheit und Authentizität suggeriert wurde. Fielitz zeigt die Verflechtung der Autoren mit dem Propagandaamt des Generalgouvernements, dem Propagandaapparat des Reiches und der SS auf.
Die Entwicklung des Görlitzer Malers und Kunsterziehers Otto Engelhardt-Kyffhäuser wird dabei detailliert nachgezeichnet, da er ein typisches Beispiel für einen Künstler darstellt, der sich mit den Bedürfnissen der nationalsozialistischen Propaganda arrangiert hatte und die gewünschte Ideologie und Terminologie bildlich umsetzte. Der Verfasser kann durch seine Forschungen die Beteiligung Engelhardt-Kyffhäusers an zahlreichen propagandistischen Veröffentlichungen und Ausstellungen im Rahmen der Umsiedlung von Wolhyniendeutschen, seine große Bedeutung für die nationalsozialistische Gebrauchsgraphik insgesamt (zum Beispiel auf Postkarten und Briefmarken) und seine Zusammenarbeit mit nationalsozialistischen Filmproduktionen nachweisen.
Die fundierte Vorgehensweise von Fielitz überzeugt durch die Einbettung der einzelnen Aspekte in die jeweils vorliegende Forschungsliteratur. Durch die klar strukturierte Analyse divergierender Quellengruppen wie Massenlesestoffe, populäre Grafik und Propagandafilme liefert er einen detaillierten Einblick in Formen der nationalsozialistischen Manipulation mithilfe von Stereotypisierungen.
Regina Löneke