Wolfgang von Hippel: Mass und Gewicht im Gebiet des Königreichs Württemberg und der Fürstentümer Hohenzollern am Ende des 18. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; Bd. 145), Stuttgart: W. Kohlhammer 2000, XVI + 248 S., 1 Karte, ISBN 978-3-17-016830-5, EUR 22,50
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Wolfgang von Hippel / Bernhard Stier: Europa zwischen Reform und Revolution 1800-1850, Stuttgart: UTB 2012
Wolfgang von Hippel: Das Herzogtum Württemberg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel von Steuer- und Kriegsschadensberichten 1629-1655. Materialien zur Historischen Statistik Südwestdeutschlands, Stuttgart: W. Kohlhammer 2009
Als differenzierte Form des Zählens gehört Messen und Wägen zu den zentralen Kulturtechniken, ohne die weder Markt noch Herrschaft denkbar sind: Auf Maßen und Gewichten gründete der Handel ebenso wie das Eintreiben der Abgaben, sei es in Form von Naturalien, die Untertanen in den Fruchtkasten der Obrigkeit liefern mußten, sei es als Geldzahlung in die Staatskasse, die von einem Grundkataster, also vermessenem Land, abgeleitet war. So dürften sich Maß- und Gewichtsangaben, verglichen mit anderen menschlichen Lebensäußerungen, überproportional häufig in schriftlichen Quellen niedergeschlagen haben.
Der unlängst emeritierte Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der Universität Mannheim deckt mit der angezeigten Veröffentlichung räumlich die Staatsgebiete des Königreichs Württemberg und der beiden hohenzollernschen Fürstentümer in den Grenzen des 19. Jahrhunderts ab. Chronologisch erstreckt sich die Gültigkeit von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Das Ende markieren etwa der Übergang vom Ausmessen zum Auswiegen der Marktwaren und die Übernahme des Zollvereinspfundes zu 500 Gramm im Königreich Württemberg, beides 1859 gesetzlich vorgeschrieben. Zusammen mit den 1994 und 1996 veröffentlichten analogen Bänden zum Gebiet der bayerischen Pfalz und Rheinhessens sowie des Großherzogtums Baden vervollständigt die Publikation ein umfassendes Maß- und Gewichtshandbuch für den am stärksten durch die Vielfalt der Territorien geprägten Teil des Alten Reichs.
Einleitend beschreibt von Hippel die Maß- und Gewichtsverhältnisse im Untersuchungsgebiet vor 1800 und führt deren Vereinheitlichung ab 1806 vor. Da für Hohenzollern keine Archivalquellen zu diesem Verwaltungsakt überliefert zu sein scheinen, beschränkt sich die Darstellung fast ausschließlich auf Württemberg. Die Zustände in den ehedem reichsunmittelbaren Herrschaften, ab Beginn des 19. Jahrhunderts neuwürttembergischen Gebieten, blitzen nur quasi im Rückspiegel der Bürokratie des jungen Königreichs auf, die zum Zwecke künftiger Vereinheitlichung landesweit Daten zur Mess- und Wiegepraxis erhob.
Angenehm fällt auf, dass von Hippel durchweg die hinter der Norm praktizierte Wirklichkeit zeigt. Den jeweils auf drei Stellen hinter dem Komma ausgeführten Umrechnungen in aktuelle Einheiten stellt er eine Warnung vor Scheingenauigkeit angesichts der realen Umstände voran. Die langwierige Durchsetzung der württembergischen Gemeinen Land-, Maß- und Eichordnung vom Jahr 1557 illustriert er mit dem - freilich außerordentlichen - Befund, dass die Bauern auf dem Heuberg das überkommene Ebinger Maß noch bis nach 1800 gebrauchten. Grundflächen in den kleineren Territorien des Südwestens pflegten vor der Mitte des 18. Jahrhunderts nach dem Augenschein geschätzt, nicht etwa mit einer, und schon gar nicht geeichten, Rute ausgemessen zu werden. So resultierte aus der 1818 bis 1840 durchgeführten trigonometrischen Vermessung des Königreichs für manche Landesteile die erste kartografische Darstellung überhaupt. Ein ganzer Abschnitt handelt von der mühseligen Umstellung nach 1806, als jede behördliche Visitation Verstöße gegen die - in diesem Band als Faksimile abgedruckte - neue Maß- und Gewichtsordnung aufdeckte.
Der Hauptteil listet die Bezeichnungen der in 181 Orten und Territorien vor 1802/10 gebräuchlichen Maß- und Gewichtseinheiten sowie ihre Binnenunterteilung auf und rechnet Scheffel, Metzen, Schoppen, Quäntchen und dergleichen in die aktuell gebräuchlichen Einheiten um. Jedem topografischen Betreff liegt das Schema Hohlmaße (für Zerealien und Flüssigkeiten unterschieden) / Gewicht / Längenmaße / Flächenmaße / Brennholzmaße / Sonstiges (wie Garn, Heu, Sand) zugrunde, das aber kaum irgendwo komplett ausgefüllt vorliegt, sei es aus Mangel an Quellen, sei es mit einem Verweis auf anderenorts ausgeführte dominantere Maßordnungen. Die dem Autor Maß gebenden Orte stehen in alphabetischer Reihe und sind zur besseren topografischen Übersicht in eine ausklappbare Kartenskizze eingetragen. Dem Hauptteil folgt auf 40 Seiten ein alphabetisches Ortsregister, in dem von Hippel alle Fälle aufgelistet hat, die ihm auch nur entfernt zweifelhaft erschienen. Hier erfährt man etwa, dass im nellenburgischen Zizenhausen Stockacher Maß und Gewicht galten, in der Reichsstadt Reutlingen die württembergischen mit den im Anschluss genannten Ausnahmen. Über das Maß an Vollständigkeit einer solchen Liste lässt sich wie bei jeder Auswahl streiten; mir scheint sie eher zu üppig bestückt als zu mager.
Aufbau und Gliederung des Hauptteils mit seinen Maß- und Gewichtsreihen folgen erkennbar den benutzten Archivalquellen. Deshalb verlässt die Liste auch häufig die Grenzen des im Titel genannten Untersuchungsgebiets und bietet mehr, als man erwarten mag. Tatsächlich belegen die Quellen in Württemberg und Hohenzollern den chronischen lokalen Gebrauch der Maße und Gewichte unter anderem von Nürnberg, Nördlingen, Höchstädt an der Donau, häufig selbst von Paris. Sehr gründlich werden auch Orte berücksichtigt, die 1805/06 an Württemberg fielen, aber schon 1810 badisch wurden, wie etwa Büsingen am Hochrhein, Radolfzell am Bodensee oder Stockach. Etwas zu viel des Guten hat der Autor freilich damit getan, außer diesen badischen Seekreisorten, an denen Württemberg kurz schnuppern durfte, aufgrund von Markt- oder Verwaltungsverbindungen auch die definitiv außerwürttembergischen Städte Konstanz und Freiburg im Breisgau ausführlich nach Maß und Gewicht darzustellen. Diese wird hier niemand suchen, zumal sie in Hippels Baden-Band stehen.
Die einleitend genannte Sabotage jeglicher Exaktheit begann mit dem unterschiedlich gehandhabten Häufen, Streichen, Rütteln oder Stoßen von Getreide im Messbehälter und hörte mit zehn mediatisierten Herrschaften, die 1810 auf Anfrage unisono meldeten, den Nürnberger Fuß zu gebrauchen, und die dann zehn verschiedene Fußmaße einsandten, noch nicht auf. Derlei massive Einschränkungen fordern eine Legitimation des Handbuchs in seiner ganzen Genauigkeit, zumal auf den ersten Blick die Differenzen bei der Schuh-Länge oder dem Maltervolumen recht mager auszufallen scheinen.
Doch die betroffenen Zeitgenossen mussten die Unterschiede angesichts ihrer chronisch prekären materiellen Lage als sehr erheblich empfinden. In Gammertingen auf der Schwäbischen Alb fasste das Viertelmaß 19,043 Liter Dinkelkern glatt, im vier Kilometer entfernten Hettingen 19,598 Liter; der Unterschied beträgt mehr als einen halben Liter oder drei Prozent. Das sind in einem strengen Winter zwischen Anfang Dezember und Mitte März drei Tage mehr (oder weniger!) satt gegessen. Die aktuelle Forschung darf wohl kaum vernachlässigen, was ihren Untersuchungsobjekten wichtig war.
Da der württembergische Schuh fast zwei Zentimeter kürzer ausfiel als der in Creglingen, das entspricht knapp sieben Prozent (von der Basis Württemberg), so mögen vergleichende Aussagen über die Höhe von Dachtraufen, die auf einem Einheitsschuh basieren, vielleicht nicht entscheidend an Wert verlieren; solche über die Körperlänge von Rekruten schon eher. Bei Flächenangaben multiplizieren sich diese Unterschiede bereits im Quadrat. Und wer eine Studie zu Ernteerträgen erstellt, sollte vorab wissen, ob der Jauchert 3448 Quadratmeter, wie im habsburgischen Aach, oder 5976 Quadratmeter, wie in der Reichsstadt Giengen, umspannte.
Das Handbuch ist gleich nach Erscheinen zum Standard-Nachschlagewerk avanciert und wird diesen Rang auf lange Zeit halten. Dass der Band hinsichtlich seiner Benutzbarkeit anfangs mitunter etwas sperrig wirkt, ist teilweise auf den behandelten Gegenstand zurückzuführen. Als ungemein hilfreich wird der publikationswillige Lokalhistoriker oder die wirtschaftshistorische Doktorandin so manche Definition und Zuordnung empfinden, die ihnen auf tückische Fragen antwortet, vor denen sie ansonsten im Archivlesesaal, wenn auch nicht scheitern, so doch ins Stocken und Suchen geraten: Bezeichnen ein Viertel und ein Vierling das Gleiche oder ist eins der Teil beziehungsweise das Vielfache vom anderen? Welche Getreidesorten in der Kellereirechnung gehören zur glatten, welche zur rauen Frucht? Wiegen die Eisenbarren aus den herzoglichen Hüttenwerken nach schwerem oder leichtem Pfund?
Dieses Werk erleichtert das wissenschaftliche Leben. Mehr kann man von einem Handbuch nicht verlangen.
Martin Burkhardt