Wolfgang Neugebauer: Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Bd. 5), Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2001, 222 S., ISBN 978-3-8305-0157-2, EUR 30,00
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Dies ist der erste Band einer auf acht Bände angelegten Gesamtdarstellung der brandenburgischen Geschichte, deren chronologisches Spektrum von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Wiederbegründung des Landes im Jahre 1990 reichen wird. Was die hier zu betrachtenden Jahrhunderte angeht, zählt Neugebauer ohne Frage zu den besten Kennern der Materie. Er ist in der Vergangenheit mit mehreren grundlegenden Studien zur brandenburg-preußischen Geschichte hervorgetreten und ist mit den Quellen bestens vertraut. Von daher darf man die Bewertungsmaßstäbe für den vorliegenden Band getrost hoch ansetzen. Der Autor selbst nimmt für sich in Anspruch, mehr vorzulegen als eine Zwischenbilanz der Forschung; er will Handbuchcharakter reklamieren. Dies ist ihm, soviel sei hier schon gesagt, in großem Umfang gelungen, auch wenn es nach wie vor Forschungslücken gibt, die auch dieser Band nicht zu schließen vermag. Neben der Einteilung in fünf Hauptkapitel erleichtern Seitenüberschriften dem Leser die Orientierung. Hervorzuheben ist auch ein ausführliches Personen-, Orts- und Sachregister am Schluss des Bandes. Die ausführlichen Anmerkungen machen rund ein Drittel des Gesamtumfangs aus; kaum eine Zeile, die jemals über die Geschichte Brandenburgs geschrieben wurde, ist dem Autor entgangen.
Eine Darstellung der Geschichte Brandenburgs unterscheidet sich zwangsläufig von derjenigen Bayerns, Hessens oder Württembergs. Dieses Land ist nicht zu denken ohne den umgreifenden Verbund der übrigen hohenzollernschen Territorien, von denen Brandenburg hier als "Zentralprovinz" firmiert. Der Begriff "Provinz" ist in seiner Verwendung für das 17. und 18. Jahrhundert gewiss problematisch, weswegen Neugebauer ihn im Verlauf der Darstellung nuanciert verwendet. Er eignet sich aber gut zur Verdeutlichung jenes Verstaatlichungsprozesses, dem Brandenburg während dieser Zeit unterworfen wurde.
Die Darstellung des 15. und des 16. Jahrhunderts, gewissermaßen die Formationsphase des Landes Brandenburg, nimmt zu Beginn des Buches breiten Raum ein (14-40). Dies erscheint durchaus notwendig, gehört diese Epoche doch zu denjenigen, die in der bisherigen Forschung eher stiefmütterlich behandelt wurden. Hervorzuheben ist vor allem, dass Brandenburg in diesen Jahrzehnten noch keine Einheit bildete, sondern regional-landschaftlich verschieden war. Es musste den Hohenzollern also zunächst darum gehen, die Landesherrschaft in der gesamten Mark durchzusetzen, wobei konkurrierende Ansprüche vonseiten Pommerns, Mecklenburgs und Magdeburgs zu überwinden waren. Auch die einflussreichen brandenburgischen Adelsgeschlechter galt es zu domestizieren. Dabei trafen zwei unterschiedliche politische Kulturen aufeinander, und die fränkischen Hohenzollern taten sich anfänglich schwer mit der Mentalität des eingesessenen brandenburgischen Adels. Dass es dabei nicht zu einer Niederwerfung des Adels kam, sondern das Verhältnis zwischen ihm und dem Landesherrn eher durch einen Kompromiss geregelt wurde, kann man als Präjudiz für die Entwicklung des Territoriums im 17. und teilweise auch noch im 18. Jahrhundert werten.
Relativ breiten Raum nimmt naturgemäß die Darstellung des 17. Jahrhunderts ein, wobei der europäische Hintergrund durchgängig mitreflektiert wird. Die während des Dreißigjährigen Krieges zutage tretenden strukturellen Schwächen des brandenburgischen Territorialstaats führten in den 1630er-Jahren unter dem Regiment des Grafen Adam zu Schwarzenberg zu einer verstärkt "absolutistischen" Politik unter weitgehender Ausschaltung des einheimischen Adels. Der von ihm ins Leben gerufene "Kriegsrat" verweist dabei schon auf die gegen Ende des 17. Jahrhunderts sich ausbildenden Kriegskommissariate, die ihrerseits zum Hebel der Durchsetzung absolutistischer Herrschaft in Brandenburg wurden.
Neben der Ebene der Zentralverwaltung nimmt Neugebauer für die Herrschaft des Großen Kurfürsten auch die regionale beziehungsweise lokale Ebene mit in den Blick. Die Durchsetzung der Gutsherrschaft wird als Folge der Entvölkerungen während des Krieges beschrieben, wobei überzeugend dargelegt wird, dass ihre Grundlagen schon längere Zeit zurückreichen. Überhaupt nimmt die Schilderung sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Vorgänge einen breiten Raum ein und trägt damit den veränderten Fragestellungen hinsichtlich der Genese des frühmodernen Staates Rechnung. Die auf Grund der Knappheit der Darstellung gebotene thesenartige Zuspitzung gerät niemals in die Gefahr unzulässiger Verkürzungen. Neugebauers Stärke liegt im Gegenteil eher darin, den Forschungsstand in eigener Perspektive zu referieren und etwaige Schieflagen der bisherigen Sichtweise zu korrigieren.
Dies gilt in Sonderheit für das kulturelle Gefälle, das sich in Brandenburg zu Beginn des 18. Jahrhunderts zeigt. Die Konzentration auf die Berliner Verhältnisse führte hier in der Vergangenheit zwangsläufig zu einer Idealisierung der aufklärerischen Tendenzen. Neugebauer kann zeigen, dass weite Teile des Landes von dieser säkularen Geistesbewegung entweder überhaupt nicht oder doch nur in geringem Maße erfasst wurden. Auch mit der vielgerühmten religiösen Toleranz war es nicht allzu weit her. Bei genauerem Hinsehen waren es vor allem die anderenorts verfolgten Reformierten, die sich staatlicher Protektion erfreuen konnten, während Katholiken in Brandenburg nach wie vor starken Repressionen ausgesetzt waren. Auch orthodoxe Lutheraner waren vor staatlicher Willkür nicht sicher, vor allem, wenn sie sich gegen die vom Kurfürsten angestrebte "Union" der protestantischen Bekenntnisse aussprachen.
Erfreulicherweise verzichtet Neugebauer darauf, die Jahrzehnte nach 1740 als "Zeitalter Friedrichs des Großen" zu sehen. Die Person des Königs bleibt vielmehr eingebettet in einen strukturgeschichtlichen Zusammenhang. Erst dadurch werden die Motive Friedrichs II. klar erkennbar, aber auch die Ambivalenz seiner Politik, die zwischen Konservatismus (Adelspolitik) und Aufklärung (Justizreform) oszillierte, nimmt klarere Konturen an. Bedauerlicherweise verzichtet der Verfasser allerdings darauf, in der jüngst entflammten Debatte um die Konzepte "Absolutismus" beziehungsweise "aufgeklärter Absolutismus" eindeutig Stellung zu beziehen. Beide Begriffe verwendet er ganz selbstverständlich, als habe es nie Kritik daran gegeben. Zu einer "fachwissenschaftlichen Positionsbestimmung", wie sie nach Ausweis des Vorworts mit der vorliegenden Darstellung intendiert war, hätte nach Meinung des Rezensenten zumindest ein Verweis auf die strittigen Fragen gehört.
Im abschließenden, mit "Krisensymptome und Vorreformen" überschriebenen Kapitel zeigt Neugebauer einmal mehr seine profunde Kenntnis der Forschungslage, die er durchaus pointiert zu einer eigenständigen Bewertung zu verdichten weiß. Im Gegensatz zu Preußen, von dem aus die später so genannten "preußischen Reformen" ihren Ausgang nahmen, ist Brandenburg für ihn eine "introvertierte Staatsprovinz", in der die Grundlagen für jenen Konservatismus gelegt wurden, der im 19. Jahrhundert prägend für die Gesamtmonarchie war.
Der vorliegende Band beschreibt eine neue Form der "Provinzialgeschichte", von der zu wünschen ist, dass auch die übrigen preußischen Provinzen eine entsprechende Darstellung finden werden.
Jörg Engelbrecht