Martin Papenheim: Karrieren in der Kirche. Bischöfe in Nord- und Süditalien 1676-1903 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 93), Tübingen: Niemeyer 2001, XIII + 435 S., 1 Karte, ISBN 978-3-484-82093-7, EUR 66,00
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Dass jede Karriere von Auswahlprozessen begleitet ist, scheint geradezu eine Binsenweisheit zu sein. Die Selektionskriterien und -mechanismen sind allerdings im Laufe der Zeit einem starken Wandel unterworfen. Während im heutigen Selbstverständnis (theoretisch) in agonaler Weise der nach Qualifikation, Ausbildung, Erfahrung und Eignung beste Kandidat für eine Position ausgemacht wird, waren in der Frühen Neuzeit ganz andere Kriterien ausschlaggebend. Der geeignetste Bewerber für ein Amt oder einen Posten war seinerzeit jener, der die engste Verflechtung mit der vergebenden Person oder Institution besaß. Persönliche Beziehungen, die auf Verwandtschaft, Freundschaft, Landsmannschaft oder Klientelzugehörigkeit gründeten, hatten eine maßgebende Bedeutung, hinter die fachliche Qualifikationen zurücktraten.
Dieses personale Beziehungsgeflecht, das im gegenwärtigen offiziellen Diskurs zum lediglich die Kräfte stärkenden "Vitamin B" verkommenen ist, war in der Frühen Neuzeit der Humus, auf dem Karrieren prächtig gedeihen konnten. Dass dieses Substrat in den letzten Jahrhunderten gleichsam austrocknete und heute nur noch in Pillenform heimlich appliziert wird, hat seine maßgebliche Ursache in der fortschreitenden Professionalisierung und Bürokratisierung der Verwaltung, die ein einheitliches, normiertes und bürokratisches Verfahren zur Stellenvergabe möglich und notwendig gemacht hat. Der deutlich festzustellende Wandel der politischen Kultur ist allerdings kein vollständiger: Insbesondere Spitzenpositionen von Hierarchien werden auch heutzutage oft nach verflechtungsrelevanten Gesichtspunkten und weniger nach fachlicher Qualifikation vergeben. Das Verhältnis von Verflechtung und Bürokratisierung ist somit kein eindeutiges, sie stellen keine sich einander per definitionem ausschließenden oder im historischen "Fortschritt" ablösenden Selektionsverfahren dar.
Dieses komplexe Wechselverhältnis auszuloten, hat sich Martin Papenheim zum Ziel gesetzt. Mit seiner Fallstudie über Bischofskarrieren in der italienischen Kirche der Neuzeit legt er ein wichtiges Buch über die Nachwuchsrekrutierung von (kirchlichem) Führungspersonal zwischen gesellschaftlicher Verflechtung und bürokratischer Selektion vor. Indem er gleichermaßen die kirchlichen und staatlichen Organe, die die Bischöfe auswählten und ernannten, sowie die (soziale) Herkunft, Karrieren und Vernetzungen der Bischöfe untersucht, geht Papenheim in einem doppelten Blickwinkel der Frage "Wie wird man Bischof?" nach. Diese Verbindung von Politik-, Institutionen- und Sozialgeschichte der katholischen Kirche in mikropolitischer Fragestellung erweist sich insgesamt als sehr ertragreich.
Die Arbeit ist in zwei tendenziell in sich geschlossene Teile gegliedert. Gegenstand des ersten, knapp 200 Seiten starken Teils ("Die Auswahl der Bischöfe") sind die juristischen und normativen Anforderungen an die Bischöfe sowie die Institutionen und Verfahrensweisen zur ihrer Auswahl im Spannungsfeld von Kirche und Staat. Der nur halb so umfangreiche zweite Teil ("Der Weg an die Spitze: Soziale Herkunft, Ausbildung, Karrierewege und Seilschaften") widmet sich den Karrieren der Bischöfe. Die empirische Grundlage der Studie wird den Lesern durch die im Anhang wiedergegebene umfangreiche Prosopografie transparent gemacht. In insgesamt 223 Biogrammen finden sich Daten zu Herkunft, Ausbildung Verflechtung und Laufbahn der untersuchten Bischöfe.
Der zeitliche Rahmen der Arbeit reicht von Innozenz XI. bis zu Leo XIII., also vom späten 17. bis ins frühe 20. Jahrhundert. Traditionelle "Epochengrenzen" werden souverän übergangen, wodurch es Papenheim aufzuzeigen gelingt, "wie sich die politischen, ökonomischen und sozialen Umwälzungen auf die Rekrutierung und Zusammensetzung der kirchlichen Eliten auswirkten" (7). Untersuchungsgegenstand sind die Besetzungen jener 18 Bischofsstühle, die im (aus pragmatischen Gründen gewählten) Stichjahr 1836 zum Metropolitanverband Mailand beziehungsweise Salerno (plus Neapel) gehörten. Die Gründe, die den Verfasser zur Auswahl gerade dieser beiden Kirchenprovinzen bewogen, werden dem Leser allerdings vorenthalten. Der weit gespannte zeitliche und räumliche Rahmen ermöglicht zahlreiche, sehr instruktive diachrone und synchrone Vergleiche und lässt ein facettenreiches und ausdifferenziertes Bild entstehen. Mitunter verliert sich der Autor aber im Detail, was den Gesamteindruck unscharf werden lässt. Für die breite Rezeption, die diese Studie verdient, wäre es hilfreich gewesen, wenn Papenheim zumindest die beiden Hauptteile mit umfassenden, seine zahlreichen Ergebnisse synthetisierenden Zusammenfassungen abgeschlossen hätte.
Nachdem Papenheim die theoretischen und methodischen Grundlagen seiner Arbeit in erfreulicher Kürze dargelegt hat, widmet er sich dem Recht und der Praxis der Bistumsbesetzungen im Spannungsfeld zwischen Rom und den Staaten. Die Vergabe dieser kirchlichen Spitzenpositionen, auf die beide Seiten einen größtmöglichen Einfluss zu nehmen versuchten, war stets umstritten, und unterschiedliche Modi bildeten sich heraus. So lag beispielsweise das Nominationsrecht in Venedig seit 1510 beim Papst, der Senat konnte aber die Einsetzung in die Temporalia verhindern. Ein System von "checks and balances" garantierte eine einigermaßen störungsfreie Besetzung der Stühle. In Mailand hingegen entriss Joseph II. 1782 Rom die Vergabe der Bischofssitze. In Neapel erlangte der König 1818 das Nominationsrecht für alle 130 Bistümer, zuvor stand es ihm lediglich für 24 zu. Da Rom aber vorab informiert werden musste und die Kandidatenlisten zusammenstreichen konnte, war das Nominationsrecht de facto außer Kraft gesetzt und der Sieg des Königs ein Scheinsieg. Im vereinten Königreich Italien verzichtete der Staat zwar auf das Nominationsrecht, beharrte aber auf seiner Zustimmung bei Bischofsernennungen. Erst mit den Lateranverträgen von 1929 wurde jegliche Form von Nominationsrecht, staatlichem Plazet und Exequatur abgeschafft.
In sehr anregender Weise entfaltet Papenheim die Normen und die Bedeutung des tridentinischen Bischofsideals und wendet sich vor diesem Hintergrund den Prozessen und Institutionen Roms zur Auswahl der Bischofskandidaten zu. Mit dem von Gregor XIV. 1591 einheitlich geregelten Informativprozess und dem von Clemens VIII. 1592 eingeführten Bischofsexamen standen der Kurie zwar zwei bürokratische Instrumente zur Überprüfung der künftigen Bischöfe zur Verfügung, die sich allerdings auf die nachträgliche Prüfung der von interessierter Seite vorgeschlagenen Kandidaten beschränkten. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts errang der Uditore del papa eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Bischöfe. Mit ihm existierte erstmals ein Organ zur aktiven Kandidatensuche im unmittelbaren Umfeld des Papstes.
Die genaue Praxis der Auswahlverfahren ist auf Grund der schlechten Quellenlage und des langen Untersuchungszeitraumes nur schwer zu ergründen. Generalisierend lässt sich allerdings feststellen, dass sich kein fest etablierter Behördengang an der frühneuzeitlichen Kurie ausbildete, und der Verlauf einer Besetzung stark von den jeweiligen Machtstrukturen am päpstlichen Hof abhing. Sowohl Innozenz XI. als auch Benedikt XIV. versuchten, durch die Einrichtung einer Kongregation zur Auswahl der Bischöfe das kuriale Machtgefüge kontrollierbar zu machen. Obgleich beide Reformvorhaben an der Beharrungskraft des traditionellen kurialen Klientelwesens nach kurzer Zeit scheiterten, sind sie doch wichtige Vorläufer jener von Leo XIII. 1878 eingerichteten Kardinalskongregation zur Auswahl der Bischöfe. Dessen Vorgänger Pius IX. hatte hingegen gemeinsam mit seinem Staatssekretär die italienischen Bistümer ohne große Mitwirkung der Kurie vergeben. Die geheim arbeitende Kongregation ist von der Forschung bislang übersehen worden. Es ist ein großes Verdienst Papenheims, ihre unbekannten Mitglieder zu rekonstruieren sowie Zusammensetzung und Arbeit der Kongregation zu analysieren. Ihre Einrichtung führte zu einer starken Bürokratisierung der Auswahlprozesse, die aber ständig durchbrochen wurde. Insbesondere in Süditalien hielten sich die traditionellen Netzwerke länger und die Bürokratisierung und Zentralisierung der Kandidatenauswahl gelang in geringerem Maße als in Norditalien.
Sehr aufschlussreich ist der Wandel der sozialen Herkunft der Bischöfe. Entstammten die lombardischen Bischöfe bis 1800 Familien, die zur politischen Führungsschicht des Landes gehörten, waren die des 19. Jahrhunderts vornehmlich bürgerlicher Herkunft. In Süditalien hatte es hingegen nie ein Monopol des hohen Adels auf die, im Gegensatz zu Norditalien, zumeist einkommensschwachen Bischofssitze gegeben. Dort bildete sich bereits im 18. Jahrhundert das Profil des überwiegend aus wohlhabenden bürgerlichen kleinstädtischen Verhältnissen stammenden Bischofs aus, das im 19. Jahrhundert in ganz Italien beherrschend werden sollte. Am Ende des 17. Jahrhundert setzte eine allmähliche Spiritualisierung des Bischofsamtes ein. Aus dem kanonisch geschulten Verteidiger der Kirchenrechte wurde der Seelsorger und Glaubensverkünder. Dementsprechend wandelte sich das akademische Profil der Bischöfe: Das Studium der Theologie verdrängte das der Kanonistik.
Abschließend wird die Bedeutung der personalen Verflechtung der Bischöfe für ihren sozialen Aufstieg untersucht. Zahlreiche Verwandte, Freunde, Patrone und Landsmänner flankierten oder ermöglichten gar erst den Weg an die Spitze einer Diözese. Zwar liefert Papenheim anhand vieler Beispiele hierfür reichlich Anschauungsmaterial, doch statt zu analysieren, wie die Verflechtung in den jeweiligen sozio-kulturellen und juristisch-institutionellen Rahmenbedingungen tatsächlich "funktionierte", wird vielmehr lediglich illustriert, dass es so etwas wie Verflechtung gab.
Einen Königsweg an die Spitze eines Bistums gab es nicht, sondern nur die Verbesserung von Wahrscheinlichkeiten. "Die Besetzung eines Bischofsstuhls war das Ergebnis eines komplexen Spiels, in dem organisierte Selektion, herrschaftlicher Dezisionismus, Klientelverbindungen, die bis in die kirchlichen und staatlichen Behörden reichten, Selbstbewerbungen, das Engagement von Familien und die Protektion mächtiger Patrone sich gegenseitig bekämpften und behinderten, aber auch zusammenwirkten" (207). Papenheim geht all diesen Punkten nach und fördert hierbei viel Neues zu Tage. Wie das konkrete Wechselspiel der einzelnen Faktoren vonstatten ging, bleibt jedoch oft blass. Die Synthese der verschiedenen Blickrichtungen gelingt nicht immer. So stehen die beiden Perspektiven "von oben" und "von unten" teils unvermittelt nebeneinander (oder nacheinander), Institutionen- und Sozialgeschichte durchdringen sich nicht immer, und das ambivalente Verhältnis von Bürokratie und Verflechtung wird nur unscharf ausgeleuchtet. So bleibt am Ende zwar manche Frage ungeklärt, doch Papenheim hat sich auf ein großes, weitgehend unbekanntes Terrain vorgewagt und eine beachtliche Pionierstudie vorgelegt. Es steht zu hoffen, dass ihm andere auf dieses Feld nachfolgen werden.
Tobias Mörschel