Monika Glettler / Alena Míšková (Hgg.): Prager Professoren 1938-1948. Zwischen Wissenschaft und Politik (= Veröffentlichungen des Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 17), Essen: Klartext 2001, 682 S., ISBN 978-3-88474-955-5, EUR 21,50
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Wolf Gruner: Die Judenverfolgung im Protektorat Böhmen und Mähren. Lokale Initiativen, zentrale Entscheidungen, jüdische Antworten 1939-1945, Göttingen: Wallstein 2016
Pavel Maršálek: Protektorát Čechy a Morava. Státoprávní a politické aspekty nacistického okupačního režimu v českých zemích 1939-1945. [Das Protektorat Böhmen und Mähren. Staatsrechtliche und politische Aspekte des nationalsozialistischen Besatzungsregimes in den Böhmischen Ländern 1939-1945], Praha: Karolinum 2002
Jan Björn Potthast: Das jüdische Zentralmuseum der SS in Prag. Gegnerforschung und Völkermord im Nationalsozialismus, Frankfurt/M.: Campus 2002
Der Sammelband, zu dem 18 deutsche und 13 tschechische Autoren beigetragen haben, analysiert das Verhältnis von Wissenschaft und Politik an beiden Prager Hochschulen anhand von 16 Professoren der Deutschen und 12 der Tschechischen Universität in personengeschichtlicher Perspektive. Den zeitlichen Rahmen prägen die Zäsuren 1938/39 (Münchener Abkommen, Errichtung des sogenannten Protektorats Böhmen und Mähren, Schließung der tschechischen Hochschulen im November 1939), 1945 (Kriegsende, Schließung der deutschen und Wiedereröffnung der tschechischen Universität) und 1948/50 (Einschränkung beziehungsweise Suspendierung der Hochschulautonomie durch die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei). Die Einzeluntersuchungen, die nicht nach Zugehörigkeit zur deutschen beziehungsweise tschechischen Universität, sondern nach Fachgebieten (Geistes- und Kulturwissenschaftler beziehungsweise Mediziner und Naturwissenschaftler) gegliedert sind, um auch fachliche und persönliche Berührungspunkte einzubeziehen, verbindet die "Leitfrage" nach "den Möglichkeiten, Grenzen und Versuchungen wissenschaftlichen Arbeitens während der nationalsozialistischen Diktatur" (Beitrag Monika Glettler, 19). Möglichkeiten und Versuchungen betrafen unter nationalsozialistischer Besatzung im allgemeinen lediglich die nichtjüdischen deutschen Professoren, von denen vor allem der Historiker Josef Pfitzner (Beitrag Frank Hadler/Vojtĕch Šustek) und der Jurist Wilhelm Weizsäcker (Beitrag Joachim Bahlcke) aktiv und initiativ zur theoretischen Legitimation der Besatzungspolitik beitrugen, während andere sich opportunistisch anpassten (Beitrag Martin Zückert über den Slawisten Edmund Schneeweis). Soweit sie 1945 entkamen, konnten sie überwiegend bruchlos ihre universitäre Laufbahn in der Bundesrepublik Deutschland oder in Österreich fortsetzen. Nur wenige deutsche Professoren, hier wäre vor allem der Chemiker Johann Böhm (Beitrag Dieter Hoffmann) zu nennen, fielen nicht der nationalsozialistischen Versuchung anheim und verhielten sich gegenüber ihren seit 1939 der Lehr- und weitgehend auch der Forschungsmöglichkeiten beraubten tschechischen Kollegen anständig und hilfsbereit (vergleiche Beitrag Václav Podaný über den tschechischen Chemiker Jaroslav Hejrovský und Böhm).
Ganz anders die tschechischen Professoren. Diese bewegten sich im Spannungsfeld von Überleben im Rückzug ins Private, Widerstand und Kollaboration. Viele waren als politische Gegner der Besatzer Repressalien ausgesetzt (zum Beispiel Beiträge Jindřich Dejmek über den Historiker Kamil Krofta und Petr Svobodný über den Mediziner Josef Charvát) und nicht wenige, zum Beispiel der Physiker František Záviška (Beitrag Emilie Tĕšínská) fielen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft direkt oder indirekt zum Opfer. Mit der Befreiung 1945 eröffneten sich den überlebenden Professoren zwar wieder universitäre Wirkungsmöglichkeiten, allerdings oft nur für kurze Zeit bis zur kommunistischen Machtübernahme auch an den Universitäten 1948/50. Manche, etwa der Mediziner Arnold Jirásek (Beitrag Ludmila Hlaváčková), wurden nach dem Krieg mit fragwürdigen Kollaborationsvorwürfen konfrontiert.
Aus dem zeitlichen Rahmen der personengeschichtlichen Studien fällt der Beitrag von Peter Arlt über den 1942 in Theresienstadt umgekommenen ehemaligen Rektor der Deutschen Universität, den Historiker Samuel Steinherz, heraus, was aber seine Berechtigung darin findet, dass er die Beziehungen der deutschen und der tschechischen Universität in den 1920er-Jahren erhellt und an einem Einzelschicksal die besonders gefährdete Situation der ansonsten im Sammelband unterrepräsentierten jüdischen Professoren exemplifiziert.
Neben den personengeschichtlichen Studien, die den Hauptteil des Bandes bilden, werden in einigen Beiträgen übergreifende Themen behandelt. Monika Glettler beleuchtet einleitend Möglichkeiten und Grenzen biografischer Zugänge vor dem Forschungshintergrund und in methodologischer Hinsicht, Alena Míšková untersucht die politische Reaktion und Haltung der deutschen Prager Professoren im Kontext von "München" und dem "Griff nach Prag", während Jiří Pulec und Jiřina Kalendovská in ihrem Beitrag über die Professoren der Masaryk-Universität Brünn zeigen, dass diese unter Nationalsozialisten wie später unter Kommunisten ähnliche Schicksale wie ihre Prager Kollegen erlitten. Antonín Kostlán, der die Prager Professoren als Gruppe in den Jahren 1948-1950 analysiert, und Zdenek Dittrich, der sich mit der Prager Universität in der Übergangszeit 1945-1948 befasst, erweitern den Blick auf die Nachkriegsgeschicke der Prager tschechischen Professoren über den einzelbiografischen Aspekt hinaus.
Der Sammelband bietet auf Grund der Kombination zahlreicher, wenn auch nicht für die gesamte Prager Professorenschaft im Untersuchungszeitraum repräsentativer, personengeschichtlicher Studien mit gruppengeschichtlichen Untersuchungen insgesamt manchen interessanten Einblick in das sehr uneinheitliche Geschick der deutschen, tschechischen und jüdischen Professoren der beiden Prager Universitäten unter den politisch anormalen Bedingungen einer für die Tschechoslowakei zumindest 1938-1945 existenzbedrohenden Krisenzeit. Angesichts der ertragreichen Resultate der einzelnen Untersuchungen wäre es wünschenswert, wenn durch weitere personengeschichtliche Studien eine Abrundung des Bildes der Prager Professoren als Gruppe ermöglicht würde.
René Küpper