Guido Reuter: Barocke Hochaltäre in Süddeutschland 1660-1770, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2002, 272 S., 195 Abb., ISBN 978-3-935590-48-8, EUR 39,80
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Das Thema der Düsseldorfer Dissertation von Guido Reuter darf als ein Desiderat der Forschung gelten: Obwohl das Hochaltarretabel das wichtigste Ausstattungsstück jeder katholischen Barockkirche ist, weil es den zentralen Ort der Transsubstantiation und der ständigen Präsenz des Corpus Christi im Tabernakel bezeichnet (8ff.), fehlte bisher (abgesehen von einem Aufsatz Richard Zürchers von 1978) eine neuere vergleichende Untersuchung zur typologischen und stilistischen Entwicklung dieser "Formgelegenheit" im süddeutschen Hoch- und Spätbarock.
Eigentlich müsste ein solches Unterfangen allein aufgrund der Fülle des zu sichtenden und bearbeitenden Materials eine gewaltige Aufgabe sein; dennoch bleibt das Buch im A 5- Format angenehm handlich und sein Aufbau überschaubar. Reuter erreicht dies durch die entschiedene Eingrenzung seines Themas - zugleich ein Hauptmangel des Textes, der als Dissertation sicher umfangreich genug, als bisher einzige Monografie zu diesem Sujet aber doch vielleicht zu eng angelegt scheint.
Das Werk gliedert sich in elf Teile: Nach einer Einleitung, welche die Bedeutung des Hochaltars in der nachtridentinischen Kirche beleuchtet, die Methode des Autors definiert und die bisherige Literatur zum Thema zusammenfasst, folgt ein Abschnitt über den süddeutschen Altarbau zu Beginn des untersuchten Zeitraums um 1660. Die formale Entwicklung des Chorretabel wird anschließend in Einzeluntersuchungen von neun herausragenden Beispielen als chronologische Reihe dargestellt: Die Münchner Dreifaltigkeitskirche, Aldersbach und Weingarten bezeichnen die ersten 50 Jahre, dann folgt ein Kapitel über die Asam. Diessen wird als innovativer Schritt auf dem Weg zum Rokoko vorgestellt, dessen Hauptwerke dann in den Hochaltären von Johann Michael Feuchtmayer (Zwiefalten, Ottobeuren), Ignaz Günther (Freising-Neustift, nicht ausgeführter Entwurf für Berg am Laim) und Johann Baptist Straub (Berg am Laim, Schäftlarn, Fürstenzell) gesehen werden. Das neunte Kapitel bietet einen "Rückblick" auf die formal-stilistische Entwicklung der vorher untersuchten Beispiele. Am Ende steht ein Exkurs zum Bild bzw. Selbstbild der Altarbauer mit dem Titel "Zweckgemeinschaften und Künstlerindividualität". Das Buch schließt mit einem knappen dreiseitigen Literaturverzeichnis, einem Orts- und Künstlerregister.
Schon das Titelbild - Berg am Laim - verrät ein Hauptproblem der Themenstellung: Die Hochaltäre stehen in süddeutschen Barockkirchen niemals isoliert. Sie sind untrennbar in das Raumganze eingebunden und daher nur Protagonisten eines größeren Ensembles, nämlich einer zusammengehörigen Gruppe von Retabeln, und diese sind wiederum nur Bestandteil einer meist einheitlich geschaffenen, aufeinander abgestimmten Gesamtausstattung. Es ist daher zu fragen, ob die Aufgabe "Hochaltar" in dieser Epoche und Kunstlandschaft überhaupt isoliert betrachtet werden kann. Die Nebenaltäre (zum Beispiel in Berg am Laim, Ottobeuren, Ettal, Diessen, Birnau) zeigen oft die formal avançierteren Lösungen; das Chorretabel fungiert dagegen mit seinem schweren vitruvianischen Säulengerüst als die prachtvoll-feierliche Fermate, bleibt aber meist auf den klassischen Grundtypus der zweigeschossigen Ädikula beschränkt und wirkt so oft schematisiert und retardierend: Ein Phänomen, das gerade für eine stilgeschichtlich orientierte Arbeit durchaus von Interesse sein sollte, aber nicht eingehend (160) diskutiert wird.
Eine weitere Selbstbeschränkung liegt im eng gesteckten regionalen Rahmen der Untersuchung, die sich auf Altbayern und Schwaben konzentriert. Gelegentliche Seitenblicke fallen auf Italien und Österreich, doch der rheinisch-fränkische Barock mit Hauptwerken wie Balthasar Neumanns interessanten Apsis-Kolonnaden (zum Beispiel in Worms 1738-40) oder dem singulären, fassadenartigen Heiltumsaltar des Trierer Dom-Ostchors von Johann Georg Frölicher (1689-1710) wird nicht beachtet.
Reuter umgeht bei seiner Auswahl bewusst die Sonderfälle, um eine lineare, in sich folgerichtige und geschlossene Entwicklungsreihe aufzuzeigen. Besonders zu bedauern ist der Ausschluss des Phänomens "Wallfahrtsaltar", denn bei diesen entsteht das interessante Problem zweier konkurrierender Brennpunkte der Verehrung an einem Ort, wenn oberhalb des Tabernakels noch das Gnadenbild in einer Glorie angebracht ist (zum Beispiel Andechs, Wies).
Schließlich erscheint der Zeitrahmen - 110 Jahre zwischen 1660 und 1770 - eher willkürlich gewählt. Er ist an der Hochphase des spätbarocken Kirchenbaus in dieser Region orientiert, aber im Hinblick auf das Thema selbst schwer zu begründen. Der bedeutende manieristische Altarbau Süddeutschlands bleibt aus stilistischen und zeitlichen Gründen unberücksichtigt. Ob "das erste Aufkommen barocker Hochaltaranlagen" (12) tatsächlich erst in den 1670er-Jahren erfolgte - was ist mit den Rubensaltären in Neuburg und Freising oder dem Hochaltar von St. Michael in München? - erscheint zumindest fraglich. Vielleicht konzipierte der Autor seine Arbeit auch als Ergänzung zur Dissertation Rainer Launs von 1981, der den süddeutschen Altarbau im Zeitraum von 1580-1650 behandelte.
Ähnlich unbefriedigend ist das Ende der Untersuchung im Stichjahr 1770, das den Ausklang des Rokoko markiert. Hierdurch wird die interessante Spätphase des so genannten "Zopfstils", des Übergangs zum Klassizismus, der in St. Blasien, Wiblingen, Neresheim, Oberelchingen, Rot an der Rot oder Salem mit bedeutenden Beispiele vertreten ist, nicht mehr berücksichtigt.
Diese enge Fokussierung erklärt sich aus dem methodischen Ansatz Guido Reuters: Es geht ihm vor allem um eine detaillierte formale Analyse herausragender Einzelwerke. Fragen der Ikonologie, der Kirchen-, Frömmigkeits- und Lokalgeschichte, der Werkgenese (Modelle werden nicht behandelt) und der liturgisch-rituellen Praxis sind bewusst ausgeklammert, weil der Autor fürchtet, dass sich diese "verschleiernd" vor den "anschaulichen Charakter" der Objekte (13f.) schieben könnten. Reuter folgt hierbei (mit Einschränkungen) Sedlmayr und (ausdrücklich) Bernhard Schütz; er grenzt sich somit von der "ikonologischen Schule" Hermann Bauers ab. Bauers These, dass das süddeutsche Rokoko bereits deutlich vom aufklärerischen Zweifel am barocken Illusionismus geprägt sei, lehnt Reuter entschieden ab (233, 267). Er erkennt daher auch keine inhaltliche Zäsur zwischen Spätbarock und Rokoko, sondern lediglich eine kontinuierliche (Höher-) Entwicklung der Altarbaukunst mittels einer immer differenzierteren Verschmelzung der Gattungen, der Farben und Materialien, durch ein stets verfeinertes Beziehungsgeflecht von Architektur, Gemälde, Skulpturen und Ornamenten, Altar und Raum. Reuter schreibt eine Fortschritts-, nicht eine Problemgeschichte. Um 1760 ist in seinen Augen ein Gipfel erreicht, am folgenden Decrescendo ist er nicht mehr interessiert.
Eine fundamental neue These zum Thema präsentiert das Buch nicht, bietet aber eine Reihe guter Beobachtungen und detaillierter, gelungener Analysen der behandelten Objekte. Gelegentlich werden Klischeebilder der Forschung wie die Analogie von Wandpfeilerkirche und Kulissentheater vorsichtig relativiert (140-153); Reuter betont zu Recht die aktive Rolle des Kirchenbesuchers, der durch eigene Bewegung die Wirkung des angeblich "bildhaften Schau-Raums" (nach Rupprecht, 158) der Rokokokirche selbstständig modifizieren kann (100). Der süddeutsche Barockaltar, so eine andere zutreffende Beobachtung, verschmilzt niemals so vollständig mit der Raumdekoration und ordnet sich der Architektur nicht so konsequent unter wie der italienische: Er bleibt stets ein eingestelltes "Möbel", auf formale Autonomie und liturgischen Vorrang hin konzipiert (34).
Besonders lobend hervorzuheben ist die Ausstattung des Buches: Wer die Bild- und Druckqualität der meisten Dissertationen kennt, wird hier angenehm überrascht von dem umfangreichen, mehrheitlich farbigen Abbildungsapparat in durchwegs guter Bildqualität auf "edlem" Kunstdruckpapier. In dieser Hinsicht kann der Band ohne weiteres als Handbuch gelten. Leider blieben zu viele Rechtschreibfehler unbemerkt (zum Beispiel liest man konsequent "Guiseppe" [sic!]). Die Bündelung des Anmerkungsapparates im Anhang verschönert zwar das Layout, zwingt aber zum dauernden Hin- und Herblättern.
Fazit: Trotz der benannten Einschränkungen ist Guido Reuters Buch allen am Thema Interessierten schon deshalb zu empfehlen, weil es als reich illustriertes Überblickswerk derzeit konkurrenzlos dasteht. Das letzte Wort in Sachen süddeutscher Altarbau ist hiermit aber sicher nicht gesprochen.
Meinrad von Engelberg