Thomas Kirchner: Der epische Held. Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts, München: Wilhelm Fink 2001, 528 S., 117 s/w-Abb., 10 s/w Falttafeln, ISBN 978-3-7705-3397-8, EUR 94,80
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Kunst und Politik nicht als Opposition, sondern als ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis zu denken, fällt nach den Erfahrungen der Moderne nicht leicht. Setzte diese auf Ausdifferenzierung des sozialen Teilsystems 'Kunst' und die Autonomie künstlerischer Produktion, so sind für die Verhältnisse in der Frühen Neuzeit andere Deutungsansätze zu gewinnen, die nicht jede Nähe zwischen politischer Macht und Kunst von vornherein unter einen ästhetischen Generalverdacht nehmen.
Thomas Kirchner nimmt in seiner Untersuchung über das Verhältnis von Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts einen Zeit- und Ereignisraum in den Blick, in dem Kunstpraxis und -theorie, königliche Kunstpflege und die politischen Ambitionen einer im Inneren sich konsolidierenden und nach Außen expansiv auftretenden Monarchie derart enge Verbindungen eingingen, dass die retrospektive Anwendung des modernen Terminus 'Kunstpolitik' gerechtfertigt erscheint. Gemeint ist mit diesem Kompositum eine materielle und programmatische Steuerung der Kunstproduktion, die den Eigenwert künstlerischer Formen und die Bedeutung kunsttheoretischer Reflexion nicht nur anerkennt, sondern explizit verlangt und damit zum Träger politischer Aussagen macht. In diesem Sinne ist die Kunstpolitik der französischen Krone zwischen dem Beginn der Regentschaft Maria de' Medicis 1610 und dem Tode Colberts 1683 - dies sind die chronologischen Eckdaten von Kirchners Untersuchung - nicht bloß durch eine quantitative Zunahme der materiellen Förderung und eine Systematisierung ihrer Maßnahmen gekennzeichnet, sondern vor allem durch die Genese eines 'Willens zur Kunst' - einer Kunst, die sich nunmehr auf der Höhe eines dezidiert ästhetischen Anspruchsniveaus zeigen musste, wenn sie politisch wirksam sein wollte.
Diese Verlagerung vom 'Was' der Inhalte zum 'Wie' der künstlerischen Form stellte die Themen und Gattungen der Hofkunst nicht dem beliebigen Gebrauch anheim, doch gewann die Reflexion über den Eigenwert bildkünstlerischer Kategorien eine Bedeutung, die auch im politischen Raum nicht länger ignoriert werden konnte. Umgekehrt, so der zweite Teil von Kirchners Grundthese, habe die massive Inanspruchnahme der Künste für die politische Repräsentation, Künstler und Theoretiker gleichermaßen zu einer präziseren Bestimmung der gattungsgemäßen Besonderheiten, allen voran des Tafelbildes, im Verbund der Hofkünste genötigt: nicht nur waren die verschiedenen Bildaufgaben (Porträt, Historienbild, Allegorie) in ihren jeweiligen Sinnpotenzialen und Formgefügen zu differenzieren, auch das Verhältnis der Bildkünste zu den diversen, im Umfeld des Herrschers gepflegten literarischen Genera (Panegyrik, Historiographie, Epos) war vor dem Hintergrund konkurrierender Konzepte zwischen dem historisch 'Wahren' und dem ästhetisch 'Wahrscheinlichen' in einem steten Prozess von Analogiebildung und Abgrenzung genauer zu fassen.
Kirchners Studie begibt sich damit auf ein nicht nur von der französischen Kunsthistoriographie längst als 'klassisch' markiertes Feld, es werden notwendigerweise auch Themenkreise eingearbeitet, die ihrerseits wiederum auf eine eindrucksvolle Forschungstradition (und Literaturfülle !) zurückblicken können: die Genese des neuzeitlichen Historienbildes, die Akademisierung der künstlerischen Profession und des kunsttheoretischen Diskurses sowie die bildende Kunst, Literatur und Politik gleichermaßen überspannende querelle des anciens et des modernes. Angesichts dieser thematischen Vielschichtigkeit den Argumentationsgang nicht durch beständiges Ausweichen auf Seitenlinien zu gefährden, erforderte eine sorgsame Strukturierung des Materials. Kirchner hat sich für eine strukturelle Koppelung aus diachronen und synchronen Elementen entschieden, die übersichtlich auf drei Großkapitel, umschlossen von einer Einleitung und einem Epilog, verteilt werden.
Gemäß dieser Gliederung gewinnt das Konzept 'Kunstpolitik' seine Konturen in der Auseinandersetzung mit den Prozesskategorien Geschichte, Kunst und Zeitgeschichte. Diese Abfolge beschreibt zugleich die sukzessive Ausbildung einer Interessenkongruenz von Kunst und Politik sowie ihr abermaliges graduelles Auseinanderdriften. In dieser tangentialen Bewegungskurve durchliefen die jeweiligen Orte der höfischen Repräsentation, die damit korrespondierenden Gattungen und Bildsprachen nicht nur eine tief greifende Transformation (dargestellt im ersten Kapitel am Wandel der Galerie vom genealogischen Erinnerungsort zum Imaginationsraum geschichtswirksamen Handelns), sondern die graduelle Annäherung von Kunst und Politik schuf sich auf dem Höhepunkt ihrer Interessenkongruenz in der Akademie schließlich ihren eigenen Ort. Im 1660 begonnenen epischen Alexander-Zyklus Charles Le Bruns kamen der politischer Anspruch des Monarchen, die kunst- und gattungstheoretisch reflektierte Bildform der Historia sowie die sozialen Aspirationen der Historienmaler in einem labilen Gleichgewicht kurzfristig zur Deckung (dieser Entwicklung ist das zweite, umfangreichste Kapitel gewidmet). Das letzte Kapitel nimmt die zentrifugalen Kräfte in den Blick, die dieses Gleichgewicht wieder auflösen. Die Raumausstattungen von Versailles, die ab 1674 zum wichtigsten Projekt monarchischer Kunstpolitik aufrückten, erforderten nicht nur die abermalige Eingliederung des Bildes in das Ensemble der Dekoration, das Darstellungsregister selbst war tief greifenden Wandlungen unterworfen. Das Ideologem der 'Faktizität' löste nun die antikisch überhöhte epische Narration ab. Kaum mehr zu vereinigende Asymmetrien bestimmten von nun an das Bild; die höfische Repräsentation schaltete an zentraler Stelle von einer Rhetorik der Magnifizenz auf die Persuasion zeithistorischer 'Augenzeugenschaft' um (wie in den Schlachtenbildern Frans van der Meulens) und stellte sich damit in einen offenen Gegensatz zum poetiklastigen Kunstdiskurs der 'grande manière', den die Akademie nicht nur nach Außen zu vertreten, sondern in ihrem hierarchischen Aufbau gleichsam auch verinnerlicht hatte.
Was sich einerseits als ein Prozess der Desintegration liest, stellt sich andererseits jedoch auch als Ausdifferenzierung bildkünstlerischer, literarischer und institutioneller Felder dar, die ihre Konturen in wechselseitiger Abgrenzung voneinander schärften. Kirchner argumentiert, dass die französische Kunstpolitik zwischen Richelieu und Colbert diesen Prozess der Ausdifferenzierung weder überdeckt noch gehemmt, sondern erst eigentlich hervorgetrieben habe.
Die Studie wird von einem erkennbaren Willen zur Synthese getragen, die hinter der Fülle von Quellen, Werkgruppen und Akteuren große Entwicklungslinien kenntlich machen will. Diesen Anspruch wird man bei der Lektüre des Buches durchaus eingelöst finden. Zahlreiche Einzelbeobachtungen und -analysen behalten auch dann ihren Wert, wenn man gegenüber der heuristischen Kategorie der 'Kunstpolitik' skeptisch bleibt. Von einem totalisierenden, gar emphatisch besetzten Kollektivsingular 'Kunst' sind wir im 17. Jahrhundert noch weit entfernt; es sind einzelne Gattungen und Gestaltungsaufgaben, die nach den Regeln des Dekorum aufeinander abgestimmt und analog zum Gesellschaftsaufbau stratifiziert wurden. Die Engführung des Kunstbegriffs auf den Bildtypus des episch-narrativen Figurenbildes bringt den Autor daher ein ums andere Mal in definitorische Schwierigkeiten, weil die Charakterisierung der anderen Bildaufgaben und -gattungen im Kontext höfischer Repräsentation dann nur noch ex negativo erfolgen kann. Jacques Fouquières geplante Städteansichten für die Grande Galerie des Louvre müssen mithin als "künstlerisch unspektakulär" (162) eingestuft werden; selbst eine "dezidiert anti-künstlerisch ausgerichtete Kunstpolitik" (135), die erst unter Richelieu langsam ihre Gültigkeit verloren habe, scheint nach Maßgabe dieses teleologischen Kunstbegriffs konstruierbar.
'Bildpolitik' wäre mithin der präzisere Begriff für den Untersuchungsgegenstand der Studie gewesen, wobei die hier beschriebene sukzessive Integration des theoretisch voraussetzungsreichen ästhetischen Bildes in das System höfischer Repräsentation wiederum nur einen Teilaspekt dieser 'Bildpolitik' abdeckt. Liest man die Studie nicht, wie vom Autor deklariert, als "Vorgeschichte einer um ihre Autonomie ringenden Kunst" (15, 464), sondern als Beitrag zur Rekonstruktion heteronomer, miteinander konkurrierender Bildverständnisse in der Frühen Neuzeit, erhöht sich der Ertrag der Lektüre beträchtlich.
Joachim Rees