Julius H. Schoeps / Hiltrud Wallenborn (Hgg.): Juden in Europa. Ihre Geschichte in Quellen. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum späten Mittelalter, Darmstadt: Primus Verlag 2001, 309 S., ISBN 978-3-89678-402-5, EUR 39,90
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Steffen Höhne / Anna-Dorothea Ludewig / Julius H. Schoeps (Hgg.): Max Brod (1884-1968). Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016
Hiltrud Wallenborn: Bekehrungseifer, Judenangst und Handelsinteresse. Amsterdam, Hamburg und London als Ziele sefardischer Migration im 17. Jahrhundert, Hildesheim: Olms 2003
Julius H. Schoeps: Im Kampf um die Freiheit. Preußens Juden im Vormärz und in der Revolution von 1848, Hamburg: EVA Europäische Verlagsanstalt 2022
Dieser Band ist der erste einer auf fünf Bände angelegten Reihe, die das ambitionierte Projekt verfolgt, die Geschichte der Juden in Europa in einer Quellenauswahl darzustellen, und zwar so, "daß die ausgewählten Texte auch für Leser ohne spezielle Vorkenntnisse verständlich sind" (VII).
Um dies zu erreichen, werden alle 140 Quellen beziehungsweise Quellenauszüge in deutscher Übersetzung vorgelegt, wobei zum Teil vorhandene Übersetzungen verwendet, zum Teil eigene erstellt wurden. An Stelle einer ausführlichen Kommentierung der einzelnen Quellen ist der Sammlung eine dreißigseitige Einleitung von Hiltrud Wallenborn vorangestellt, die die Geschichtskonzeption der Herausgeber sowie die ihr folgende Anordnung der Texte erläutert und auch einige literaturhistorische Grundinformationen enthält.
Der Band gliedert sich in drei Teile, die wiederum zahlreiche Unterpunkte enthalten: I. Die Anfänge des europäischen Judentums, II. Die Juden in Mittel- und Westeuropa bis 1350, III. Die Juden auf der iberischen Halbinsel bis zur Ausweisung von 1492.
Um die Grundlage für die späteren Abschnitte (und weiteren Bände) zu schaffen, gehen die Herausgeber im ersten Abschnitt zurück bis in biblische Zeiten und gelangen in 43 Texten von der Einsetzung der Beschneidung (Genesis 17, 1-22) bis zum Judenbild in Augustinus' "De civitate Dei". Diese extreme Knappheit mag im Hinblick auf eine Epoche, die die Entstehungszeit der gesamten religiösen Überlieferung umfasst, bedauerlich erscheinen, ist aber verständlich angesichts der Tatsache, dass es sich hier im Wesentlichen um die "Vorgeschichte" dessen handelt, was das eigentliche Thema des Bandes ist: der Geschichte der Juden in Europa.
Diese steht im Mittelpunkt der folgenden beiden Abschnitte, die der Geschichte des aschkenasischen Judentums bis zu den Pestverfolgungen (1350) und des sefardischen bis zur Vertreibung aus Spanien (1492) gewidmet sind. Ob die Wahl zweier unterschiedlicher zeitlicher Endpunkte eine glückliche ist, scheint allerdings zweifelhaft, da hier notwendig ein Eindruck von Ungleichzeitigkeit und damit Unvergleichbarkeit von jüdischer Geschichte in verschiedenen Teilen Europas entsteht, der in dieser Form sicher nicht zutreffend ist.
Die Binnengliederung der einzelnen Abschnitte ist unterschiedlich, sie erfolgt teilweise nach thematischen, teilweise nach territorialen Gesichtspunkten, deren Gewichtung erheblich variiert. Insgesamt wirken die thematischen Unterabschnitte (über religiöse und geistige Strömungen, Kontakte zur christlichen Umwelt, kirchliches und weltliches Judenrecht, antijüdische Polemik, Verfolgungen et cetera) überzeugender als die territorialen, da sich beispielsweise unter dem Titel "Polen" nur zwei Quellen finden, die auch noch aus dem selben Jahrzehnt datieren. Die ebenfalls recht kurzen Abschnitte über England und Frankreich enden mit Berichten über die Vertreibung der Juden aus diesen Ländern, die jedoch beide von sefardischen Autoren des 16. Jahrhunderts stammen. Weder Emek ha-bacha (Tal der Tränen) von Josef ha-Cohen noch die Trostschrift des Samuel Usque sind historische Schriften im eigentlichen Sinne; im Mittelpunkt steht das Memorial der Leiden und Nöte Israels, nicht die exakte Schilderung von Ereignissen des 13. beziehungsweise 14. Jahrhunderts, weshalb sie als Quellen zu den Vertreibungen unergiebig sind. Besser untergebracht wären sie in einem Abschnitt zu jüdischem Memorial und Geschichtsbild, der aber nicht vorhanden ist.
Über solcher Kritik im Detail soll im Übrigen keineswegs die Schwierigkeit der Aufgabe, die die Herausgeber gerade mit diesem ersten Band zu bewältigen hatten, vergessen werden, denn ein umfassendes Bild jüdischen Lebens in einem Zeitraum von immerhin etwa 2000 Jahren anhand von 140 Quellen zu zeichnen, ist nahezu unmöglich. Bei den folgenden Bänden, die kürzere Zeitabschnitte behandeln werden, dürfte dieses Problem weitaus geringer sein. Neben der Auswahl der Quellen liegt eine weitere grundsätzliche Schwierigkeit in ihrem Zuschnitt, da prägnante kurze Texte eher selten sind und daher schon aus Platzgründen Ausschnitte ausgewählt oder Kürzungen vorgenommen werden müssen. Dabei kann es dann etwa geschehen, dass aus dem Sachsenspiegel-Landrecht nur die judenrechtlich relevanten Abschnitte des dritten Buches zitiert werden, in denen die Aufnahme der Juden in den Königsfrieden auf ein sagenhaftes Ereignis (die Josephus-Legende) zurückgeführt wird, während ihre tatsächliche Verankerung in diesem wichtigen Rechtsinstitut im zweiten Buch (§ 66,1) weggelassen ist.
Zum Konzept der Reihe gehört - wie gesagt - der Verzicht auf weitergehende Kommentare zu den einzelnen Quellen. Die knappen Anmerkungen enthalten allenfalls Lebensdaten erwähnter Personen und einige Worterklärungen, ein dreiseitiges Glossar vorkommender hebräischer Worte findet sich im Anhang vor dem Quellenverzeichnis und einer kurzen Literaturauswahl. Gelegentlich wären allerdings einige erläuternde Worte hilfreich gewesen: So bleibt zum Beispiel ungeklärt, wie es möglich ist, dass in den Takkanot des 1028 verstorbenen Gerschon ben Jehuda aus Mainz unter anderem der erst um 1100 geborene Gelehrte Rabbenu Tam zitiert wird. Auch die Verwendung der Bibelübersetzung von Buber-Rosenzweig hätte einen kurzen Kommentar zu Bedeutung und Charakteristika dieses Werkes gerechtfertigt, das dem anvisierten "Leser ohne spezielle Vorkenntnisse" möglicherweise fremd erscheinen wird. Für die weiteren Bände wäre vielleicht zu überlegen, ob das Prinzip der Kommentarlosigkeit nicht an einigen Stellen durchbrochen werden sollte, um der genannten Lesergruppe etwas mehr Hilfestellung im Umgang mit ungewohnten Quellengattungen zu geben.
Wolfgang Treue