Kirche im Dorf: Ihre Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der ländlichen Gesellschaft im "Preussenland", 13.-18. Jahrhundert. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preussischer Kulturbesitz in Zusammenarbeit mit der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin, Preussischer Kulturbesitz. Konzeption: Bernhart Jähnig, Berlin: Duncker & Humblot 2002, 316 S., ISBN 978-3-428-10425-3, EUR 29,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Caroline Arni / Regina Schulte / Xenia von Tippelskirch (Hgg.): Historische Anthropologie. Jahrgang 20 (2012), Heft 1. Thema: Botengänge, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012
Alfred Kohler: Neue Welterfahrungen. Eine Geschichte des 16. Jahrhunderts, Münster: Aschendorff 2014
Ludolf Pelizaeus / Franz Stephan Pelgen (Hgg.): Kontrolle und Nutzung - Medien in geistlichen Gebieten Europas 1680-1800, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011
Zum vierhundertsten Todestag des litauischen Bibelübersetzers Johannes Bretke hat das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz eine Ausstellung veranstaltet, die der Rolle der "Kirche im Dorf" gewidmet war. Der dazu erschienene Katalog ist hier anzuzeigen.
Die Ausstellung gliederte sich in acht Abteilungen. In der ersten wurde die Rolle der Kirche bei der Erschließung des Landes behandelt, wozu im Katalogteil Quellen zur Siedlungsgeschichte präsentiert und Informationen zum speziellen Recht der Kolonisation gegeben werden. Die zweite Abteilung stellte die Pfarre als Wirtschaftseinheit vor. Pfarrinventare, Verschreibungen sowie Grundrisse von Schul- und Kirchengebäuden zeigen sowohl die wirtschaftliche Grundlage als auch die materiellen Schwierigkeiten eines "Pfarrhauses" im weiten Sinne. Den Beziehungen der Pfarrer zu Patronatsherrn und Gemeinde galt die dritte Abteilung, wobei die Amtseinsetzung der Pfarrer und die Verwaltung des Kirchenvermögens besonders beachtet wurden. Die vierte Abteilung präsentierte "Kirche als Ort architektonischer und künstlerischer Anschauung". Sie zeigte, welche Arten von Kunst das Landvolk erreichen konnten. Der Katalogteil dazu enthält neben Grundrissen und Akten zum Bau und zur Instandsetzung beziehungsweise -haltung von Dorfkirchen viele schöne Abbildungen dörflicher Kunstwerke, darunter der Fresken der Pfarrkirche zu Germau sowie von Plastiken, die sich heute im Diözesanmuseum in Pelplin befinden. Es wird deutlich, auf welch vielfältigen Voraussetzungen die Arbeit eines Pfarrers in Preußen aufbaute, was er vorfand, übernehmen und bewahren musste, indem oder noch bevor er sich seiner "eigentlichen" beruflichen Aufgabe widmen konnte.
Zutreffend weist Bernhart Jähnig in der Einleitung zur fünften Abteilung, "Verkündigung und Seelsorge", darauf hin, dass diese "eigentliche" Aufgabe des Pfarrers sich nicht durch Gegenstände einer Ausstellung darstellen lässt. Die "Hilfsmittel" dieser Aufgabe, wie sie die Ausstellung zeigen konnte, machen deutlich, wie stark das dörfliche Leben von kirchlichen Riten und Vollzügen geprägt war. Messbücher, Bibeln und Psalmenübersetzungen sowie die Anleitungen zur Katechese zeigen das Bemühen, das Christentum sozusagen allsonntäglich bekannt zu machen. Taufkleidung, Abendmahlsgerät, Einsegnungsordnung und Leichenpredigt sowie Handschriften und Drucke von Liedern und Chorsätzen veranschaulichen Riten im Lebenskreis und zu besonderen Anlässen.
Dass einige Pfarrer auch über ihre Amtspflichten hinaus wissenschaftlich tätig waren, zeigt die sechste Abteilung. Hier findet sich das anlassgebende Prunkstück der Ausstellung, die achtbändige Handschrift der Bibelübersetzung Johannes Bretkes. Anhand weiterer Werke Bretkes (Psalterübersetzung, Postille) geht der Katalogteil ausführlich auf dessen Lebenswerk ein. Hervorgehoben werden ferner Kaspar Hennenberger als Kartograf und Johann Friedrich Goldbeck mit seiner "Topografie". Bei der Nennung Abraham Hartwichs "als Landeskundler" wird darauf hingewiesen, dass dessen Landesbeschreibung der drei Werder jetzt in einem Neudruck vorliegt und als Quelle der Landes-, Religions-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte genutzt werden kann. Für Preußen typisch sind die Bemühungen um Übersetzungen von Bibel und Katechismus in die "nichtdeutschen" Sprachen Preußens. Dazu wurden ebenfalls einige Beispiele gezeigt.
"Kirche als Hierarchie und als Teil der weltlichen Obrigkeit" ist die siebente Abteilung überschrieben. Zumindest die letztere Bezeichnung erscheint der Rezensentin nicht ganz treffend, denn es wird gezeigt, dass die Kirche in Preußen, durchaus zeittypisch, Aufgaben für die weltliche Obrigkeit übernahm, die aber auch im kirchlichen Interesse und Aufgabenkreis lagen, etwa das Kirchengebet für die Obrigkeit oder die Bekämpfung von Aberglauben und Zauberei. Die Kontrolle von Pfarrern und die Einflussnahme der Könige ging freilich im 18. Jahrhundert sehr weit; doch wird auch hervorgehoben, dass gerade Friedrich Wilhelm I. sich bei seinen Reformbemühungen auch als Glied der Kirche verstand. Die letzte Abteilung ist der Seelsorge an "Glaubensflüchtlingen und Neusiedlern" gewidmet, von denen keine Gruppe vergessen wird.
Zuletzt, aber nicht zum mindesten, sind die einleitenden Aufsätze zu dem Katalog zu erwähnen. Bernhart Jähnig fasst in einem Beitrag zur Rolle der Kirche in "Mission und Landesherrschaft" die Erkenntnisse zu diesem Kapitel preußischer Kirchengeschichte zusammen und nimmt in "Pfarrer zwischen Verkündigung und Gelehrsamkeit" den Dorfpfarrer als Objekt und als Vermittler von Bildung in Preußen in den Blick. Christofer Herrmann verfasste zwei Aufsätze zum mittelalterlichen Kirchenbau, wobei besonders bemerkenswert erscheint, in welch hohem Maße Bau und Ausstattung von Kirchen auf bäuerliche Initiative und Geldbeschaffung zurückgingen. Der Verwaltung des Kirchenvermögens in Gestalt der "Kirchenfabrik" schenkte er besondere Aufmerksamkeit.
Ergänzt werden die zusammenfassenden Beiträge durch zwei bebilderte Anhänge, in denen preußische Dorfkirchen in Ansichten des 19. und 20. Jahrhunderts sowie in Fotografien des 20. Jahrhunderts und aus jüngster Zeit gezeigt werden. Dass die zum Teil prächtigen Innenansichten aus früheren Zeiten gelegentlich hart mit dem heutigen baufälligen oder ruinösen Zustand kontrastieren, gehört wohl auch zu den Spezifika der Geschichte des Preußenlandes.
Esther-Beate Körber