Walther K. Lang: Grausame Bilder. Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano, 2001, 380 S., 12 Farb-, 75 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01240-5, EUR 47,00
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Schon der "blutrote" Einband des Buches mit Details dreier Gemälde von Jusepe de Ribera, Francesco Guarino und Andrea Vaccaro lenkt den Blick des Lesers in eine bestimmte Richtung: Die geschundene Haut (des heiligen Bartholomäus), die abgeschnittenen Brüste (der heiligen Agathe) und das abgeschlagene Haupt (Goliaths). Blättert man dann die Seiten durch, so begegnen auf 12 Farbtafeln und 75 Schwarz-Weiß-Abbildungen teilweise Bilder, die einem "feinsinnigen Kunsthistorikergemüt" schnell einen Schlag in die Magengrube versetzen könnten. Die bisweilen reißerischen Kapitelüberschriften ("Das Schwert in der Gurgel", "Der blutende Rumpf") tun ein übriges.
Dieser Effekt scheint allerdings durchaus gewollt. Walther K. Langs Buch appelliert ganz bewusst an unser Unterbewusstsein. Ausgehend von den Theorien der Psychoanalyse wendet sich das Buch explizit an die Kunsthistorikerzunft (oder gegen sie?) mit dem Ziel, das Phänomen des Sadismus in der Kunst am Beispiel der neapolitanischen Malerei des Seicento zu erklären. Die Wahl dieser Kunstregion deckt sich dabei wohl nicht zufällig mit landläufigen Vorstellungen der Kunst dieser Stadt als besonders gewaltsam. Dennoch betont Lang zu Recht: "Weder die naturalistischen Kunsttendenzen noch die hier zur Erörterung anstehende Faszination der Grausamkeit sind ein typisch neapolitanisches Phänomen. Gerade bei der Ausrichtung auf einen lokalen Schwerpunkt gilt es den Anschein zu vermeiden, die zu grausamen Effekten neigenden Darstellungen körperlicher Gewalt wären ohne Parallele im übrigen Italien. Dem ist nicht so." (59)
Den Auftakt machen Ausführungen zu verschiedenen Ansätzen der Psychoanalyse zum Thema Grausamkeit. Gerade für den Kunsthistoriker ist dies sehr aufschlussreich. Allerdings vermeidet Lang eine Wertung, so dass der "Nicht-Psychoanalytiker" leicht den Eindruck gewinnen kann, die unterschiedlichen Theorieansätze existierten scheinbar "friedlich" nebeneinander: Sigmund Freuds Todestrieb-Theorie, Alfred Adlers Annahme eines eigenen Aggressionstriebes oder Wilhelm Stekel, der den Hass geradezu als Motor aller Dinge ansieht, um nur einige zu nennen. Eine erste Ratlosigkeit macht sich breit. Nach einem Überblick über die politische Situation Neapels im 17. Jahrhundert - unter besonderer Berücksichtigung der öffentlichen Gewalt (vor allem den Hinrichtungen) - und einer Vorstellung der wichtigsten Künstler, die in der Stadt tätig waren, folgt ein Kapitel über die Grausamkeit als literarischer Topos (zum Beispiel "donna crudele"), das man mit großem Gewinn liest.
Bei der Lektüre der sich anschließenden Kapitel - dem Hauptteil der am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin angenommenen Habilitationsschrift - drängt sich jedoch immer mehr die Frage auf, ob die hier gewählte psychoanalytische Sichtweise wirklich den Gemälden gerecht wird, ja gerecht werden kann. In drei großen Abschnitten widmet Lang sich der Gewalt "Frau gegen Mann" (beziehungsweise "Ephebe gegen Mann"), "Mann gegen Frau" und schließlich "Mann gegen Mann", so dass bewusst eine Geschlechterdifferenzierung vorgenommen und eine erotische Motivation für den Sadismus unterstellt wird. Da es um solcherart übergeordnete Gewaltphänomene geht, werden Gemälde unterschiedlicher ikonographischer Traditionen miteinander verglichen. So setzt Lang Darstellungen der "Judith und Holophernes" denjenigen der "Enthauptung Johannes des Täufers" oder "David schlägt das Haupt des Goliath ab" gegenüber, um quasi ein psychologisches Grundmuster herauszufiltern. Zwar wird in allen drei Geschichten ein Mann enthauptet, die Motivation ist allerdings unterschiedlich. Dementsprechend differenziert formulieren es auch die Künstler. Dass es hierbei dennoch zu motivischen Annäherungen der unterschiedlichen Themen kam, ist so erstaunlich nicht. So irrt Lang etwa, wenn er das Motiv der Enthauptung Goliaths durch David, wie es etwa Jusepe de Riberas Zeichnung (New York, Privatsammlung) zeigt, sich nicht ohne Caravaggios frühere "Judith" (Rom, Palazzo Barberini) erklären kann. Lange vorher findet sich eine vergleichbare Darstellung etwa an Michelangelos prominenter "Sixtinischer Decke". Ein genauerer Blick auf ikonographische Vorbilder lässt manche These etwas vorschnell erscheinen. In vielen Fällen können zum Beispiel Prototypen in der altdeutschen Malerei beziehungsweise Druckgrafik nachgewiesen werden, die ihrerseits Motive der niederländischen Kunst aufnehmen. Das "Martyrium des hl. Bartholomäus" wird beispielsweise bereits von Stefan Lochner (Frankfurt) und Martin Schaffner (Ulm) in aller Deutlichkeit geschildert. Dort findet sich auch das Motiv des Schergen, der sein Messer zwischen die Zähne geklemmt hat.
Einmal mehr darf das Werk Jusepe de Riberas als Beispiel für bisweilen erstaunliche Interpretationen dienen. Es verwundert kaum, dass Riberas angeblich beliebtestes Thema, das "Martyrium des hl. Bartholomäus" eine zentrale Rolle in Langs Buch spielt. Er nennt es "geradezu ein Leitmotiv" des Künstlers (235). Ein kritischer Blick auf die erhaltenen Gemälde zeigt allerdings, dass von den 19 von Lang genannten Gemälden (plus vier unsicherer Zuschreibung) lediglich sieben als eigenhändig anzusehen sind. Die übrigen sind mehr oder weniger gekonnte Repliken oder Kopien. Es handelt sich also vielmehr um ein Leitmotiv der Ribera-Nachfolge. Lang erkennt zwar richtig, dass der überwiegende Teil dieser Werke Riberas für Privatsammler entstand - implizit erteilt er damit der Vorstellung einer öffentlichen Wirkung der Bilder Riberas im Sinne einer machtpolitischen Demonstration von Gewalt, wie dies wiederholt behauptet wurde, eine klare Absage - doch vermögen die aus der privaten Auftraggeberschaft gezogenen Schlüsse auch nicht zu überzeugen. Insbesondere die Annahme, der Auftraggeber könne sich in dem Werk für einige Zeit mit dem Schergen identifizieren, der dem Heiligen die Haut abzieht, und somit seine sadistischen Züge ausleben, entbehrt der historischen Grundlage.
Hier zeigen sich deutlich die Grenzen des psychoanalytischen Ansatzes. Allein von den Gemälden auszugehen, ohne die Persönlichkeit der Auftraggeber zu untersuchen, führt zwangsläufig zu einseitigen Interpretationen. Wenn tatsächlich ein derartiger sadistischer Trieb des Auftraggebers ausschlaggebend für den Erwerb des Gemäldes gewesen sein sollte, so wären etwa Marcantonio Doria, Cosimo II. Medici und viele andere mehr, die solche Gemälde besaßen, gekennzeichnet durch eine solche psychische Prädisposition. Zwar kann man kaum erwarten, dass zeitgenössische Quellen über die Persönlichkeitsstruktur dieser Männer berichten, dennoch wären ihre Sammlungen als Ganzes in den Blick zu nehmen, um eine solche Annahme zu untermauern. Dies bleibt jedoch aus.
Der spanische Vizekönig von Neapel, Pedro Téllez Girón, Herzog von Osuna, wäre eine andere interessante Figur, die eine eingehende Studie wert wäre. Doch auch hier erfährt der Leser nur die immer wieder angeführte Geschichte der öffentlichen Aufstellung eines Gemäldes Riberas (mit der Darstellung des Martyriums des heiligen Bartholomäus), die zur Anstellung als Hofmaler durch den Herzog geführt haben soll.
Dass Ribera in seinen Gemälden das Thema durchaus unterschiedlich gewichtet, übersieht Lang allerdings. Keineswegs verfolgen die Darstellungen stets dasselbe Grundmuster, sondern der Künstler steigert die psychologische Wirkung seiner Bilder zunehmend, indem er einerseits die Darstellung weniger drastisch gestaltet, andererseits bisweilen den Moment, just bevor der Scherge das Messer ansetzen wird, darstellt (man vergleiche etwa das Gemälde in Osuna, um 1616, mit dem Bild im Palazzo Pitti, um 1628). Es dürfte gerade diese Dramatisierung des Geschehens gewesen sein, die den Auftraggebern gefiel und sie dazu führte, hohe Preise für Riberas Gemälde zu bezahlen.
Nach der Lektüre bleibt deshalb ein zwiespältiger Eindruck. Teilweise gelingen Lang ganz verblüffende Einsichten zu den Gemälden gewaltsamer Thematik, so etwa die Assoziation der "donna crudele" mit der Figur der "Judith". Auch die Beziehung von Darstellungen "David mit dem Haupt des Goliath" zu Bildern, die den neapolitanischen Volksaufstand von 1647 thematisieren (Domenico Gargiulo), werden gut heraus gearbeitet. Teilweise scheint der Autor, geleitet von der Einfühlung in die Darstellung, jedoch über das Ziel hinauszuschießen. Gegen Ende der Untersuchung heißt es vielleicht nicht ohne Grund: "Nach Abklingen der Emotionen kann jedoch die Betrachtung von neuem wieder aufgenommen werden." (254).
Justus Lange