Hans-Joachim Raupp (Hg.): Landschaften und Seestücke (= Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts der SØR Rusche Sammlung; Bd. 3), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2001, 336 S., ISBN 978-3-8258-2238-5, EUR 24,90
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Nur selten geraten die Landschaften der niederländischen Kleinmeister ins Blickfeld der Forschung. Dabei lassen sich an ihren Arbeiten viele der für die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts typischen Entwicklungen deutlicher erkennen als an den Werken von Rubens oder Ruisdael. Die stärkere Marktabhängigkeit erzeugte bei den Kleinmeistern einen Spezialisierungsdruck, der im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einer Auffächerung der Bildgattung "Landschaft" führte. Eine Vorstellung von dem neuen, erweiterten Spektrum der niederländischen Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert vermitteln die Landschaften und Seestücke der privaten SØR Rusche-Sammlung, die im Herbst 2001 in einer Ausstellung in Paderborn gezeigt und in einem Katalog erstmals zusammenfassend dokumentiert und bearbeitet wurden.
Der Katalog, der im Rahmen eines Forschungsseminars am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn unter der Leitung von Hans-Joachim Raupp erstellt wurde und sich auf Vorarbeiten von Martina Friedrich vom Weserrenaissance-Museum Schloss Brake stützen konnte, ist das dritte Werk einer auf fünf Bände angelegten Dokumentation mit dem Titel "Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts der SØR Rusche-Sammlung". Diese wird von Hans-Joachim Raupp, Rudolf E. O. Ekkart und Ulrich Großmann in Verbindung mit dem Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie (RKD) in Den Haag und dem Zentrum für Niederlande-Studien der Universität Münster herausgegeben. Im vorliegenden Band findet der Leser die etwa 80 Landschaften und Seestücke der Sammlung Rusche, darunter Arbeiten von Jan van Goyen und Jan Porcellis, übersichtlich katalogisiert, in kurzen Beschreibungen und Analysen erläutert, mit guten, ganzseitigen Farbabbildungen zu jedem aufgeführten Werk versehen und mit einem nützlichen Apparat biobibliografischer Informationen ausgestattet.
In einer dem Katalog vorgeschalteten Einführung zeichnet Hans-Joachim Raupp die Grundzüge der niederländischen Landschaftsmalerei nach. Dabei interessieren ihn nicht nur die stilistischen und ikonographischen Muster, die Vielgestaltigkeit der dargestellten Naturphänomene, der neue Facettenreichtum in den Kompositionen und die Veränderungen der Ästhetik, des "schilderachtighen", der niederländischen Landschaft im 17. Jahrhundert. Er weist auch auf die Herausbildung "nationaler" Landschaftstypen hin, insbesondere auf die Opposition von "einheimischer" und "italienischer" Landschaft und die sozialen, kulturellen und politischen Vorstellungen, die sich in diesen unterschiedlichen Landschaftsentwürfen artikulieren.
Raupp gehört neben Reindert Falkenburg und anderen zu den neueren Autoren, die die Landschaft in der niederländischen Malerei nicht mehr vorrangig als ästhetisches Konzept, sondern vor allem als symbolische Form begreifen [1]. So diskutiert er am Schluss seiner Katalogeinführung ausführlich die sinnbildhafte, sozialmetaphorische Funktion niederländischer Landschaften, und man hätte sich gewünscht, dass diese spannende Diskussion in den Bildbeschreibungen des Katalogteils ihre Fortsetzung gefunden hätte.
Wird in den Beschreibungen der Seestücke, anknüpfend an die Forschungen von Lawrence O. Goedde [2], noch auf die gesellschaftliche und politische Metaphorik in den Bildern hingewiesen, bleibt dieser Aspekt bei den Kurzanalysen der Landschaften weitgehend unberücksichtigt. Am Beispiel von Adrian van Stalbemts "Waldlandschaft mit Tobias und dem Engel" (Katalognummer 68) hätte etwa gezeigt werden können, dass dieses Motiv in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in einem ganz spezifischen Milieu angesiedelt war, dass es vorwiegend von protestantischen Glaubensflüchtlingen der zweiten Generation (zu der auch Stalbemt gehörte) aufgegriffen wurde und vor diesem Hintergrund eine besondere soziale und religionspolitische Bedeutung besaß. Nicht von ungefähr wurde die Tobias-Reise von den Glaubensflüchtlingen in eine Waldlandschaft verlegt, den metaphorischen Ort des konfessionellen Exils im 16. und 17. Jahrhundert. Der Hinweis im Katalog, dass die Niederländer die Tobias-Geschichte als biblisches Vorbild eines bürgerlichen Familienlebens schätzten, das durch Frömmigkeit und Gottvertrauen gegen alle Gefahren geschützt ist, greift etwas zu kurz.
Bleiben in vielen der Einzelanalysen des Katalogteils Fragen nach der syntaktischen und vor allem nach der semantischen Struktur der Werke ungeklärt, so handelt es sich doch um eine gelungene Dokumentation mit einer lesenswerten Einführung zur niederländischen Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert, die mit der Fokussierung auf die bisher wenig beachteten Kleinmeister ein neues und interessantes Arbeitsfeld eröffnet.
Anmerkungen:
[1] Vergleiche Hans-Joachim Raupp: Zur Bedeutung von Thema und Symbol für die holländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg, 17 (1980), 85-110.
[2] Lawrence O. Goedde: Tempest and Shipwreck in Dutch and Flemish Art. Convention, Rhetoric, and Interpretation, London 1989.
Martin Papenbrock