Renate Eikelmann / Annette Schommers / Lorenz Seelig (Hgg.): Studien zur europäischen Goldschmiedekunst des 14. bis 20. Jahrhunderts. Festschrift für Helmut Seling zum 80. Geburtstag am 12. Februar 2001, München: Hirmer 2001, 415 S., ISBN 978-3-7774-9090-8, EUR 75,80
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Eine Festschrift vorzustellen bedeutet, zwei verschiedene Gesichtspunkte anzusprechen, die einander bedingen, die aber nicht deckungsgleich sind. Zum einen der Hinweis auf den Jubilar und zum anderen eine kurze Zusammenfassung der dem Jubilar gewidmeten Beiträge.
Helmut Seling, dem diese Festschrift zu seinem 80. Geburtstag überreicht wurde, hat sein Lebenswerk der Erforschung der Augsburger Goldschmiedekunst gewidmet. 1980 erschien sein dreibändiges Standardwerk "Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529-1868", und 1994 hat er diesem Werk noch einen Supplementband angefügt. Seling, der seit 1964 eine eigene, auf das Gebiet der Goldschmiedekunst spezialisierte Kunsthandlung in München führt, gelang 1980 die Sicherung des Kernbestandes des Hildesheimer Tafelservices für das Bayerische Nationalmuseum. Auch für Restaurierungen, wie zum Beispiel der Silberfiguren der Marienkapelle in Tschenstochau, einem der Hauptwerke der Augsburger Goldschmiedekunst, engagierte er sich tatkräftig. Mit der 1991 erfolgten Übergabe seines bedeutenden Archivs zur Augsburger Goldschmiedekunst an das Bayerische Nationalmuseum in München ist zudem eine Grundlage für die Weiterführung des Lebenswerkes von Helmut Seling gelegt.
Entsprechend der Verdienste von Helmut Seling ist die Mehrzahl der Beiträge der Augsburger Goldschmiedekunst des 16. bis 18. Jahrhunderts gewidmet. In einer ersten Gruppe dieser Beiträge stehen einzelne, in chronologischer Reihenfolge behandelte Werke im Zentrum der Betrachtung und in einer zweiten werden Sammlungen beschrieben, in denen sich größere Komplexe Augsburger Goldschmiedekunst erhalten haben. Den Auftakt macht ein Aufsatz von Beket Bukovinská und Lubomír Konecný über den Reichsapfel und das Szepter im Kronschatz des Sankt Veits-Doms in Prag (15-38). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Insignien wahrscheinlich für Kaiser Ferdinand I. in den Jahren 1532 bis 1534 durch den Augsburger Goldschmied Hans Haller geschaffen worden sind. Monika Fahn, die an einer Dissertation über die Augsburger Goldschmiedefamilie Lencker arbeitet, beschäftigt sich mit dem im Kunsthistorischen Museum in Wien befindlichen Relief der Anbetung des Kindes durch Engel von Christoph und Zacharias Lencker und untersucht es hinsichtlich seiner Herkunft, seinen Vorbildern und seiner Ikonographie (39-50).
Ausgehend von zwei Augsburger Humpen mit der Darstellung des trunkenen Silen nach Peter Paul Rubens im Bayerischen Nationalmuseum in München und im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe befasst sich Lorenz Seelig in seinem Beitrag mit den bildhauerischen Elementen in der Goldschmiedekunst Augsburgs, die besonders im Barock in diesem Kunstzentrum eine herausragende Rolle gespielt haben (51-74). Im Mittelpunkt von Seeligs Ausführungen steht der Goldschmied Andreas I Wickert, der eine maßgebliche Position bei der Entwicklung und Verbreitung silbergefasster Elfenbeinhumpen einnahm. Ähnlich arbeiteten auch Johann Baptist I Weinhold und Hans III Petrus, die den engen Austausch hinsichtlich bildhauerischer Ideen, verbreitet durch Gips-Modelle, unter kooperierenden und konkurrierenden Augsburger Werkstätten verdeutlichen.
Monika Bachtler behandelt zwei Pokale des Augsburger Goldschmieds Matthäus Schmidt, die 1683 mutmaßlich für Kaiser Leopold I. gearbeitet wurden, um an diesen Pokalen die politische Ikonografie als Ausdruck des Sieges über die Türken vor Wien zu untersuchen (75-88). Einen von den Städtischen Kunstsammlungen Augsburg vor kurzem neu erworbenen, um 1690 entstandenen Humpen von Johann Christoph I Treffler interpretiert Björn R. Kommer in seinem Beitrag (103-120). Wahrscheinlich ist auch dieser Humpen für Kaiser Leopold I. anlässlich des Augsburger Collegial-Tages von 1689/90 entstanden. Um das Überlieferungsschicksal von Trennung und Wiedervereinigung von zwei mit silbernen Blumensträußen verzierten Büsten von Mars und Bellona/ Minerva geht es in dem Aufsatz von Sabine Heym (89-102). Das von Abraham II Drentwett (Büsten) und Johann III Beckert (Blumensträuße) um 1680-85 gefertigte Pendant stammt aus dem Schatz der Pfälzer Wittelsbacher und ist bereits in einem Inventar der Mannheimer Schatzkammer von 1733 nachzuweisen. Aus restauratorischer Sicht beschäftigt sich Klaus Oelke mit der Oberflächenbehandlung der virtuos getriebenen Reliefs von Johann Andreas Thelott (121-130).
In einer zweiten Gruppe von fünf Aufsätzen werden größere Sammlungen vorgestellt, die umfangreiche Bestände Augsburger Goldschmiedekunst in ihren Beständen haben. Dazu gehört vorrangig die Rüstkammer des Moskauer Kremls, in der etwa 450 Werke Augsburger Goldschmiedekunst, vorwiegend aus der Zeit des Barock, verwahrt werden. Bei ihnen handelt es sich überwiegend um Gesandtschaftsgeschenke europäischer Höfe an die russischen Zaren. Die Rüstkammer des Kremls behandeln die Aufsätze von Galina A. Markowa, die silberne Kredenzen und Tafelaufsätze dieser Sammlung vorstellt (131-142) und Angella G. Kudriavtsewa, die sich dem Bestand und seiner Erforschung widmet (143-148). Jan Golonka stellt die Werke Augsburger Goldschmiede in den Sammlungen des Tschenstochauer Heiligtums vor und würdigt in diesem Zusammenhang die Verdienste von Helmut Seling bei der Erforschung des Altars der Tschenstochauer Marienkapelle (149-168).
Werke Augsburger Goldschmiedekunst gelangten durch den weiträumigen Handel der Augsburger Silberhändler auch nach Ungarn und Italien. Von ersterem berichtet István Heller (169-178), von letzterem handelt Anette Schommers. Es geht bei ihr um einen silbernen Hochaltar in der Basilica Santa Maria Assunta in Gandino (Bergamasker Alpen), der von Augsburger, Mailänder und Bozener Goldschmieden geschaffen wurde (179-192).
Neben den Werken der Augsburger Goldschmiedekunst werden in einem weiteren großen Komplex der Festschrift einzelne Aspekte europäischer Goldschmiedekunst des 14. bis 20. Jahrhunderts vorgestellt. Der Bogen der in diesem Abschnitt angesprochenen Themen reicht von den Anmerkungen zur gotischen, um 1370/80 geschaffenen Silberstatuette der 'Himmelskönigin' im Diozesanmuseum in Mantua von Erich Steingräber (193-200) bis hin zu Ausführungen über kostbare Ehrengeschenke des Historismus durch die Münchener Goldschmiedefirma F. Harrach & Sohn von Michael Koch (319-334), oder dem Aufsatz über historistische Antikennachbildungen von dem in Odessa und später in Paris tätigen Goldschmied Israel Rouchonovsky von Chaya Benjamin (335-346).
Wichtige Beiträge liefern Helmut Trnek, der sich anhand der Fragen zum Vorbesitz der Esztergomer Kalvarie Gedanken über die Anfänge des Maleremails im Dienste der Heraldik macht (201-220), und Ralf Schürer, der die Nachlassinventare zweier Nürnberger Patrizier von 1625 und 1641 hinsichtlich der in ihnen auftauchenden Bezeichnungen von verschiedenen Gefäßtypen untersucht (235-260). Weitere interessante Beiträge liefern Manfred Leithe-Jasper über einen Leuchterschaft aus der Werkstatt Wenzel Jamnitzers (221-226), und Rudolf Distelberger, der über den Einfluss spanischer Goldschmiedekunst am Wiener Hof im 16. Jahrhundert schreibt (227-234). Weiterführend auch die Forschungen von Ulrike Weinhold, die anhand eines aus der Baden-Badener Kunstkammer kommenden Scherenschleifers aus Elfenbein verschiedene Aspekte barocker Schatzkunst beschreibt (287-306). Winfried Baer zeigt die Verbindung von Goldschmiedekunst und Ämtergeschichte anhand des goldenen Schlüssels als Amtsinsignie des Erbkämmereramtes unter dem Großen Kurfürsten auf (261-276), und Ernst-Ludwig Richter befasst sich mit der Thorner Stadtgeschichte zur Zeit des Nordischen Krieges anhand von zwei gravierten Silberbechern (277-286). Es verbleiben in dieser Abteilung der Festschrift noch die Aufsätze von Marina Lopato über Gouvernements-Service der Zarin Katharina II. von Russland (307-312) und Beobachtungen von Ulli Arnold zur Änderung der Beschaumarken durch die Dresdner Goldschmiedeinnung im Jahr 1805 (313-318).
Unter dem Thema 'Goldschmiedekunst im Verhältnis zur Malerei und Graphik' wird eine vorletzte Gruppe von drei Aufsätzen zusammengefasst. Über Form und Ornament macht sich Stefan Busche in seinem Beitrag Gedanken (347-356). Er konstatiert die verschiedenen Möglichkeiten des Ornaments als additiver, untergeordneter Zierrat einerseits, als gleichberechtigt zur Form andererseits und drittens das Ornament als formbestimmender Faktor. Verschiedene Beispiele von Abbildungen der Goldschmiedekunst in der Stilllebenmalerei und ihre mögliche ikonografische Bedeutung untersucht Erik Forssman in seinem Aufsatz (357-370), und R. Bruce Livie referiert über Helmut Seling als Sammler von Handzeichnungen (371-378).
Betrachtungen über das Schrifttum der Goldschmiedekunst von Günther Schiedlausky, der einen weiten Bogen über die Veröffentlichungen der letzten zweihundert Jahre spannt (379-392), eine Biografie in ausgewählten Bildern von Helmut Seling (393-399), sein Schriftenverzeichnis (400 f.) sowie ein ausführliches Register (402-414) schließen den Band ab.
Die von Renate Eikelmann, Annette Schommers und Lorenz Seelig für das Bayerische Nationalmuseum herausgegebene Festschrift besticht durch die Qualität und Bandbreite der versammelten Beiträge sowie durch die großzügige Sorgfalt der prachtvollen Ausstattung des Bandes. Die Festschrift ist ein Musterbeispiel dessen, was Forschung an Museen - denn bei den Beiträgern der Festschrift handelt es sich in der Regel um Museumskustoden - zu leisten im Stande ist. Hier ist, unbeachtet von einer größeren Öffentlichkeit, eine den Ausstellungen durchaus adäquate Leistung erbracht worden, die es verdient, in zahlreichen Bibliotheken präsent zu sein.
Rudolf-Alexander Schütte