Timothy Sodmann (Hg.): 1568-1648. Zu den Auswirkungen des Achtzigjährigen Krieges auf die östlichen Niederlande und das Westmünsterland, Vreden: Landeskundliches Institut Westmünsterland 2002, 248 S., ISBN 978-3-927851-95-5, EUR 15,00
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Der vorliegende Sammelband will mit dem Westmünsterland und den östlichen Niederlanden eine Randregion in den Mittelpunkt rücken. Ansatz ist dafür der Achtzigjährige Krieg, also der Kampf der Generalstaaten gegen die spanische Krone, ein Krieg, der eben nicht an der Grenze zum Reich Halt machte, sondern auch die benachbarten Landschaften mit einbezog. Anders als im Titel geht es jedoch nicht nur um diesen Konflikt, sondern - dies stellt der einleitende Beitrag von H.-J. Behr klar (13-27) - auch um den Dreißigjährigen Krieg: Insbesondere das Westmünsterland hatte neben generalstaatischem Militär ebenso sehr auch Durchzüge und Einquartierungen von Truppen der Kriegsparteien im Reich zu gewärtigen, angefangen von ligistisch-kaiserlichen Soldaten über solche, die für die Sache des Pfälzers zu Felde zogen, bis hin zu schwedischen und hessischen Einheiten.
Insgesamt enthält der Band zehn Beiträge (sieben in deutscher, drei in holländischer Sprache), die sich innerhalb der zu untersuchenden Grenzregion nochmals auf eine kleinräumige Einheit, einen Ort oder eine Herrschaft, beziehen. Während die Ausführungen zur Freiheit Velen und der Stadt Ramsdorf von J. Barnekamp (29-63), von I. Sönnert zu Lembeck (139-169) und von H. Terhalle zu den Auswirkungen des Achtzigjährigen Kriegs auf das Westmünsterland (171-229) veritable Aufsätze darstellen, sind die anderen Untersuchungen meist schlaglichtartig kurz gefasst und kaprizieren sich etwa auf das münsterländische Dorf Südlohn (U. Söbbing, 123-137), das Deventer Hinterland (P. Holthuis, 77-85) und den Achterhoek (H. Krosenbrink, 97-108). Letzterer Beitrag wertet dabei zeitgenössisches Liedgut aus, während G.B. Janssen in einem knappen Essay der Frage nach den Belastungen durch die Kriegskosten nachgeht (87-96). R.-P. Fuchs schließlich widmet sich dem Quellentypus der Zeugenverhörprotokolle anhand eines Beispiels aus dem Jahr 1680 (der Text ist im Anhang ediert) (65-76). Im Hintergrund stand die Umsetzung der Regelung des so genannten "Normaljahrs" 1624, mit dessen Hilfe im Westfälischen Friedenswerk die konfessionellen Besitzstände fixiert werden sollten. Anhand der protokollierten Vernehmungen zum Normaljahr versucht Fuchs, den Erinnerungsstrukturen und der Zeitwahrnehmung vor allem der Untertanen auf die Spur zu kommen. So reizvoll das Thema an sich ist, fehlt doch völlig der Bezug zum Achtzigjährigen Krieg, das heißt zum eigentlichen Thema.
Manche Beiträge lassen deutlich erkennen, dass der Dreißigjährige Krieg vielfach genauso heftig den Alltag bestimmte wie der Achtzigjährige Krieg. Strikt auf letzteren bezogen ist dagegen der Beitrag von H. Terhalle, der die Einwirkungen auf das Westmünsterland exemplarisch darstellt und konsequenterweise mit den 1630er-Jahren abbricht, da von dieser Zeit an seitens der Niederlande keine Bedrohung mehr ausgegangen sei (204f.). Im gemeinschaftlichen Beitrag von A. de Bakker, J. Grootenboer und D. Schlüter ist der Blick auf die beiden Kriege gerichtet - mit einer exemplarischen Auswertung der Hauschronik von Sweder Schele die vielleicht reizvollste Studie. Im Berichtszeitraum 1589 bis 1637 (eine Lücke ergibt sich für die Jahre 1624-1628) notierte der zunächst in der niederländischen Region Twente (Provinz Overijssel), dann auf Haus Welbergen bei Steinfurt nahe der Grenze zu den Generalstaaten lebende Landadlige seine Eindrücke in Kriegszeiten. Neben persönlichen Erlebnissen spielten auch die durch Zeitungen vermittelten Nachrichten über entfernte Ereignisse eine gewichtige Rolle.
Die meisten Aufsätze werten intensiv die einschlägigen Bestände vor allem aus dem Staatsarchiv Münster sowie einigen Stadt- und Adelsarchiven aus. Diese Quellennähe, die durch die ausführliche Wiedergabe relevanter Textpassagen und einigen Dokumentenanhängen betont wird, gehört zu den Stärken des Bandes. Allerdings ist an dem Punkt die problematische Quellenbehandlung nicht zu übergehen, ein Manko, das nicht durchweg, aber in einigen Beiträgen auftaucht. So werden die Befunde in den ausgewerteten Quellen stillschweigend als zuverlässig angesehen. Bezeichnend ist, dass oftmals einfach von "Berichten" die Rede ist - wer an wen in welcher Absicht und in welchem Kontext berichtet, wird kaum einmal thematisiert. Nicht dass festgestellte Schäden pauschal ins Reich der Fantasie zu verweisen wären, aber es ist doch quellenkritisch wichtig festzuhalten, dass eine Stadt über Kriegsbelastungen beispielsweise dann berichtet hat, wenn sie eine Verminderung der Steuerlast erreichen wollte.
Überhaupt zeigt sich die begrenzte Aussagekraft von rein orts- oder raumorientierten Fallstudien, denen übergreifend strukturierende Fragestellungen meist fehlen. Die durchweg interessanten Einzelaspekte, die sich in jedem Beitrag finden lassen, können auf diese Weise kaum in ihrer Wertigkeit gewürdigt werden: Die spezifischen Erfahrungswerte einer Region zwischen zwei Kriegen bleiben letztlich unklar. Damit verknüpft ist das Problem einer ausgesprochen geringen Anbindung an die aktuelle Forschungsdiskussion. Hier hätte vor allem der Anschluss an die neue Militärgeschichte geholfen. Zu einseitig ist beispielsweise der Blickwinkel, der stets die Perspektive der betroffenen Landschaft einnimmt und damit auch eindeutige Opfer- und Täterrollen zuweist: die Bevölkerung leidet unter der plündernden Soldateska, ein Bild, das kaum einmal infrage gestellt oder durch einen Blick auf die Situation der Kriegsknechte relativiert wird. Des Weiteren erstaunt, dass man wenig von den Überlebenspraktiken der Bevölkerung erfährt. Allenfalls der Beitrag von U. Söbbing über Südlohn thematisiert Schutzmechanismen der Bevölkerung in Reaktion auf Kriegsbedrohungen, wenn er über die Befestigungsanlagen an der Schwelle zum 17. Jahrhundert berichtet.
Neben dem fehlenden Bezug zur aktuellen militärhistorischen Forschung vermisst man vor allem die Rezeption neuerer Arbeiten speziell zum Dreißigjährigen Krieg. Aus der überreichen Fülle der Spezialliteratur hätte sich insbesondere der Rekurs auf einige im selben regionalen Kontext verortete Werke empfohlen. So hat bereits ein von H. Lademacher und S. Groenveld herausgegebener Aufsatzband versucht, den Achtzigjährigen und den Dreißigjährigen Krieg zu verklammern. [1] Auf denselben Quellenbeständen oder zumindest demselben Archiv wie der vorliegende Band, nämlich dem Staatsarchiv Münster, beruht auch die Edition von einschlägigen Quellen zum Dreißigjährigen Krieg, die in hervorragender Weise geeignet gewesen wäre, die Ergebnisse für die östlichen Niederlande und das Westmünsterland in weitere Befunde aus dem münsterländisch-westfälischen Raum einzubetten. [2] In vergleichbarer Weise gilt dies auch für einen Sammelband, dessen Aufsätze speziell aus westfälischen Adelsarchiven erarbeitet sind. [3]
Der vorliegende Band bietet unterm Strich hochinteressante Einblicke in eine Grenzregion, die zwischen zwei Kriegen lag und deswegen durch beide Konflikte in Mitleidenschaft gezogen wurde. Manches schillernde Detail wird dabei geboten. Doch da der Anschluss an eine Forschungsdiskussion fehlt, die für die westmünsterländischen Befunde einen größeren historischen Bezugsrahmen hätte schaffen können, ist zu befürchten, dass das Westmünsterland weiterhin randständig bleibt.
Anmerkungen:
[1] Horst Lademacher/ Simon Groenveld (Hg.): Krieg und Kultur. Die Rezeption von Krieg und Frieden in der Niederländischen Republik und im Deutschen Reich 1568-1648, Münster / New York / München / Berlin 1998.
[2] Der Dreißigjährige Krieg und der Alltag in Westfalen. Quellen aus dem Staatsarchiv Münster, bearb. im Staatsarchiv Münster, Redaktion: Leopold Schütte (= Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C: Quellen und Forschungen; Bd. 43), Münster 1998.
[3] Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Forschungen aus westfälischen Adelsarchiven. Vorträge auf dem Kolloquium der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive e.V. vom 3.-4. Dezember 1998 in Münster, Münster 2000.
Michael Kaiser