Ekkehard Mai / Kurt Wettengl (Hgg.): Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, Katalog erschienen aus Anlass der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst München (1. Februar bis 5. Mai 2002) und im Wallraf-Richartz-Museum - Fondation Corboud, Köln (25. Mai bis 25. August 2002), Wolfratshausen: Edition Minerva 2002, 472 S., 200 Farb-, 200 s/w-Abb., ISBN 978-3-932353-58-1, EUR 72,00
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Nicht nur der Laie wird seine Schwierigkeiten gehabt haben, Konzept und These dieser umfangreichen Ausstellung zu ergründen. Der "Wettstreit der Künste", der in diesem Jahr erst im Münchener Haus der Kunst, dann im Wallraf-Richartz-Museum in Köln inszeniert worden war, bot den Besucherinnen und Besuchern wenig Gelegenheit, den angekündigten Disput der Medien mit eigenen Augen nachzuvollziehen. Die Malerei und die grafischen Künste dominierten überdeutlich. Die Skulptur hingegen war nur mit verschwindend wenigen Exponaten vertreten. Zumindest auf ausstellungstechnischer Ebene schien somit die Siegerin festzustehen. Um so augenfälliger wurden die überragenden Möglichkeiten der Malerei, den Wettstreit - sowohl mit der Skulptur als auch mit der Wirklichkeit - selbstreflexiv ins Bild zu setzen.
Die Probleme der Ausstellung, die den Kuratoren offenbar bewusst waren, kann der begleitende Katalog naturgemäß nicht beheben. Die in jeder Hinsicht ansprechende, reich und hochwertig bebilderte Publikation ermöglicht aber eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema und seinen zahlreichen Einzelaspekten. Auch wegen der mehrere hundert Titel umfassenden Bibliografie im Anhang, die den aktuellen Stand der einschlägigen Forschung dokumentiert, wird "Wettstreit der Künste" zu einem vielfach konsultierten Referenzwerk avancieren.
Der Aufbau des material- und kenntnisreichen Katalogteils mit insgesamt 214 Nummern entspricht den vier thematischen Blöcken der Ausstellung. Das erste Kapitel ist "antiken und christlichen Mythen", also den maßgeblichen Bezugspunkten künstlerischen Selbstbewussteins in der (Frühen) Neuzeit gewidmet. Hier geht es um Darstellungen der Schutzgötter Merkur und Minerva, der antiken Künstlerheroen Apelles und Zeuxis sowie des malenden Evangelisten Lukas. Dem Wettstreit zwischen Malerei und Skulptur und seiner Inszenierung durch die Künstler des 16. und vor allem des 17. Jahrhunderts gilt das zweite Kapitel. Vorgestellt werden einerseits Varianten von Pictura- und Sculptura- Allegorien, andererseits Einzelwerke, deren grenzenüberschreitende Virtuosität den Gattungsvergleich formuliert und herausfordert. Der dritte Themenblock behandelt "Künstler, Sammler und die Ihren" und setzt entsprechend den Schwerpunkt im 17. Jahrhundert. Die zahlreichen Darstellungen von Atelier, Akademie und Galerie, von Künstlern, Kunstliebhabern und Sammlern verweisen auf den sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Kontext, dem der künstlerische Wettstreit um Anerkennung und Vorrangstellung immer eingeschrieben war. Im vierten Kapitel schließlich wird die "Wiederentdeckung der Antike im 18. Jahrhundert" in den Blick genommen. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Pygmalion-Mythos und die in Wort und Bild nun merklich differenzierte Perzeption der antiken Plastik sind die wesentlichen Themen.
Dem Katalogteil gehen zwölf wissenschaftliche Aufsätze voraus. Sie gelten unterschiedlichen Aspekten des "Wettstreits" und haben in der Regel einführenden Charakter. Die ersten drei Beiträge sind recht allgemein gehalten. Victor I. Stoichita fragt nach dem "Anteil des bildnerischen Denkens an der Entstehung des modernen Subjekts" (11) und findet in Maerten van Heemskercks "Landschaft mit der Entführung der Helena" (1535/36) ein besonders markantes Beispiel für das "Nachdenken der Kunst über sich selbst" (11). Während Peter Springer in seinem spannenden Beitrag die historische Bandbreite künstlerischer Memorialfürsorge darlegt, skizziert Andreas Büttner die "medialen Möglichkeiten der Plastik" (39) vom späten Mittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert - wohl auch, um den faktischen Mangel einschlägiger Exponate durch die schriftliche Reverenz ein wenig auszugleichen.
Die folgenden acht Aufsätze korrespondieren mit den ausgestellten Themenblöcken. So schildern Anne-Marie Lecoq und Jochen Sander, jeweils in hervorragenden Überblicksartikeln, die Bedeutung der antiken und der christlichen Mythen für das künstlerische Selbstverständnis seit dem späten Mittelalter. Sehr zu bedauern ist hier, dass die bibliografischen Kurzangaben zum Text von Lecoq im abschließenden Literaturverzeichnis nicht aufgeschlüsselt zu finden sind. Den gegebenen Hinweisen kann somit nicht ohne weiteres nachgegangen werden.
Hervorzuheben ist der Beitrag von Rudolf Preimesberger. Er gilt dem römischen Bankier und Kunstsammler Vincenzo Giustiniani (1564-1637). Dessen vitalisierende Liebesbeziehung zu seiner Sammlung, so der Autor, fand in Angelo Carosellis heute verschollener Darstellung des Pygmalion-Mythos ihren bildlichen Ausdruck. Erst die Rekonstruktion des ursprünglichen Sammlungszusammenhangs ermöglicht die Deutung des Gemäldes als anspruchsvolles Schlüsselwerk einer den Kunstliebhaber zelebrierenden Repräsentationskultur.
Neben der prägnanten Darstellung des "Paragone in der italienischen Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts" (83; Christiane J. Hessler) sowie den luziden Beiträgen zu einer "Typologie der Künstlerdarstellung" (111; Ekkehard Mai) und zum Bildtypus der gemalten Kunstkammer (Kurt Wettengl) besticht insbesondere der profunde Aufsatz von Joachim Rees. Er schildert die Rezeption von zwei berühmten Statuen der Antike, des Laokoon und des Apoll vom Belvedere, im Verlauf des 18. Jahrhunderts, und kann hieran die sich abzeichnende Ausdifferenzierung zum Teil erheblich divergierender Wissens- und Erkenntnisansprüche aufzeigen. So war es gerade die Körperlichkeit der Figuren, die zu idealisierender Verklärung einerseits, zu Zerstörung durch sezierende Nahsicht andererseits herausforderte.
Der abschließende Beitrag von Christoph Zuschlag erweitert den durch die Ausstellung abgesteckten Zeitrahmen, indem er die Virulenz des Themas auch für die Kunst der Moderne und der Gegenwart aufzeigt. Zwar spielt bei der "Kunst über Kunst im 20. Jahrhundert" (171) der klassische Wettstreit der Künste untereinander kaum mehr eine Rolle. Doch bleibt das Selbstreferentielle und Selbstreflexive ein nach wie vor bedeutendes Moment künstlerischer Praxis. Wie Zuschlag überzeugend aufzeigt, machte sich um 1960 eine qualitative Veränderung bemerkbar, der als ein Wandel vom "Kunstzitat zur Metakunst" (171) bezeichnet werden kann. Der Autor stellt mehrere Aspekte dieser, in Anlehnung an Stoichitas Begriff der "Metamalerei" betitelten "Metakunst" vor, als deren herausragendes Merkmal der betont kritische Umgang mit dem Betriebssystem Kunst und seinen konventionellen Topoi zu gelten hat.
Mit "Wettstreit der Künste" liegt nicht nur ein gut recherchierter und vorzüglich gestalteter Ausstellungskatalog, sondern auch eine breit gefächerte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der angesprochenen Thematik vor. Umso mehr ärgert und erstaunt die Tatsache, dass, mit Ausnahme einiger Überlegungen Christoph Zuschlags, die geschlechtergeschichtliche Perspektive gänzlich außer Acht gelassen wurde. Zwar ist wiederholt, und gerade beim Paragone, vom Bild der idealschönen Frau als Exempel und von der Bedeutung der Liebe für die Inspiration des dezidiert männlichen Künstlers die Rede. Doch wäre dieses auf konventionellen Vorstellungen von Geschlechterdifferenz basierende Sich-Verständigen über die Kunst, ihren Gegenstand und ihre Entstehung eine kritische Diskussion durchaus wert gewesen. So wurde eine Chance vertan, den vermittels Wort und Bild geführten Spezialdiskurs über die bildenden Künste noch umfassender auch hinsichtlich seiner Interdependenzen mit anderen Aspekten gesellschaftlicher Realität in der Frühen Neuzeit zu beschreiben.
Sigrid Ruby