Ernst-Dieter Hehl / Ingrid Heike Ringel / Hubertus Seibert (Hgg.): Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 6), Ostfildern: Thorbecke 2002, 344 S., 15 Abb., ISBN 978-3-7995-4257-9, EUR 44,00
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Der Band enthält die Referate einer Tagung, die am 3. und 4. Juli 1997 in Mainz zu Ehren von Alfons Becker stattgefunden hat. Zu dem Biografen Urbans II. passt das Thema zweifellos; insgesamt bieten die Beiträge ein facettenreiches Bild jenes Jahrhunderts, in dem sich das Papsttum auf den Höhepunkt seines Einflusses und seiner Macht zubewegte. Das ist allerdings ein sehr weltliches Kriterium. Die Frage, ob man so dem Phänomen Papsttum gerecht werden kann, wird jeder Leser unterschiedlich beantworten.
Trotz der Aufteilung des Stoffes - vornehmlich nach territorialen Kriterien - gibt es doch einen Punkt, mit dem sich mehrere Autoren beschäftigen. Der berühmte Hoftag von Besançon und damit die Frage, was Rainald von Dassel gedacht und gemeint haben könnte, als er 'beneficium' - ein solches war nach Ansicht der päpstlichen Legaten das Kaisertum - mit "Lehen" übersetzte, wird von nicht weniger als fünf Autoren behandelt (Hehl, 17f.; Lohrmann, 70; Weinfurter, 93; Felten, 116f.; Becker, 312). Die Ansichten bleiben geteilt.
Eingeleitet wird der Band durch einen Essay von Ernst-Dieter Hehl, der sich vielfach mit dem abschließenden Beitrag von Alfons Becker berührt. Beide geben abgewogene Übersichten, setzen aber jeweils eigene Akzente. Besonders hervorgehoben seien Hehls Ausführungen über die päpstliche Dekretalengesetzgebung (11f.) und die Beckers zum Kardinalskollegium (310f.). Klaus Herbers behandelt "Das Papsttum und die Iberische Halbinsel im 12. Jahrhundert". In seinem weit gespannten Überblick, der auch die in Deutschland wenig bekannt spanische Forschung einbezieht, betont er, dass die Einheit der diversen Teilreiche gerade vonseiten der Päpste immer wieder hervorgehoben worden sei, lange bevor diese Einheit im Spätmittelalter dann annähernd erreicht wurde; das sei vor dem Hintergrund der Reconquista zu sehen. Eingehend dargestellt werden die immer neuen Anstrengungen der Päpste, auf die spanischen Herrscher einzuwirken, damit diese sich gegen die Muslime verbündeten. In seiner Darstellung der Rolle, welche die päpstlichen Legaten in diesem Zusammenhang spielten, berührt sich Herbers Beitrag vielfach mit dem von Claudia Zey, die hier ihre demnächst erscheinende Habilitationsschrift ergänzt, welche das Legatenwesen von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zu Alexander III. erörtert, [1] indem sie einen systematischen Aspekt herausgreift. Mit Recht zeigt sie, dass fast alle Päpste des 12. Jahrhunderts zuvor während ihres Kardinalats auch als Legaten tätig gewesen sind. Inwieweit ihre dabei gemachten Erfahrungen in ihre Politik eingeflossen sind, kann sie an interessanten Beispielen darstellen.
Aufgrund des seinerzeit noch ungedruckten ersten Bandes der Gallia pontificia, welcher das Erzbistum Besançon behandelt, [2] widmet sich Dietrich Lohrmann dem Thema "Das Papsttum und die Grafschaft Burgund im 11. und 12. Jahrhundert". Er kann hier aufzeigen, wie sich ein Konflikt von zunächst nur lokaler Bedeutung, der Streit zweier Domkapitel um die Abtei Baume-les-Mines, mit dem Konflikt zwischen Barbarossa und Alexander III. beziehungsweise dem Schisma von 1159 verschränkte - ein schönes Beispiel für das Ineinandergreifen von Mikro- und Makrohistorie. Die Zusammenhänge von zwei sinnfälligen Ereignissen des 12. Jahrhunderts, der Gefangennahme Papst Paschalis' II. durch Heinrich V. (1111) und der Unterwerfung Friedrich Barbarossas in Venedig, untersucht Stefan Weinfurter. Beide Male seien es die Reichsfürsten und Bischöfe gewesen, welche den Kaiser zum Ausgleich mit dem Papsttum gedrängt, ihm letztlich ihren Willen aufgezwungen hätten. Dass dies Rückwirkungen auf die Reichsverfassung hatte, insofern es die Territorialisierung des 13. Jahrhunderts vorbereitete, wird in Weinfurters Ausführungen deutlich. Historiographiegeschichtlich angelegt ist der Essay von Franz J. Felten, der die unterschiedlichen Bewertungen von Friedrich Barbarossa in der Forschung der letzten Jahrzehnte thematisiert. Immer wieder zeige sich, dass die Maßstäbe zur Beurteilung Barbarossas von außen an diesen herangetragen würden, nur selten aber versucht werde, diese aus dem zeitgenössischen Kontext selbst zu gewinnen. Der Wandel des Barbarossabildes vom nationalen Heros zu einem eher rückwärts gewandten - ja reaktionären - Herrscher sagt insofern vielleicht mehr über die deutsche Zeitgeschichte als über das Mittelalters aus.
Zwei Beiträge widmen sich den Beziehungen zur griechisch-orthodoxen Welt: Die immer weiter gehende Entfremdung des Westens von Byzanz verdeutlicht Johannes Koder in einer Spezialstudie über "Die letzte Gesandtschaft Alexios' I. Komnenos bei Paschalis II.". Demnach scheint Kaiser Alexios geglaubt zu haben, er könne nicht nur eine Kirchenunion, sondern sogar die alleinige Anerkennung des östlichen Kaisertums vonseiten des Papsttums erlangen. In einem weit ausgreifenden Überblick thematisiert Günter Prinzing die Beziehungen des Papsttums vor allem zu Byzanz und zu Ungarn. Besonders die Bemühungen Innozenz' III. um eine Kirchenunion sowie seine Kontakte zu seinem Amtsbruder in Konstantinopel werden erörtert. Nicht fehlen dürfen die Kreuzzüge: Sie waren die wichtigste Schöpfung Urbans II.; sie haben - zum Guten wie zum Schlechten - das Verhältnis des christlichen Europa zum islamischen Osten entscheidend geprägt. Vor allem den Beziehungen zu den Kreuzfahrerstaaten, insbesondere zu den dort entstehenden Kreuzfahrerkirchen, widmet sich Rudolf Hiestand. Dass der reale Einfluss der Stellvertreter Petri in ihrer ureigenen Schöpfung eher gering war, ist das wohl überraschendste Ergebnis seiner Studie.
Die "symbiotischen Beziehungen" zwischen dem Papsttum einerseits, den Zisterziensern und Prämonstratensern andererseits thematisiert Hubertus Seibert. Seine Ausführungen gipfeln in der These, dass ohne die "personelle und ideelle Unterstützung beider Orden und ihrer charismatischen Führer [...] das Papsttum ernsthaft Schaden an Autorität und Ansehen genommen" hätte (240). Welche Auswirkungen die allmähliche Loslösung des Papsttums von seiner herkömmlichen Residenzstadt Rom auf das päpstliche Zeremoniell hatte, schildert Bernhard Schimmelpfennig. Die Siegel Gregors VII. sind der Ausgangspunkt für die Überlegungen von Ingo Herklotz. Erfreulicherweise bleibt er nicht dabei stehen, sondern bezieht auch Gregors Urkundenformulare in die Untersuchung mit ein. Von besonderem Interesse ist seine Beobachtung, dass die klassische Formulierung der päpstlichen Dispositio - im Namen der Apostelfürsten Petrus und Paulus - auf Gregor zurückgeht. Herklotz geht dann zu den bekannten Wandmalereien Calixts II. im Lateranpalast über, wo der Abschluss des Wormser Konkordats als großer Erfolg des Papstes dargestellt wurde. Man wüsste gerne, ob Heinrich V. nicht seinerseits in einer seiner Pfalzen ein entsprechendes Fresko mit umgekehrter Aussage hat anfertigen lassen. Doch da lassen uns die Quellen leider im Stich.
Was fehlt? Vermisst habe ich einen Beitrag, welcher die Rolle des Papsttums in Italien, insbesondere im entstehenden Kirchenstaat, thematisieren würde, dort also, wo der Papst nicht nur der oberste Priester, sondern eben auch Landesherr war. Dabei weist doch Ernst-Dieter Hehl sehr zu Recht darauf hin (15), dass Robert Guiskard, als er 1059 Nikolaus II. das 'homagium' leistete, diesem Hilfe versprach, "damit du sicher und ehrenvoll den 'papatus Romanus' und die 'terra sancti Petri' innehast". Der Zusammenhang zwischen beiden scheint den Zeitgenossen deutlicher als den heutigen Historikern gewesen zu sein.
Anmerkungen:
[1] Claudia Zey: Die päpstliche Legatenpolitik im 11. und 12. Jahrhundert (1049-1188), Habil.-Schrift München 2002, erscheint im Thorbecke Verlag.
[2] Bernard de Vregille: René Locatelli und Gérard Moyse, Regesta Pontificum Romanorum: Gallia pontificia I: Diocèse de Besançon, Göttingen 1998.
Stefan Weiß