Norbert Middelkoop (ed.): Kopstukken. Amsterdammers geportretteerd, 1600-1800. Ausstellungskatalog Amsterdams Historisch Museum, Amsterdam 2002, Bussum: Uitgeverij Thoth 2002, 304 S., 148 Farb-, 173 s/w-Abb., ISBN 978-90-6868-315-8, EUR 29,90
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Bis heute liegt keine Abhandlung zur holländischen Porträtmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts vor, die einen umfassenden Überblick über die in der Republik verbreiteten Formen und Typen dieser Bildgattung sowie die mit ihr befassten Künstler gibt. Als umso wichtiger erweisen sich Ausstellungsprojekte und Publikationen, die sich mit Teilaspekten dieses Gebietes beschäftigen. Die entsprechenden Untersuchungen haben meist entweder eine bestimmte Form des Porträts - wie zum Beispiel Gruppen-, Ehepaar- oder Kinderbildnisse - zum Gegenstand oder behandeln die Bildnisproduktion einzelner Künstler. Die im "Amsterdams Historisch Museum" gezeigte Ausstellung und der zugehörige Katalog, für die der Bestand des "Historisch Museum" und des "Rijksmuseum" in Amsterdam den Ausgangspunkt bildete (18), wählen eine andere, weniger kunsthistorisch ausgerichtete Herangehensweise. Im Zentrum stehen nicht die Schöpfer, Typologie oder Ikonographie der Werke, sondern die Dargestellten selbst: präsentiert werden Porträts von Amsterdamer Bürgern. Gleichzeitig beinhalten Ausstellung und Katalog den Versuch, das breite Spektrum der unterschiedlichen Porträttypen zu vergegenwärtigen, die zwischen 1600 und 1800 in Holland verbreitet waren und in Amsterdam zu besonderer Blüte gelangten.
Zu diesem Zweck ist der Katalogteil des Buches in verschiedene Sektionen mit kurzen einleitenden Texten unterteilt, die in der Mehrzahl eine bestimmte Form des Porträts vorstellen. Hierzu gehören "portraits historiés" (Marieke de Winkel, 96-97), Künstler- bzw. Selbstporträts (Volker Manuth, 138-139), Porträts, die auf den Beruf des Dargestellten verweisen (Marten Jan Bok, 152-153), Gruppenbildnisse von Gildevorstehern (Norbert Middelkoop, 168-169), Regentenstücke (Michiel Jonker, 182-183), Schützenstücke (Paul Knevel, 194-195), Familien- und Ehepaarbildnisse (Jan Baptist Bedaux, 212-213) und schließlich Porträts von Kunstliebhabern des 18. Jahrhunderts (Paul Knolle, 244-245). Daneben widmen sich einige der Einführungstexte auch anderen Aspekten. Behandelt werden die Spezialisierung von Malern auf die Porträtmalerei im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts (Wouter Kloek, 84-85), bedeutende Amsterdamer Familien, die als Auftraggeber für Bildnisse hervortraten (S.A.C. Dudok van Heel, 110-111, 254-255) und die Tätigkeit ausländischer Porträtisten in Holland während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Frans Grijzenhout, 234-235).
Erweist sich die Konzeption der Einführungstexte in ihrer Gesamtheit auch nicht als einheitlich, so bieten sie doch das zum allgemeinen Verständnis der gezeigten Porträts notwendige Hintergrundwissen. Vor allem aber erhält der Leser einen guten Eindruck von den vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten, die den Porträtmalern im untersuchten Zeitraum zur Verfügung standen. Zudem sind die wichtigsten Porträtisten Amsterdams mit mindestens einem Beispiel im Katalog vertreten. Allerdings umfasst dieser auch Werke von Meistern, die nicht in Amsterdam, sondern in anderen künstlerischen Zentren Hollands tätig waren. So wurden zum Beispiel Bildnisse des Delfter Porträtmalers Michiel van Mierevelt, des in Den Haag ansässigen Jan van Ravesteyn und auch von Frans Hals aus Haarlem aufgenommen. Damit wird die Gelegenheit verspielt, Charakteristika und Eigenheiten der Amsterdamer Porträtmalerei - in Abgrenzung zu anderen künstlerischen Zentren Hollands - aufzuzeigen. Dies lag jedoch offensichtlich nicht in der Intention der Verantwortlichen, die statt der Künstler vorrangig deren Auftraggeber in den Blick rücken - ein aus (stadt-)historischer Perspektive ohne Zweifel berechtigter Zugang.
Den im Katalogteil aufgenommenen Bildern, die in Farbabbildungen von guter Qualität reproduziert werden, ist neben den üblichen Angaben zu Künstler, Maßen, Signatur, Aufbewahrungsort und Provenienz des jeweiligen Werkes eine kurze Biografie der Dargestellten beigefügt. Die Katalogtexte vertiefen diese Angaben und informieren über den jeweiligen Künstler sowie den Entstehungskontext der Bilder. Kompositorische, ikonographische und stilistische Aspekte spielen dabei gegenüber der Charakterisierung der Porträtierten eine deutlich untergeordnete Rolle. Leider wird die Literatur zu den einzelnen Werken nicht gesammelt angegeben. Zudem finden sich die jeweiligen Anmerkungen erst im Anschluss an den Katalogteil, was die praktische Nutzung desselben erschwert. Sehr nützlich ist hingegen eine vor die Bibliografie gestellte Liste der zwischen 1600-1800 in Amsterdam tätigen Porträtmaler (Judith van Gent / Andrea Müller-Schirmer, 284-289).
Die Ausrichtung der Ausstellung auf Identität und Lebenszusammenhang der auf den gezeigten Porträts Dargestellten ließe erwarten, dass sich wenigstens ein Teil der vier dem Katalogteil vorangestellten Aufsätze verstärkt Fragen widmet, die die Herkunft, gesellschaftliche Stellung, den Bildungshintergrund und das Selbstverständnis der Auftraggeber betreffen sowie die unterschiedlichen Motivationen für die Vergabe von Porträtaufträgen, die Gründe für die Wahl eines bestimmten Porträtisten und die Bedeutung der Bildnismalerei als Ausdruck der Formierung einer bürgerlichen Elite. Die Behandlung dieser Aspekte bleibt jedoch vornehmlich den einzelnen Katalogbeiträgen vorbehalten. Einzig S.A.C. Dudok van Heel diskutiert in seinem Aufsatz zum lebensgroßen stehenden Bildnis (46-63) auch den sozialen Status der Dargestellten und die mit dem untersuchten Porträttyp verbundenen Ambitionen der Auftraggeber. Allgemeingültig sind die entsprechenden Erkenntnisse jedoch nicht, da es sich um eine recht seltene, nur während eines begrenzten Zeitraumes von einer kleinen Elite nachgefragte Form des Porträts handelt. Die ganzfigurigen Bildnisses von Amsterdamer Bürgern in Lebensgröße gleichen dem bereits von Tizian und Anthonis Mor für Bildnisse der Mitglieder des Habsburger Hofes verwendeten Typus des Staatsporträts, das im 16. Jahrhundert dem hohen Adel vorbehalten war. Dudok van Heel führt die Amsterdamer Porträts allerdings auf Vorbilder aus England zurück, wo sich niederer Adel und gehobene Bürgerschaft ab 1590 lebensgroß darstellen ließen. Auf einen möglichen Bezug der bürgerlichen Bildnisse zur italienischen und flämischen Tradition des Staatsporträts geht der Autor leider nicht ein. Er betont jedoch die dynastische Funktion, die die stehenden Porträts "als Vorbild für spätere Generationen" (54) besaßen.
Norbert Middelkoop benennt in seinem einleitenden Beitrag (10-27) die verschiedenen Themenkreise, die für die Auseinandersetzung mit den in der Ausstellung gezeigten Porträts von Belang sind. Überblicksartig reißt er an, wer sich, warum und von wem im 17. und 18. Jahrhundert in Holland porträtieren ließ, welches ikonographische Spektrum die Porträtmalerei umspannte und inwiefern bestimmte Konventionen eingehalten wurden. Von besonderem Interesse sind die Ausführungen Middelkoops zur Sammlungsgeschichte der Amsterdamer Porträts.
Der darauf folgende Aufsatz von Rudi Ekkart (28-45) beinhaltet einen ausgesprochen nützlichen und kenntnisreich geschriebenen Überblick über Entwicklung und Entfaltung der Amsterdamer Porträtmalerei von 1600-1800. In chronologischer Reihenfolge werden die in Amsterdam tätigen Porträtisten, ihre jeweiligen Spezialisierungen und stilistischen Eigenheiten behandelt. Was der Katalogteil versäumt - die Vermittlung eines kohärenten Bildes der Amsterdamer Porträtmalerei - bietet Ekkarts Beitrag, so dass der Verzicht auf diese Perspektive im Katalog weniger schwer ins Gewicht fällt.
Jan Baptist Bedauxs Aufsatz zur Darstellung von Bewegung in den Bildnissen Rembrandts (64-81) lässt sich aufgrund seiner spezifischen Fragestellung schwer mit der Themenstellung des Kataloges vereinbaren. Methodisch nicht unproblematisch erscheint zudem der wahrnehmungspsychologische Ansatz des Autors, da dieser nicht so sehr nach der Funktion der Bilder in ihrem historischen Kontext als vielmehr nach ihrer Wertschätzung durch den heutigen Betrachter fragt. Diese gründe auf dem Eindruck von Lebendigkeit, den Rembrandt Bedaux zufolge durch eine lockere, scheinbar zufällige, jedoch kalkuliert eingesetzte Malweise erziele. Letztere bewirke, dass der Gesichtsausdruck der Dargestellten Bewegung und damit einen zeitlichen Ablauf suggeriere. In Rembrandts Doppel- und Gruppenporträts entstehe die Illusion einer im Bild festgehaltenen Zeitspanne durch die Gesten und Bewegungen der Porträtierten. Kaum gerechtfertigt erscheint die mit diesen nachvollziehbaren Beobachtungen einhergehende Abwertung der detailgenau dargestellten Bildnisse von Malern wie Nicolaes Eliasz. Pickenoy oder Thomas de Keyser, da diese Meister ihrerseits zu beeindruckender Individualisierung fähig waren.
Insgesamt bietet der Katalog vielfältige und interessante Beispiele, auch von bisher selten publizierten Bildnissen wohlhabender Amsterdamer Bürger. Die Erschließung und Zusammenstellung des Materials erweist sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund fehlender Überblicksdarstellungen zur Porträtmalerei als besonders verdienstvoll. Der Katalog ist reich an Informationen zur Biografie der auf den gezeigten Porträts Dargestellten, aber auch zum Entstehungskontext der Bildnisse und den an sie geknüpften Intentionen der Auftraggeber. Allerdings wäre die Zusammenfassung der anhand der Einzelbeispiele gewonnenen Erkenntnisse in einem eigenen Beitrag wünschenswert gewesen und hätte das Potential des Projektes besser ausgeschöpft.
Dagmar Hirschfelder