Karl-Heinz Spieß (Hg.): Medien der Kommunikation im Mittelalter (= Beiträge zur Kommunikationsgeschichte; Bd. 15), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, 323 S., ISBN 978-3-515-08034-7, EUR 62,00
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Die historische Kommunikationsforschung erfreut sich einer ungebrochenen Konjunktur. Während bislang zumeist die Frühe Neuzeit oder aber das 19. und 20. Jahrhundert in den Blick genommen worden sind, haben nun auch Mediävisten verstärkt begonnen, ihre Quellenbestände unter dem Blickwinkel der Verständigung sowie der sozialen Interaktion neu zu durchforsten, mit den unterschiedlichsten Stoßrichtungen und Ergebnissen. Skeptiker haben daher immer einen Grund gefunden, den Forschungsbegriff der 'Kommunikation' als wissenschaftliche Modeerscheinung abzutun, als inhaltsleer und konzeptionell unverbindlich, mithin als prätentiöse Theoriehülse; eine Abwehrreaktion, der aus den Sozial- und Kulturwissenschaften importierte Konzepte grundsätzlich ausgesetzt sind. Zugegeben: Tatsächlich kann 'Kommunikation' als wachsweiche und fast universell verwendbare historische Kategorie zuweilen Hunderte von Seiten füllen, ohne dass ihre Konturen klarer werden. Welche historisch fassbare menschliche Betätigung wäre nicht in der einen oder anderen Weise als Verständigung mit anderen zu deuten, nur: Wie lassen sich kommunikative Handlungen als solche sinnvoll rekonstruieren? Dem offensichtlichen Bedarf nach Präzisierung will der vorzustellende Sammelband, hervorgegangen aus einer Vortragsreihe des Mittelalter-Zentrums der Universität Greifswald, abhelfen. Er folgt dafür einem Konzept, das von einzelnen "Medien der Kommunikation" ausgeht, also von den - im weitesten Sinne - Kulturtechniken, die die Verständigung zwischen Personen und Gruppen ermöglichen, strukturieren sowie ihre Inhalte und Grenzen vorgeben.
Der einleitende Aufsatz von Volker Depkat (9-48) bemüht sich zunächst um die Klärung des jeweiligen Umfangs und der konzeptionellen Reichweite einer mittelalterlichen Medien- und Kommunikationsgeschichte. Er steckt den theoretischen Rahmen ab, indem er die beiden prägenden philosophisch-soziologischen Deutungen sozialer Kommunikation eingehend vorstellt. Die Namen Habermas und Luhmann sind Historikern deutlich geläufiger als die dazugehörigen Theorieentwürfe, und so ist Depkats mitreißend klare Zusammenfassung und Gegenüberstellung ihrer beiden - in vieler Hinsicht gegensätzlichen - Kommunikationsbegriffe mehr als willkommen. Von ihr ausgehend skizziert er die Möglichkeiten, besonders aber auch die Schwierigkeiten einer historischen Umsetzung: Beide sind keine 'reinen' Theoriegebäude, sondern Selbstbeschreibungen der gesellschaftlichen Moderne, die je eigene geschichtliche Entwicklungsmodelle implizieren, somit selbst erst historisiert werden müssen und nicht einfach als theoretische Folie über mittelalterliche Quellen gelegt werden können. Der Habermas'sche Kommunikationsbegriff beispielsweise beruht auf der normativen Geltung rationaler und konsensorientierter Verständigungsformen, deren Geltung, Reichweite und Durchsetzungsfähigkeit im Mittelalter beständig problematisiert werden müssen, ebenso wie sein Konzept der "Lebenswelt", also der aller Kommunikation zugrunde liegenden, unausgesprochen geteilten Auffassungen, in der historischen Anwendung nicht der Ausgangspunkt sein kann, sondern zum eigentlichen Erkenntnisziel wird. Schließlich verortet Depkat die folgenden Aufsätze innerhalb der skizzierten theoretischen Modelle. Lesbar als theoretisch ambitionierte Einführung des Bandes, lohnt auch eine nochmalige Lektüre dieses Textes nach den restlichen Aufsätzen sehr. Auch der zweite Beitrag ist theoretisch orientiert: Christina Gansel gibt einen Überblick über die Medienbegriffe, Einteilungkategorien und Entwicklungsmodelle, welche die moderne Medien- und Kommunikationswissenschaft vornehmlich anhand der Beschäftigung mit den technischen Massenmedien des 20. Jahrhunderts entwickelt hat (49-62). Sie bietet damit eine sinnvolle Ergänzung zum vorherigen Artikel.
Dem Ratgeben als typischer, stets asymetrischer und hierarchischer Kommunikationssituation, die ja als 'auxilium und consultum' auch in die Rechtsvorstellungen des Lehnswesens eingegangen ist, geht Doris Ruhe nach (63-82). Der Beitrag widmet sich jedoch nicht der rechtlich normierten, sondern der fiktional vermittelten Realität: Anhand der Rahmenerzählungen französischer Fürstenspiegel sowie anderer Ratgeberliteratur aus dem 12.-14. Jahrhundert zeigt sie, dass der Ablauf und Erfolg von Beratungen immer entlang sozialer, sexueller, altersmäßiger sowie geistlich-weltlicher Hierarchien imaginiert wurde. Hedwig Röckelein interpretiert die Translation dreier Heiligenreliquien nach Sachsen im 9. Jahrhundert als rituelle und kommunikative Praxis, in der menschliche Gemeinschaften über die sinnliche Wahrnehmung des heiligen Leichnams (sehen, berühren, riechen) sowohl miteinander als auch mit der religiösen Sphäre des Jenseits kommunizieren (83-104). Die Funktion des Heiligen als Mediator zwischen Gott und den Menschen wird so für die Übergangsphase des Transfers rituell-medial sensualisiert.
Anhand fünf verzierter Bronzeschalen aus dem 11.-13. Jahrhundert, deren Fundorte weit verstreut über Mittel-, Nord- und Osteuropa liegen, umkreist Ulrich Müller das Problem einer archäologisch nutzbaren Kommunikationstheorie, die, über die Erklärung wirtschaftlicher Kontakte und kulturellen Transfers hinausreichend, die jeweils zugeschriebene kulturelle Bedeutung von Artefakten erfassen kann (105-138). Der Artikel wechselt zwischen der Vorstellung mathematisch-informatischer sowie linguistisch-semiotischer Kommunikationstheorien und der historischen Interpretation der moralisierend-allegorischen Bildprogramme der Gefäße hin und her, ein sehr anspruchsvoller Versuch, sich den gegenständlichen Ausdrucksformen kultureller Kommunikationsprozesse zu nähern.
Von einer visuellen Kennzeichnung von Gegenständen, den Schilden gepanzerter Reiter nämlich, nimmt auch das Wappenwesen des mitteleuropäischen Adels seinen Ausgang, dessen Entwicklung und Ausdifferenzierung Ludwig Biewer nachzeichnet (139-154). In der Tat hat man bei Biewers Ausführungen den Eindruck, dass im - oft als skurril empfundenen - Wissensfundus der Heraldiker ein ganzes symbolisches Kommunikationssystem verborgen ist. Er schafft es allerdings nicht, über eine Sammlung anschaulicher Beispiele hinaus auch zu den Funktionsweisen und Inhalten dieses Systems vorzustoßen.
Konkreter und fokussierter stellt sich die Interpretation der medialen Projektion adeliger Familienpolitik im Spätmittelalter dar, die Robert Fajen anhand des allegorischen Ritterromans "Le livre du Chevalier errant" (circa 1396) von Thomas III., Markgraf von Saluzzo, einerseits, und des - die gleichen Motive aufnehmenden - einige Jahre später entstandenen Freskenzyklus in einer Burg der Familie andererseits entwickelt (205-235). Am konkreten Beispiel wird sehr schön nachvollziehbar, wie bestimmte Inhalte von einem Medium in ein anderes überwechseln können, wie innerhalb allegorisierender Darstellungen genealogisch-dynastische Zusammenhänge dramatisiert wurden und wie selbst die Spannungen zwischen dem individuellen Lebensweg des Autors / Auftraggebers und seiner dynastischen Legitimation nicht ausgespart blieben.
In gewisser Weise eine Ausnahmestellung nimmt der kunsthistorische Beitrag von Klaus Krüger (155-204) ein, problematisiert er doch sehr grundsätzlich die Anwendbarkeit eines sprachlich verstandenen Kommunikationsbegriffs auf die Aussagekraft von bildlichen Darstellungen. In seinem sehr vielschichtig argumentierenden Beitrag zeigt er, ausgehend von der mittelalterlichen Vorstellung des 'sprechenden Bildes' und den Versuchen, sprachliche Verständigung bildlich darzustellen, an Kunstwerken des 14.-17. Jahrhunderts, dass der Betrachter es über die Visualisierung von sprachlicher Kommunikation hinaus auch mit einer bild-eigenen 'Sprachkraft' zu tun hat, einer visuellen Sprache, die sich mit verbalen Ausdrucksformen eben nicht vergleichen oder parallelisieren lässt. Nicht ein einziges, sondern das Zusammenspiel mehrerer Medien rekonstruiert Nikolaus Henkel, zwischen literaturwissenschaftlichen und historischen Interpretationen vermittelnd, in liturgischen und dramatischen Vergegenwärtigungen der Auferstehung Christi im Rahmen des Osterfestes (237-264).
Einen Gegenpol zur Betonung der mündlichen und symbolischen Kommunikation bilden die beiden letzten Artikel, die sich den auch im Mittelalter durchaus vorhandenen schriftlichen Medien der Verständigung und des Konfliktaustrags widmen: Jürgen Herold deutet das sprachliche Formular mittelalterlicher Briefe als verschriftlichte Form einer formalisierten Gesprächssituation (265-288). Sowohl in der standardisierten und sozial determinierten Grußformel, der 'salutatio', wie auch in den sprachlichen Strategien der 'captatio benevolentiae', der Erzeugung einer wohlwollenden Stimmung, nimmt der Aufbau der Briefe die Situation ihres Empfangs durch den Adressaten vorweg. Herold untermauert seine These durch ein ausführliches Fallbeispiel, das berühmte provozierte Missverständnis auf dem Hoftag von Besançon 1157, sowie einige kürzere Beispiele aus dem Boten- und Gesandtenwesen. Falk Eisermann schließlich nimmt die Verwendung von Einblattdrucken als Medium politischen Konfliktaustrags im 15. Jahrhundert in den Blick (289-320). Anhand dreier detailliert dokumentierter Fallbeispiele zeigt er sehr deutlich, dass ein technisch neues Medium hier mitnichten die viel beschriebene Medienrevolution auslöst: In den Inkunabel-Jahrzehnten werden hauptsächlich diejenigen Schriftguttypen vervielfältigt, die seit dem Hochmittelalter schon die politischen Waffen gebildet hatten: Privilegien, Mandate, päpstliche Bullen, kaiserliche Weisungsschreiben, Landfriedensurkunden oder Achterklärungen, rechtliches Schriftgut also, weitgehend ohne propagandistische Aufladung. Nicht der technische Fortschritt an sich, sondern erst die Reformation schaffte schließlich die Voraussetzungen für eine neue Form politischer Massenkommunikation.
Die mediävistische Kommunikationsforschung, so viel wird aus den thematisch weitgespannten Beiträgen klar, wird auch weiterhin ohne eine verbindliche Definition ihres eigentlichen Gegenstandes auskommen müssen. Die meisten der Autoren haben jedoch exemplarisch gezeigt, wie man schon mehr oder weniger bekanntes Quellenmaterial nochmals zum Sprechen bringt, wenn man über ein nachvollziehbares und für die herangezogenen Quellen produktives Konzept medialer Vermittlung verfügt, positive Beispiele abgebend für den von Volker Depkat einleitend skizzierten vorsichtigen, hermeneutisch gezähmten Theorieeinsatz - auch eine Art von gelungener Kommunikation.
Julian Holzapfl