Rezension über:

Herbert Wilhelm Rott: Rubens. Palazzi di Genova. Architectural Drawings and Engravings. Vol. I: Text and Catalogue, Vol. II: Illustrations and Indexes (= Corpus Rubenianum Ludwig Burchard; Vol. XXII), Turnhout: Harvey Miller Publishers 2002, 263 S. + 312 S., 372 s/w-Abb., ISBN 978-1-872501-33-8, EUR 250,00
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Rezension von:
Ulrich Heinen
Bergische Universität Wuppertal
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Heinen: Rezension von: Herbert Wilhelm Rott: Rubens. Palazzi di Genova. Architectural Drawings and Engravings. Vol. I: Text and Catalogue, Vol. II: Illustrations and Indexes, Turnhout: Harvey Miller Publishers 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 10 [15.10.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/10/3446.html


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Herbert Wilhelm Rott: Rubens. Palazzi di Genova

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Ab 1622 publizierte Peter Paul Rubens unter dem Titel "Palazzi di Genova" in zwei Bänden anonyme Architekturrisse, die genuesische Adelspaläste des 16. Jahrhunderts zeigten. Die Bearbeitung des umfangreichen Materials blieb bisher auf einige Nebenbemerkungen in Rubensmonographien und wenige entlegene Spezialforschungen beschränkt (22-25).

Es ist Herbert W. Rotts Verdienst, das Material im Rahmen seiner Augsburger Dissertation (1994) gründlich bearbeitet zu haben. In dem von F. Baudouin und A. Balis sorgfältig betreuten Corpus Rubenianum hat Rotts Studie nun ihren angemessenen Platz gefunden.

Rott versammelt hier das gesamte Bildmaterial der "Palazzi di Genova", stellt den Tafeln erstmals die zugrunde liegenden Zeichnungen gegenüber, fügt im ausführlichen Katalogteil umfangreiches Bildmaterial zu den jeweiligen Bauten hinzu und hängt einen Appendix mit Transkriptionen und Übersetzungen der wenigen Textpassagen der "Palazzi di Genova" sowie der relevanten Partien aus Rubens' Korrespondenz an. Der detaillierte und kenntnisreiche Katalog bildet zugleich ein kleines Kompendium der genuesischen Adelspaläste. Ihm stellt Rott Kapitel zur Baugeschichte der dokumentierten Paläste (27-31), zu Rubens' enger Verbindung zum genuesischen Stadtadel (32-40), zur Editionsgeschichte (40-51), zum Konzept der "Palazzi di Genova" (51-56), zur Geschichte und Eigenart der vorbereitenden Zeichnungen (57-84), zu Rubens als Architekt, Sammler und Initiator anderer Editionen (85-91), zur Einbettung in die Geschichte Genuas (98-106), zum Vertrieb des Werkes und zum Zweck der Publikation für Rubens' Selbstdarstellung voran (91-98, 106-109).

Zusammen mit einem gleichzeitig erschienenen Sammelband (Piet Lombaerde (Hg.): The Reception of P.P. Rubens's 'Palazzi di Genova' during the 17th Century in Europe: Questions and Problems, Turnhout 2002) und Frans Baudouins "Rubens. Architecture and Architectural Sculpture", das jetzt als Band 20/2 des Corpus Rubenianum angekündigt ist, wird Rubens' Beitrag zur Architektur erstmals vollständig greifbar sein.

Gründlich vergleicht Rott die publizierten Stiche und die großenteils erhaltenen anonymen Zeichnungen. Er vermutet, dass Letztere für Architekturkenner aus dem Genueser Patriziat eigens angefertigt wurden und verweist darauf, dass solche Architekturpläne schon im 16. Jahrhundert in Genua ein beliebter Sammelgegenstand waren (81).

Rubens muss - wie Rott betont - gerade die Einheitlichkeit der Zeichnungen interessiert haben, lässt er sie doch unkommentiert und weitgehend unverändert nachstechen (40-42, 46-50, 90-91). Herausgekommen sei ein ästhetisch und editorisch überzeugendes Tafelwerk, das den Eindruck einer sorgfältig geplanten Publikation mache (84). Ohne großen editorischen Aufwand habe sich Rubens damit als Architekturkenner positioniert (90, 106-109).

Jedes Bauwerk erscheint in mindestens drei Tafeln mit Fassadenaufriss, Grundrissen mehrerer Etagen sowie Längs- und Querschnitten. Außerdem sind dem ersten Band vier Druckbögen mit zahlreichen Details angehängt, die ausgeschnitten und wie in den gezeichneten Vorlagen als Klappblätter auf den jeweiligen Gesamtansichten montiert werden können (40). So lässt sich trotz des hohen Abstraktionsgrades planparalleler Tafelprojektionen ein anschaulicher Eindruck der gesamten Architektur und der Raumfolgen gewinnen (67-68).

Mit ihren präzisen Angaben zu den vielfältigen Funktionen der einzelnen Räume überliefern die "Palazzi di Genova" nicht nur ein einzigartiges Zeugnis der genuesischen Baukunst des 16. Jahrhunderts (24, 27-32), sondern auch ein Dokument des sozialen Lebens in der genuesischen Adelsrepublik (55). So erklärt auch Rubens' Geleitwort (254-256), mit den "Palazzi di Genova" eine zeitgemäße Wohnarchitektur von politisch aktivem Stadtadel fördern zu wollen, die nach den Prinzipien der Antike Funktionalität und Repräsentation integriert (98).

In den genuesischen Adelspalästen fand Rubens offensichtlich ein Modell adeligen Lebens, wie er es selbst anstrebte. Sein Interesse an einer Nobilitierung teilte der Maler mit vielen anderen Antwerpener Patriziern, die in großer Zahl am fortschreitenden Prozess der Aristokratisierung beteiligt wurden [1]. Wenn Rubens die "Palazzi di Genova" während seines eigenen Hausbaus publiziert, liefert er also eine Anleitung zur Beurteilung der Integration von Repräsentations- und Wohnfunktionen in seinem eigenen Stadtpalazzo und der damit verbundenen Ambitionen.

Wie Rott zutreffend bemerkt, sind für Rubens in der Formensprache seiner eigenen Architektur genuesische Vorbilder unwichtig (85-89). Rotts Entdeckung, dass die Struktur des Mittelportals von Rubens' Gartentor vielmehr an der Michelangelo zugeschriebenen Porta Pia Maß nimmt (88-89), lässt sich noch bekräftigen. Rubens komponiert nämlich seine gesamte Gartenarchitektur aus Architekturmotiven der Gartenportale an der mit der Porta Pia beginnenden Via Pia [2]. Wenngleich Rubens sich also der genuesischen Formensprache nicht anschließt, folgt er in seinem Haus doch den funktionalen Prinzipien, die er im Vorwort der "Palazzi di Genova" empfiehlt.

Mit guten Gründen nimmt Rott an, dass Zeitgenossen beim Anblick der "Palazzi di Genova" zuerst an die politischen und ökonomischen Verbindungen zwischen Antwerpen und Genua denken mussten (106). Die von Frankreich und den aufständischen nördlichen Provinzen eingekesselten und militärisch wie wirtschaftlich ausgebluteten habsburgischen Niederlande hingen damals am Tropf Spaniens, und Genua war die Kanüle, durch die die finanzielle und militärische Nährstoffzufuhr aus Spanien und Italien floss. Rott gibt eine Skizze der politischen und ökonomischen Geschichte Genuas für den fraglichen Zeitraum (98-106). Wie das durch die Scheldeblockade der Aufständischen vom Welthandel weitgehend abgeschnittene Antwerpener Patriziat den prosperierenden genuesischen Stadtadel sehen musste, beleuchtet schlaglichtartig ein wichtiger bei Rott referierter Hinweis. Die gewaltigen spanischen Hilfszahlungen für die isolierten und bedrohten habsburgischen Niederlande flossen nämlich über genuesische Bankiers - Mitglieder des Genueser Stadtadels -, die diese Beträge ausgerechnet in Antwerpen auszahlten (105).

Rott folgt dann aber der dominanten englischen Fachliteratur in der Abwertung Habsburgs und insbesondere der spanischen Niederlande-Politik. Um nicht annehmen zu müssen, dass Rubens gerade eine solche, negativ beurteilte Politik gestützt haben soll, lehnt Rott die Vermutung ab, Rubens habe eine progenuesische und damit prohabsburgische Position der "Palazzi di Genova" intendiert. Zu stark scheint ihm der Kontrast zu einer Rubens immer wieder unterstellten politischen Haltung, die Rott in Übereinstimmung mit nahezu der gesamten Rubensforschung als tendenziell antispanisch skizziert (105-106).

Tatsächlich stellte Rubens die habsburgische Souveränität in den Niederlanden aber nie in Frage. So kann der auch von Rott erwähnte Brief, in dem Rubens seine Friedenssehnsucht bekundet (105), gar nicht als Beleg für einen allgemeinen und von Skepsis gegenüber Spanien geleiteten Pazifismus missverstanden werden. P. Dupuy, der Empfänger des Briefes, war eben nicht einfach Rubens' Freund, sondern ein führender Politikberater am französischen Hof, so dass sich die Friedensbekundung des Malers als Dokument ganz konkreter prohabsburgischer Politik des Brüsseler Diplomaten Rubens erweist.

Und die von Rott in Übereinstimmung mit der gesamten Rubensliteratur als Zeugnis allgemeiner Friedenssehnsucht angeführte "Allegorie des Krieges" (Florenz), die Rubens an den Florentiner Hof sandte, stellt sich bei genauer Betrachtung als Flehen um militärische Unterstützung heraus, die Antwerpen aus Florenz herbeizurufen hoffte. Bisher wird der zeithistorische Entstehungskontext (Entsatz des belagerten Antwerpen durch florentinische Truppen Piccolominis im Herbst 1637) immer übersehen. Der in Rubens' Begleitschreiben sorgsam platzierte Schlüsselverweis auf eine Vergilstelle, die allegorisch Kaisertreue fordert, wird stets überlesen.

Zudem wird verkannt, dass die in Rubens' Brief verallgemeinernd als "Europa" deklarierte Klagegestalt mit Burgkrone und hochgereckten Händen für jeden Antwerpener gewiss sofort als Allegorie des belagerten Antwerpen zu lesen war, da dieselbe Konstellation das Wappen Antwerpens ausmacht. So ist die Florentiner "Allegorie des Krieges" eben kein Dokument eines naiven Pazifismus, sondern ein pathetischer Dank an die Florentiner Verbündeten für militärische Rettung und ein Hilfeschrei um weitere Unterstützung im Überlebenskrieg der habsburgischen Niederländer [3].

Es wäre ungerecht, Rott seine Einschätzung der politischen Position des Malers anzulasten, hätte er sich doch in diesem Randbereich seiner Dissertation kaum gegen die gesamte Rubensforschung stellen können. Schade ist nur, dass so die Schlussfolgerung unausgesprochen bleibt, die Rotts gesamte Recherche nahe legt: Rubens bekräftigt die spanische Subsidienpolitik in den habsburgischen Niederlanden und setzt mit den "Palazzi di Genova" der engen Verbindung zwischen Antwerpen und Genua sowie der sozialen und ästhetischen Vorbildhaftigkeit der genuesischen Adelsrepublik für das Antwerpener Patriziat ein bleibendes Denkmal.

Anmerkungen:

[1] Ulrich Heinen: Rubens zwischen Predigt und Kunst. Der Hochaltar für die Walburgenkirche in Antwerpen, Weimar 1996, 174-175, Anm. 13; hierzu demnächst ausführlich Nils Büttner.

[2] Ulrich Heinen: Rubens' lipsianischer Garten, in: Ursula Härting / Ellen Schwinzer (Hg.): Gärten und Höfe der Rubenszeit. Internationales Symposium im Gustav-Lübcke-Museum der Stadt Hamm, 12.-14.1.2001, Worms 2002, 1-8).

[3] Zu Rubens als Diplomat: Ulrich Heinen: Graf Moritz von Nassau und Marchese Spinola, in: Der Krieg als Person, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig 2000, 115-129, Kat. Nr. 33-36; ders.: "Versatissimus in historiis et re politica". Rubens' Anfänge als Diplomat, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 63 (2002), 283-318; ders.: Peter Paul Rubens' Florentiner Kriegsbild und die Macht des Malers, in: Wilhelm Hofmann / Hans-Otto Mühleisen: Kunst und Macht, erscheint 2003.

Ulrich Heinen