Bernhard Mundt: Prinz Heinrich von Preußen 1726-1802. Die Entwicklung zur politischen und militärischen Führungspersönlichkeit (1726-1763) (= Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit; Bd. 27), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2002, 567 S., ISBN 978-3-8300-0697-8, EUR 140,00
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Ähnlich wie es dem Prinzen Heinrich zeitlebens nicht vergönnt gewesen ist, aus dem Schatten der helleren königlichen Sonne herauszutreten, so hat er auch später in Darstellungen Aufmerksamkeit und Deutungsversuche oftmals nur erfahren, weil er des großen Friedrich krittelnder Bruder war. Wenn bereits eine Lebensbeschreibung Heinrichs Gefahr lief, allzu "fritzisch" zu geraten (im Sinne eines größeren Interesses am König als am Prinzen selbst), so war er einer zur Heroisierung Friedrichs II. neigenden borussischen Historiographie erst recht suspekt: Denn durch seine mitunter recht scharfe Verurteilung von Politik und Kriegführung des preußischen Königs schien Heinrich sich selbst disqualifiziert zu haben; das Bestreben, ihn falscher Standpunkte zu überführen, verhinderte eine historiographische Annäherung, die seiner Person hätte gerecht werden können. Darüber hinaus erschienene Spezialbetrachtungen vermochten es ebenso wenig, ein zufrieden stellendes Bild zu entwerfen. Diesem Forschungsdesiderat ist nunmehr, 200 Jahre nach Heinrichs Tode am 3. August 1802 Abhilfe geschaffen: Neben dem Katalog zur Ausstellung "Prinz Heinrich von Preußen. Ein Europäer in Rheinsberg", der sich dem Prinzen in einer Reihe von Einzeluntersuchungen mit erheblicher thematischer Bandbreite widmet [1], ist mit der hier anzuzeigenden Arbeit von Mundt eine chronologisch ausgerichtete Gesamtschau auf Leben und Wirken des Prinzen begonnen worden. Die im Jahr 2000 an der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim eingereichte Dissertation stellt dabei nur den ersten von drei geplanten Bänden dar und endet - entsprechend der ersten Lebenshälfte Heinrichs - im Jahr des Hubertusburger Friedens 1763.
Da Mundt "die politische Rollenbestimmung in den Mittelpunkt der Betrachtung" stellt, er seine Untersuchungen also um den zentralen Aspekt der "Inkorporation Heinrichs in das Gesamtsystem des preußischen Absolutismus" (23) kreisen lässt, läuft er von vornherein nicht Gefahr, sich in psychologisierenden Ferndiagnosen einer schwierigen Bruderbeziehung und deren politischer Tragweite zu verlieren. Vielmehr verfolgt Mundt unter der Prämisse einer weitgehenden Selbstidentifikation Heinrichs als Mitglied der regierenden Dynastie mit dem preußischen Staat dessen Werdegang als "dem Sozialprestige [nach] privilegierten, politisch aber wie alle anderen Untertanen auch vom Prozeß der Nivellierung und Uniformierung erfaßten Prinzen von Geblüt" (492). Damit zeichnet der Autor nicht nur ein Porträt des Prinzen als junger Mann, wie er - politisch, diplomatisch und militärisch gleichermaßen begabt und ambitioniert - sich über den ihm zugeschriebenen engen Wirkungsraum eines privatisierenden Nachgeborenen hinaus entwickelte und so zwangsläufig in Konflikte mit dem autokratisch gesinnten Bruder geraten musste. Es gelingt Mundt, durch Nachvollziehen und Deutung dieser Entwicklungen auch einen Beitrag zum besseren Verständnis der inneren Strukturen des friderizianischen Preußen zu liefern.
Bereits der äußeren Kapiteleinteilung ist zu entnehmen, wie eng die Verflechtung des prinzlichen Lebensweges mit der staatlich-dynastischen Entwicklung Preußens beziehungsweise dem bestimmenden Einfluss des jeweils herrschenden Familienmitglieds gewesen ist. Im Anschluss an die Darstellung von Erziehung und Bildungsgang unter den von seinem Vater Friedrich Wilhelm I. geprägten Bedingungen und Vorgaben (Kap. I), begann mit dem Thronwechsel 1740 auch für Heinrich eine neue Ära (Kap. II). Diese beinhaltete nicht nur die weitere Ausbildung des Prinzen und seine Eingliederung in die Armee samt den zu absolvierenden Regimentsdiensten unter den gestrengen Augen Friedrichs II. Sie war überdies bestimmt durch die ersten Konflikte mit dem Bruder, welche nie rein persönlicher Natur waren, sondern ihren Ursprung in einer hohenzollerischen Familienpolitik fanden, die vor allem an der Staatsraison ausgerichtet war. Erst durch seine Vermählung, mit der die Gründung eines eigenen Hausstandes verbunden war, gelang es Heinrich schließlich, sich der unmittelbaren Aufsicht des Königs zu entziehen. Es war der Auftakt zu den "frühen Rheinsberger Jahren" (Kap. III), bei deren Beschreibung Mundt sich insbesondere den kulturellen, gesellschaftlichen, künstlerischen und geistigen Interessen und Aktivitäten des Prinzen widmet. Entsprechend dem Untertitel der Arbeit wird der Schwerpunkt hier auf die henricianischen Denkschriften gelegt, die Politisches und Militärisches abhandeln und von Mundt detailliert wiedergegeben und kontextualisiert werden. An ihnen, so der Autor, seien bereits jene Qualitäten des Prinzen erkennbar, durch die er sich in den folgenden Kriegszeiten und auf politischem Felde ausgezeichnet habe: seine "Souveränität [...], in sicherer Beherrschung der Methode [...] aufgrund der eigenen Kreativität und Genialität instinktiv richtig" (266) zu agieren, und "ein rational geprägtes, die abstrakt verstandene Staatsraison als oberste Richtlinie des Handelns begreifendes Denken" (267). Es folgt eine wohltuend unpathetische, dafür aber 200 Seiten lange Darstellung des Siebenjährigen Krieges (Kap. IV). An dessen Ende musste Heinrich erkennen, dass er - ungeachtet militärischer Erfolge, durch welche er zeitweilig die "Position einer Art inoffiziellen Stellvertreters" (496) Friedrichs II. innehatte - unversehens wieder ins Glied der königlichen Untertanen zurücktreten musste. Sollte das innere Gefüge des friderizianischen Autokratismus nicht ins Wanken gebracht werden, durfte er als "Prinz von Geblüt" einen dauernden Anspruch auf eine herausragende, verantwortungsvolle Position innerhalb des preußischen Staates nicht formulieren.
Mundts Arbeit zeichnet sich vor allem durch eine intensive Beschäftigung mit den Quellen aus. Darunter befinden sich überwiegend Korrespondenzen aus dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem, die privaten, politischen oder militärischen Inhalts sind und mit Friedrich II. sowie anderen Familienmitgliedern, mit Standesgenossen, militärischen Kommandanten und zeitgenössischen Geistesgrößen geführt wurden. Indes birgt die von Mundt gewählte Form der biografisch-chronologischen Darstellung ihre spezifischen Schwierigkeiten: Sie verlangt an den entscheidenden Stellen nach einer Verdichtung, Systematisierung und Bewertung des Stoffes. Daher unterbricht der Autor bisweilen den gleichmäßigen Rhythmus der Erzählung, um pointierte Analysen einzuflechten. Dank einer guten Einführung in die wesentlichen Problemfelder - das System des preußischen Absolutismus und die Stellung eines "Prinzen von Geblüt" - wie auch der abschließenden Betrachtung, in der die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfließen und eine differenzierte Bewertung erfahren, gelingt eine abgerundete Präsentation der Stofffülle. Dabei ist zu vermerken, dass Mundt von der "klassischen" Definition des Absolutismus ausgeht und die jüngst immer wieder hervorgebrachten Problematisierungen und Infragestellungen von Begrifflichkeit und Phänomen nicht berücksichtigt.
Aufgrund einer strengen Ausklammerung emotionaler, privat-persönlicher Aspekte in der Biografie des Prinzen umgeht Mundt zwar unhaltbare Wertungen und vermeidet das Terrain des Spekulativen. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob damit nicht ein Bild Heinrichs abgeliefert wird, das trotz Breite und Detailreichtum unvollständig bleibt, weil nicht alle Möglichkeiten der Annäherung an die Person ausgeschöpft werden: Gemeint ist nicht ein inadäquates Interesse am Privaten um seiner selbst willen. Gemeint ist vielmehr die Notwendigkeit eines Rekurses auf persönliche Motivationen und Momente in dem Maße, wie diese Handlungen und Haltungen beeinflussten. Um hier ein weniger "staatstragendes" Beispiel zu nennen: Wenn der Autor des Prinzen Heinrich Zurückhaltung gegenüber seiner Gemahlin schon einmal erwähnt, so erstaunt dabei doch die Konsequenz, mit welcher die den Zeitgenossen bekannten und von der Forschung nicht in Abrede gestellten homoerotischen Neigungen des verstörten Hochzeitskandidaten ignoriert werden. Und um ein relevanteres Beispiel anzuführen: Eine gänzliche Ausklammerung der persönlichen Ebene in der Bruderbeziehung zu Friedrich II. läuft Gefahr, ein Interpretationsmoment außer Acht zu lassen, wenn es darum geht, Heinrichs Kritik an der königlichen Politik oder militärischen Vorgehensweise zu bewerten. Natürlich kann dabei nicht die Rede vom alles verzehrenden und den Blick trübenden prinzlichen Hass und Neid auf den Bruder sein. [2] Zumindest aber sollte neben der ausschlaggebenden, an sachlichen und politisch-dynastischen Aspekten orientierten Interpretation auch der Stellenwert des Persönlichen Beachtung finden - in dem Sinne, dass die den Urteilen Heinrichs inhärente Subjektivität nach einer expliziteren Problematisierung und Bewertung verlangt.
Generell ist die Ausweisung Heinrichs als "politische und militärische Führungspersönlichkeit" mit Einschränkungen zu versehen beziehungsweise genauer zu definieren. Die Zusprechung militärischer Führungskraft findet ihre Rechtfertigung sowohl im Geschick als auch in den Erfolgen des Prinzen, die er auf dem Feld der Strategie und Taktik nachhaltig unter Beweis gestellt und die Mundt noch einmal detailliert herausgearbeitet hat - wenngleich die speziellen Eigenheiten der henricianischen Defensivkriegführung und deren Verortung innerhalb der operativen Kriegsgeschichte dabei vielleicht ein wenig zu kurz kommen, jedenfalls Erwähnung nur im allgemeinen Schlussteil finden. In welchem Ausmaß indes auch die dem Prinzen unterstellten Soldaten in ihm eine Führungspersönlichkeit sahen, zeigt der von Mundt unerwähnt gebliebene Umstand, dass beim Tausch der Armeen 1759 Heinrichs Truppen, die nun dem Kommando Friedrichs unterstellt wurden, um einiges enttäuschter reagierten als ihre Kameraden, die bislang unter dem direkten Kommando des Königs gestanden hatten und jetzt unter prinzliche Befehlsgewalt kamen. Mit einer Konstatierung politischer Führungskraft scheint es hingegen anders. Sie wird weder anhand einer Auswertung einzelner Aktionen Heinrichs (auch nicht im Vorausblick auf den Beobachtungszeitraum nach 1763) noch einer hierauf explizit ausgerichteten Untersuchung der henricianischen Memoranden am Maßstab der realpolitischen Bedingungen eingehend begründet und bleibt somit eine im Untertitel aufgestellte Behauptung, die im Text selbst keine ausdrückliche Untermauerung erfährt. Mit Blick auf die historischen Umstände wird etwa die bündnispolitische Frankomanie des Prinzen kaum an den tatsächlichen Gegebenheiten, Möglichkeiten und Erfordernissen der internationalen Politik gemessen. Des Weiteren dürfte die Tendenz Heinrichs, eher bestehende politische Konzeptionen und Konstellationen kritisch und korrigierend zu kommentieren und auf Schwächen hin zu sezieren als eigene Richtlinien innovativ und konstruktiv zu entwerfen [3], wohl kaum für eine gerechtfertigte Zuerkennung politischer Führungskraft ausreichen. Sie tatkräftig unter Beweis zu stellen, war dem Prinzen ohnehin nicht vergönnt.
Anmerkungen:
[1] Prinz Heinrich von Preußen. Ein Europäer in Rheinsberg. Katalog zur Ausstellung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg im Schloß Rheinsberg vom 4. August bis 27. Oktober 2002, hrsg. von der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, München / Berlin 2002.
[2] So bei Chester V. Easum: Prinz Heinrich von Preußen. Bruder Friedrichs des Großen, Göttingen / Berlin / Frankfurt a.M. 1958, passim.
[3] Hierzu jüngst Andreas Pečar: Politischer Schriftsteller wider Willen - Die außenpolitische Konzeption des Prinzen Heinrich von Preußen in seinen Denkschriften, in: Prinz Heinrich von Preußen (wie Anm. 1), S. 137-139.
Karoline Zielosko